Von Klimt bis Kokoschka

Von Björn Stüben · 04.10.2005
Die Pariser Schau ist ein Novum, denn die facettenreiche Malerei der Wiener Jahrhundertwende mit Klimt, Schiele, Moser und Kokoschka war in Frankreich bisher selten zu sehen. Sie zeigt den Anteil der Maler an der Entwicklung der Avantgarde in der europäischen Kunst.
In Wien um 1900 geht es nicht nur in der fünften Mahler’schen Symphonie dramatisch zu, sondern auch in der Malerei. Das fin de siècle findet seine Ausdrucksformen etwa in symbolisch aufgeladenen Frauengestalten, die als Pallas Athene mit goldenem Helm, Schuppenpanzer und Lanze aus quadratischen und metallen glänzenden Jugendstilrahmen selbstbewusst, beinahe spöttisch auf den Betrachter herabschauen. Andere wiederum versprühen ganz offen eine Erotik, die das an pompöse Historienmalerei gewöhnte Wiener Publikum der Jahrhundertwende zunächst schockiert.

Der unbestrittene Meister der Provokation ist damals der 1862 geborene Gustav Klimt. Seine Kunst verkörpert die Glanzzeit der 1898 in Wien ins Leben gerufenen Sezession, die sich als Gegenbewegung zum Mainstream der Akademiekunst begreift und jetzt mit über 90 Gemälden und beinahe ebenso vielen Zeichnungen in einer Ausstellung im Grand Palais in Paris vertreten ist. Nicht nur die Werke Gustav Klimts und des etwa gleichaltrigen Koloman Moser, sondern auch diejenigen der nachfolgenden Künstlergeneration eines Egon Schiele und Oskar Kokoschka werden dem französischen Publikum jetzt gezeigt - ein ziemliches Novum, wie die deutsche Kunsthistorikerin Marie-Amelie zu Salm-Salm einräumt:

" Unser Anliegen war es, diese Ausstellung "Klimt, Kokoschka, Moser, Schiele" hier in Paris zu zeigen, weil es leider nur einen einzigen Klimt in den nationalen französischen Museen gibt, eine Landschaft. Die anderen Künstler, mit Ausnahme von Kokoschka mit seinen späteren Werken, sind nicht hier vertreten. Somit ist dies wirklich etwas ganz Neues für die Franzosen, sich mit diesen Bildern zu konfrontieren."

Es sind vor allem die auf den ersten Blick so unterschiedlichen Arbeiten von Gustav Klimt und seines 28 Jahre jüngeren Künstlerfreundes Egon Schiele, die die Schau bestimmen. Klimt malt eine junge Frau, die ihr Kind an die Brust drückt, während neben ihr der schlaffe, ausgemergelte Körper einer alten Frau den gesenkten Kopf in ihren Haaren verbirgt. Das Bild "Drei Lebensalter" von 1905 kommt ohne eigentlichen Bildhintergrund aus. Alles erscheint flächig und mit stilisierten Motiven bedeckt, die an kostbar bestickte Stoffe oder Gold schimmernde Mosaike erinnern. Das allegorische Thema ist formal völlig in der Dekoration der Fläche aufgegangen. Auch Klimts "Danae" von 1907 liegt als rothaariger Frauenakt lasziv in bunt gemustertem Dekor, der keine Raumillusion vorzutäuschen versucht. Die Idee der Wiener Sezessionisten vom Gesamtkunstwerk, bei dem Architektur und Kunst in der Wandmalerei verschmelzen sollen, bestimmt Klimts Schaffen.

" Das Dekorative war anfangs zur Zeit der Entstehung der Werke bis in die 50er, 60er und 70er Jahre hinein genau der Grund, warum die Werke nicht von den Museen angekauft wurden, eben weil man es zu dekorativ fand. Heute ist es natürlich so, dass Klimt geliebt wird, man kennt ihn ja von vielen Postkarten. Es ist gerade dieses, das soll nicht abwertend gemeint sein, angenehm wirkende, geradezu Gefällige, das man gerne anschaut, während Schiele natürlich sein ganz persönliches Universum hat, das er darstellt und das für die Franzosen schwieriger ist."

Schieles Bildthemen sind meist alles andere als vordergründig allegorisch und sicher nicht dekorativ. Sein Bild "Kardinal und Nonne" sorgt 1912 für Aufruhr. Das eng umschlungene Paar zeigt Schiele kniend.

Der feuerrote Mantel des Kardinals kontrastiert mit dem schwarzen Gewand der Nonne, die angstverzerrt aus dem Bild herausstarrt. Formen und Farben sind breitflächig verteilt. Nur das Auftauchen der Gesichter und Beine aus der Bildfläche verhindert den Eindruck, es handele sich um ein rein abstraktes Gemälde. Im selben Jahr komponiert Schiele zwei Eremiten vor hellem Hintergrund. Bei diesem lebensgroßen Werk wirkt Schieles Begegnung mit kubistischer Kunst nach, doch der schonungslose Expressionismus der dargestellten Gesichter ist nur ihm eigen.

Lediglich Oskar Kokoschka erreicht hier ähnliche Ausdrucksstärke in seinen Portraits. Gegenüber den meist morbid wirkenden Gestalten Schieles erscheinen die oft kraftstrotzenden Figuren Kolomann Mosers beinahe bieder realistisch und zu offensichtlich an der Kunst des Schweizers Ferdinand Hodler orientiert.

Die Pariser Schau ist tatsächlich ein Novum und das nicht nur für die bisher selten mit Klimt, Schiele, Moser und Kokoschka konfrontierten Franzosen, denn sie will nicht die gesamte facettenreiche Wiener Jahrhundertwende mit ihrer Architektur, ihrer Musik, ihrem Kunsthandwerk und Sigmund Freuds Psychoanalyse erklären, sondern glücklicherweise nur einen Teilaspekt beleuchten: den Anteil der dort wirkenden Maler an der Entwicklung der Avantgarde in der europäischen Kunst. Vor allem die Werke von Klimt und Schiele haben selten so modern in einer Ausstellung gewirkt wie jetzt im Pariser Grand Palais.

" Hier in Paris wirken die Künstler durch die andere Zusammenstellung anders und dadurch sieht man, wie sie parallel zur Impressionistenschiene, die in Frankreich natürlich sehr bekannt ist, der Moderne einen Weg gebahnt haben. Auf ihre Art, wenn auch nicht bewusst, konnten sie auch der Abstraktion einen Weg bahnen, und das zu zeigen, ist das Anliegen dieser Ausstellung."

Service:

Die Ausstellung "Klimt, Schiele, Moser, Kokoschka - Wien 1900" ist in den Pariser Galeries Nationales du Grand Palais vom 5. Oktober 2005 bis 23. Januar 2006 zu sehen.