Von Klaus Pokatzky

16.05.2008
Lauter gute Nachrichten in der Kulturpresseschau: Über eine Million Besucher wurden in deutschen Museen gezählt, dazu ein Bücherbus in einem brandenburgischen Landkreis, der die Menschen mit Leserfutter versorgt, Araber, die sich für israelische Kultur interessieren, offene Serben und Kalifornien, das Homosexuelle toleriert. Nur Radio Multikulti soll eingespart werden.
102.645.078 Museumsbesuche - wer möchte da noch über Pisa reden, fragt die Tageszeitung DIE WELT, ruft gleich einen "Internationalen Museumstag" aus und freut sich über diese Zahl, die ansonsten nur aus Finanzministerien oder von der Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler bekannt ist. 102.645.078 Museumsbesucher traten nach Angaben des Instituts für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin 2006 zum Beschauen von Kunst und Heimatkunde an, von Technik und Naturwissenschaft.

Züllsdorf, Löhsten, Kölsa, Mahdel, zählt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG auf, Buckau, Beyern, Sallgast, Zürchel, Dollenchen. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE zählt noch mehr Namen auf von nie gehörten Orten, durch die die beiden Bücherbusse des brandenburgischen Landkreises Elbe-Elster rollen, damit die Menschen, die fern von Stadt- und Kreisbüchereien leben, mit geistiger Nahrung versorgt werden können.

"In vielen Dörfern, die wir anfahren, gibt es keine Kneipe und keinen Laden mehr", sagte die rollende Bibliothekarin Marion Siegesmund Andreas Kilb für seine wunderbare Reportage in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN:

"Da kommt das Fleischerauto, es kommt das Bäckerauto, die Post und im Sommer der Eismann. Und es kommt der Bücherbus."

Er kommt auch nach Göllnitz, Klingmühl, Lichterfeld und Schacksdorf - wer zählt die Dörfer, nennt die Namen? Kraupa ist die letzte Station an diesem Tag, schreibt Andreas Kilb: Zwei Mütter und drei Kinder warten an der Haltestelle, die Frauen mit Büchern bepackt, die Kinder zappelig vor Ungeduld. Eine 16-Jährige mit giftrotem Haar bringt einen Stoß Videokassetten zurück. Ein blondes Mädchen leiht "Kleine Hundegeschichten" aus und "Rettung im Wald", ein Junge ein Dutzend Hör-CDs. Dann, wie von Geisterhand gefegt, ist die Dorfstraße leer.

Und noch mehr schöne Geschichten. Die Araber entdecken die Literatur Israels, verheißt uns die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. In der Vojvodina, der nördlichsten Provinz Serbiens, kann man mit Nationalismus wenig anfangen, verkündet die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Was ist nur mit den Feuilletons los, haben wir den Tag der guten Nachrichten und schönen Geschichten?

Serben, die keine Nationalisten sein wollen, in der Vojvodina, wo 26 Minderheiten leben, darunter Ungarn, Rumänen, Kroaten, Slowaken, Ruthenen und Deutsche, wie Jörg Plath uns in der NEUEN ZÜRCHER aufklärt, traditionell europafreundlich und politisch progressiv gesinnt. Und Araber, die aus Neugier auf die andere Seite israelische Literatur studieren, wie der in Berlin lebende irakische Autor Najem Wali in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schreibt?

Und dann noch das: Der Oberste Gerichtshof von Kalifornien hat entschieden, dass Partner gleichen Geschlechts ein Recht auf Ehe haben, steht in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über ein möglicherweise bahnbrechend schwulenfreundliches Urteil in den USA: Seit dem 15. Mai 2008 bedeutet Ehe nun in Kalifornien auch die Verbindung von Mann und Mann oder Frau und Frau, schreibt Patrick Bahners. Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger will das Urteil übrigens respektieren.

Jetzt muss man aber endlich fragen: Wo, bitte, bleibt das Negative in dieser Kulturpresseschau? Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, kritisiert die mögliche Schließung des RBB-Senders Radio Multikulti als "falsches Signal". Da ist das Negative - geliefert von öffentlich-rechtlichen Rundfunküberlegungen, ein Flaggschiff der Integration dichtzumachen. Multilinguale Programme wie Radio Multikulti ""schlagen eine Brücke zwischen den Ethnien, einschließlich der deutschen Bevölkerung"," sagte die CDU-Politikerin, wie wir im Berliner TAGESSPIEGEL erfahren. Ceterum censeo: Radio Multikulti muss bleiben.