Von Klaus Pokatzky

Der Fall Filbinger-Oettinger beschäftigt weiterhin die Feuilletons. Außerdem fragt der „Tagesspiegel“, warum es eigentlich keine regelmäßige Alice-Schwarzer-Talkshow gibt. Und der „Spiegel“ stellt den neueste Gangsta-Rapper vor: Wasiem Taha.
„Nun strickt die CDU-Enkelgeneration, vertreten durch Ministerpräsident Oettinger, diese Legende fort.“

So hieß es im Berliner TAGESSPIEGEL zu dem spannenden innenpolitischen Thema dieser Tage – wie der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger bei der Trauerfeier für seinen Amtsvorvorvorgänger Hans Karl Filbinger aus diesem einstigen Marinerichter einen Gegner des Naziregimes machte.

„Die Umdeutung der eigenen Geschichte in die des Widerstandskämpfers,“ nannte Ulrich Rüdenauer das im TAGESSPIEGEL – und davon kann sich auch jeder überzeugen, der Hans Karl Filbingers Autobiographie „Die geschmähte Generation“ liest, in der er seinen tiefen Fall 1978 mal so en passant mit der antisemitischen Affäre Dreyfus vergleicht. Doch warum nun der spitzfindige Satz Oettingers, es gebe „kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte“? „Stillschweigend lässt der Satz zwei Tatsachenkomplexe unter den Tisch fallen,“ lasen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:

„zum einen die beiden Todesurteile wegen Fahnenflucht, die Filbinger in Abwesenheit der Angeklagten fällte, zum anderen den Fall des Matrosen Gröger, in dem er als Staatsanwalt die Todesstrafe beantragte und die Exekution beaufsichtigte.“

Damit reagierte Patrick Bahners auf einen Beitrag des Filbinger-Jägers Rolf Hochhuth, der im politischen Teil der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG als Star-Gutachter aufgetreten war.

„Hochhuth führt aus, es sei ‚als Buch die Tragödie des Matrosen Walter Gröger erschienen, den Filbinger persönlich noch in britischer Kriegsgefangenschaft hat ermorden lassen‘,“

schrieb Patrick Bahners in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN und rüttelte heftig am vermeintlichen Expertentum des Rolf Hochhuth:

„das Todesurteil gegen Walter Gröger, gefällt am 16. Januar 1945, ist gar nicht im Lager vollstreckt worden. Die Hinrichtung in Oslo fand am 16. März 1945 statt, sieben Wochen vor der totalen Kapitulation. Hochhuth hat den Fall Gröger offenbar mit dem Fall des Flakartilleristen Petzold verwechselt, den Filbinger in der Tat am 29. Mai 1945 in britischer Kriegsgefangenschaft verurteilte, wegen ‚Unbotmäßigkeit, Gehorsamsverweigerung und Widersetzung‘, zu sechs Monaten Gefängnis.“

Der Fall Filbinger-Oettinger – vielleicht auch noch ein Fall Hochhuth? – hat die Feuilletons noch nicht so richtig erreicht, erst einmal spielt er in der Politik. Wir warten.

„Warum gibt es eigentlich keine regelmäßige Alice-Schwarzer-Talkshow?“, fragte der TAGESSPIEGEL, nachdem die Gralshüterin des deutschen Feminismus, Alice Schwarzer, in der Sendung „Menschen bei Maischberger“ deren Namensgeberin Sandra Maischberger vertreten hatte – die ja noch ihre Babypause nimmt. „An diesem Abend wurde offen gesprochen, mit Alice Schwarzer als Muse“, geriet die eigentlich recht kluge Caroline Fetscher völlig aus dem Häuschen. Die SÜDDEUTSCHE muss eine gänzlich andere Sendung gesehen haben. „Alice Schwarzer legte an diesem Dienstag das Niveau so tief, dass man wohl noch in ein paar Jahren davon sprechen wird,“ entrüstete sich Hans Hoff:

„Sie hört nicht zu und zettelt keine Gespräche an, wohl weil sie das Gefühl hat, jeder Dialog schmälere ihre Redezeit.“

Wobei Alice Schwarzer eine mehr als zeitgemäße Sprache bevorzugt. Denn, nachdem der eingeladene Gast „Bushido“, „Deutschlands führender Proleten-Rapper“, wie ihn die SÜDDEUTSCHE nennt, wegen einer Fußverletzung abgesagt hatte, fand die ältere Dame Schwarzer diese Worte:

„Herr Bushido hat abgesagt. Der hat nicht die Eier gehabt, wie man sagt.“

Die Sprache passte allerdings völlig zu dem Ersatzgast, dem Deutschrapper und Pornoproduzenten Manuel Romeike alias „Orgi“.

„Orgi dichtet über Mädchen unter dem Titel ‚Du nichts – ich Mann‘ Dinge wie ‚du siehst aus wie Scheiße‘ oder ‚blase, bis du kotzt‘,“

klärte uns der TAGESSPIEGEL auf. Einen „dicklichen Jüngling im gestreiften Poloshirt“ nannte ihn die FRANKFURTER ALLGEMEINE: „Er druckste herum, stotterte und war jämmerlich,“ schrieb Jörg Thomann und wurde dann grundsätzlich, was diese Art Musik angeht

„Statt die stumpfsinnigen Raps aus dem Verkehr zu ziehen und ihnen den Reiz des Verbotenen zu verleihen, sollte man den jungen Fans zeigen, welch lächerliche Maulhelden die vermeintlich harten Gangster-Rapper sind.“

Ob Jörg Thomann das noch so sieht, wenn er den neuen SPIEGEL gelesen hat, wagen wir zumindest zu fragen. Da wird uns nämlich der neueste Gangsta-Rapper präsentiert: Wasiem Taha, mit Künstlernamen Massiv, „ein ehemals krimineller Palästinenser“, wie uns schon in der Überschrift verraten wird. Ein ehemaliger Drogendealer und Messerstecher, „die größte deutsche Hoffnung des Musikkonzerns Sony BMG“, der erst einmal eine Viertelmillion Euro in seinen neuen Star investiert, wie Philipp Oehmke schreibt – „was er nun zu der Musik singt, ist genau, was Sony BMG sich gewünscht hat: Ich bin ein Kanake, der vom Messerstechen Narben hat.“

Die fünfseitige Geschichte beginnt mit einem halbseitigen Foto im Dunkeln, wie sich Massiv alias Wasiem an seinen für 1500 Euro im Monat gemieteten metallicblauen Mercedes lehnt – und wir wünschen ihm, dass er das Auto möglichst lange behalten mag, damit wir ihm nie des Nachts in der S-Bahn begegnen müssen.

„Das Land blickt auf mehrere Millionen Menschen, die der deutschen Mittelschichtsdemokratie abhanden gekommen sind,“ schreibt Philipp Oehmke: „jede Menge Publikum für Typen wie Wasiem.“

Da hilft uns nur der Blick in die neue FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG. Da kommt im Interview der amerikanische Filmschauspieler Mark Wahlberg zu Wort, der auch „schon Drogendealer, Rapper und Model“ war. Heute ist er ganz ruhig, hat zwei Kinder und geht jeden Sonntag in seine katholische Kirche.

„Ich hatte mal eine Weile ausgesetzt, aber seit sieben, acht Jahren gehe ich jede Woche. Ich unterbreche dafür sogar Dreharbeiten. Es ist wichtiger als Arbeit.“

Glücklich ist, wer katholisch ist.