Von Klaus Pokatzky
Die Feuilletons beschäftigen sich mit dem angeblichen Comeback von Latein und Altgriechisch. Und mit dem Einfluss des Sprachgebrauchs von Migranten auf die deutsche Sprache.
"Latein und Altgriechisch sind in Deutschland wieder im Kommen." Das lasen wir in der Tageszeitung DIE WELT am Freitag: "Mancherorts gibt es schon zu wenig Lehrer." Vier Tage vorher, am Montag, hatte schon das Magazin DER SPIEGEL zu berichten: "Ausgerechnet die toten Sprachen Latein und Griechisch erleben ein Comeback." Und im SPIEGEL-Interview hatte der Fernsehmoderator Günther Jauch begründet, warum er seine Töchter auf ein humanistisches Gymnasium geschickt hat:
"Das ist wie bei einer Reise: Wenn ich am schnellsten von A nach B kommen will, nehme ich eben die Autobahn. Das Schöne am Reisen sind aber die Zwischenstopps oder die Fahrten über die Dörfer."
Überschrift: "Latein geht Umwege". Oder: Lingua Latina circuitum vadit, wie wir alten Lateiner sagen würden - oder uns von guten Freunden vorsagen lassen, die das alles noch drauf haben.
"An sozialen Brennpunkten verändert sich auch die deutsche Sprache."
Das lasen wir in der WELT über ein Deutsch, das sich entwickelt, wenn man gute Freunde hat, die zu Hause türkisch und auf dem Schulhof deutsch sprechen sollen. "In den Immigrantenvierteln Hamburgs oder Berlins wird ein multiethnischer Sprachmix gesprochen", wurde in der WELT der Sprachwissenschaftler Jannis Androutsopoulos von der Universität Hannover zitiert:
"Anderssprachige Begriffe werden dabei mühelos in den Sprachfluss integriert. Mit dem Türkenslang, wie wir ihn aus der Comedy kennen, hat das nichts zu tun."
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG warnte der Mannheimer Soziologe Hartmut Esser vor einem Hochjubeln der Zweisprachigkeit unserer Migrantenkinder:
"Das Problem der Integration ist nicht der Erhalt der Muttersprache, sondern der oft eklatante Mangel an Gelegenheiten für den Erwerb der Landessprache mit allem, was daran hängt."
Klaus Lüber in der WELT interessierten mehr die Vorteile für alteingesessene Teutonen:
"Auf den Schulhöfen kann man beobachten, wie deutsche Kinder Sprache und den Stil ihrer multiethnischen Klassenkameraden nachahmen."
Und dabei scheint auf dem Schulhof fürs Leben gelernt zu werden - oder: Non scholae, sed vitae discimus. Denn der multiethnische Klassenkamerad praktiziert ja vielleicht nach der Schule noch Umgangsformen. Klaus Lüber:
"So kann es passieren, dass der Sohn des türkischen Eckladenbesitzers den verdutzten Kunden mit Höflichkeitsfloskeln überrascht, die mittlerweile selbst bei Muttersprachlern Seltenheitswert haben: 'Ich habe zu danken, der Herr!'"
Salve, domine, würden wir Lateiner da wieder sagen - oder auch: De Osmano discere, vitae discere, vom Türken lernen, heißt fürs Leben lernen. Lingua Latina nucleum tangit, Latein trifft eben doch immer noch den Kern.
"Ein junger Türke, der engagiert die Sache der Schüler 'mit Migrationshintergrund' vertrat, sagte dem hessischen Ministerpräsidenten Koch, er habe 'Scheiße' geredet."
Das lasen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über eine hitzige Diskussion in der Fernsehsendung "Berlin Mitte" - und wir bedauern sehr, dass der junge Türke kein großes Latinum besitzt, dann hätte er sich nämlich gewählter ausdrücken können.
"Schwer vorzustellen ist es allerdings, daß solches gegenüber den Eltern, einem Imam, gar in einer Diskussionsrunde im türkischen Fernsehen in Gegenwart eines Politikers hätte geschehen können", rügt die FRANKFURTER ALLGEMEINE den jungen Türken ohne Latinum:
"In Gesellschaften, die, wie die türkische Parallelgesellschaft, auf gestrengen Ritualen des Respekts und der Anerkennung von Autoritäten beruhen, sind die Spätachtundsechziger-Umgangsformen verpönt."
Der gebildete Spätachtundsechziger sagt sowieso nicht "Scheiße", sondern Merda - Lingua Latina nucleum tangit.
"Neukölln ist weniger Ghetto denn je. Das Viertel wird bürgerlicher und kreativer."
So setzte sich die BERLINER ZEITUNG für einen in Verruf geratenen Stadtteil ein.
"In Rixdorf und um den Körnerpark herum muss man inzwischen schon lange suchen, bis man eine von jenen herumlungernden, pöbelnden Jugendbanden findet, die das Viertel angeblich zur Gänze beherrschen," schreibt Jörg Sundermeier. Und ein paar Minuten Fußweg weiter wird vor der derzeit berühmtesten Schule Deutschlands High Noon geübt.
"Stellt euch noch ein bisschen breitbeiniger hin', hört man einen Fotografen zu den Jungs sagen, die sich vor dem Tor in Pose werfen."
Das lasen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGS-ZEITUNG über mediale Vertreter der besonderen Art vor der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln. Angeblich geht es auch noch schlimmer. Dem ZDF wurde vorgeworfen, es habe für einen Film über Gewalt unter Jugendlichen im Hamburger Stadtteil Mümmelmannsberg, nicht nur Geld zahlen, sondern auch zu einer Messer-Schlägerei vor laufender Kamera ermuntern lassen.
"Zweihundert Euro hat die Produktionsfirma Lona Media, die das Stück für die 'ZDF.reporter' fertigte, einem Informanten, der zugleich Akteur vor der Kamera war, als 'Aufwandsentschädigung' gezahlt, eine Familie bekam hundert Euro."
Das stand in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN.
"'Das war ein eklatanter Fehler', sagt der ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender im Gespräch mit dieser Zeitung. Und genauso sagt es auch die Chefin von Lona Media, Nicola Graef. Den Vorwurf aber, dass die gefährliche Szene inszeniert worden sei, weisen Sender und Produktionsfirma zurück. Es sei im Gegenteil so gewesen, dass die Reporterin die Eskalation in der fraglichen Szene unterbunden und gedroht habe, die Polizei zu rufen. Das lasse sich mit dem Rohmaterial auch belegen."
Nun will ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender nach Hamburg fahren und mit allen Beteiligten reden. Die offenbar noch sehr unerfahrenen Journalisten von der Produktionsfirma Lona Media sollte er dabei vielleicht auf einen Lehrsatz des Journalismus hinweisen: sobald ein Journalist als solcher erscheint, verändert er die Szene, die Menschen reden anders und sie agieren anders. Ob mit oder ohne Geld. Lingua Latina non olet.
"Das ist wie bei einer Reise: Wenn ich am schnellsten von A nach B kommen will, nehme ich eben die Autobahn. Das Schöne am Reisen sind aber die Zwischenstopps oder die Fahrten über die Dörfer."
Überschrift: "Latein geht Umwege". Oder: Lingua Latina circuitum vadit, wie wir alten Lateiner sagen würden - oder uns von guten Freunden vorsagen lassen, die das alles noch drauf haben.
"An sozialen Brennpunkten verändert sich auch die deutsche Sprache."
Das lasen wir in der WELT über ein Deutsch, das sich entwickelt, wenn man gute Freunde hat, die zu Hause türkisch und auf dem Schulhof deutsch sprechen sollen. "In den Immigrantenvierteln Hamburgs oder Berlins wird ein multiethnischer Sprachmix gesprochen", wurde in der WELT der Sprachwissenschaftler Jannis Androutsopoulos von der Universität Hannover zitiert:
"Anderssprachige Begriffe werden dabei mühelos in den Sprachfluss integriert. Mit dem Türkenslang, wie wir ihn aus der Comedy kennen, hat das nichts zu tun."
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG warnte der Mannheimer Soziologe Hartmut Esser vor einem Hochjubeln der Zweisprachigkeit unserer Migrantenkinder:
"Das Problem der Integration ist nicht der Erhalt der Muttersprache, sondern der oft eklatante Mangel an Gelegenheiten für den Erwerb der Landessprache mit allem, was daran hängt."
Klaus Lüber in der WELT interessierten mehr die Vorteile für alteingesessene Teutonen:
"Auf den Schulhöfen kann man beobachten, wie deutsche Kinder Sprache und den Stil ihrer multiethnischen Klassenkameraden nachahmen."
Und dabei scheint auf dem Schulhof fürs Leben gelernt zu werden - oder: Non scholae, sed vitae discimus. Denn der multiethnische Klassenkamerad praktiziert ja vielleicht nach der Schule noch Umgangsformen. Klaus Lüber:
"So kann es passieren, dass der Sohn des türkischen Eckladenbesitzers den verdutzten Kunden mit Höflichkeitsfloskeln überrascht, die mittlerweile selbst bei Muttersprachlern Seltenheitswert haben: 'Ich habe zu danken, der Herr!'"
Salve, domine, würden wir Lateiner da wieder sagen - oder auch: De Osmano discere, vitae discere, vom Türken lernen, heißt fürs Leben lernen. Lingua Latina nucleum tangit, Latein trifft eben doch immer noch den Kern.
"Ein junger Türke, der engagiert die Sache der Schüler 'mit Migrationshintergrund' vertrat, sagte dem hessischen Ministerpräsidenten Koch, er habe 'Scheiße' geredet."
Das lasen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über eine hitzige Diskussion in der Fernsehsendung "Berlin Mitte" - und wir bedauern sehr, dass der junge Türke kein großes Latinum besitzt, dann hätte er sich nämlich gewählter ausdrücken können.
"Schwer vorzustellen ist es allerdings, daß solches gegenüber den Eltern, einem Imam, gar in einer Diskussionsrunde im türkischen Fernsehen in Gegenwart eines Politikers hätte geschehen können", rügt die FRANKFURTER ALLGEMEINE den jungen Türken ohne Latinum:
"In Gesellschaften, die, wie die türkische Parallelgesellschaft, auf gestrengen Ritualen des Respekts und der Anerkennung von Autoritäten beruhen, sind die Spätachtundsechziger-Umgangsformen verpönt."
Der gebildete Spätachtundsechziger sagt sowieso nicht "Scheiße", sondern Merda - Lingua Latina nucleum tangit.
"Neukölln ist weniger Ghetto denn je. Das Viertel wird bürgerlicher und kreativer."
So setzte sich die BERLINER ZEITUNG für einen in Verruf geratenen Stadtteil ein.
"In Rixdorf und um den Körnerpark herum muss man inzwischen schon lange suchen, bis man eine von jenen herumlungernden, pöbelnden Jugendbanden findet, die das Viertel angeblich zur Gänze beherrschen," schreibt Jörg Sundermeier. Und ein paar Minuten Fußweg weiter wird vor der derzeit berühmtesten Schule Deutschlands High Noon geübt.
"Stellt euch noch ein bisschen breitbeiniger hin', hört man einen Fotografen zu den Jungs sagen, die sich vor dem Tor in Pose werfen."
Das lasen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGS-ZEITUNG über mediale Vertreter der besonderen Art vor der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln. Angeblich geht es auch noch schlimmer. Dem ZDF wurde vorgeworfen, es habe für einen Film über Gewalt unter Jugendlichen im Hamburger Stadtteil Mümmelmannsberg, nicht nur Geld zahlen, sondern auch zu einer Messer-Schlägerei vor laufender Kamera ermuntern lassen.
"Zweihundert Euro hat die Produktionsfirma Lona Media, die das Stück für die 'ZDF.reporter' fertigte, einem Informanten, der zugleich Akteur vor der Kamera war, als 'Aufwandsentschädigung' gezahlt, eine Familie bekam hundert Euro."
Das stand in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN.
"'Das war ein eklatanter Fehler', sagt der ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender im Gespräch mit dieser Zeitung. Und genauso sagt es auch die Chefin von Lona Media, Nicola Graef. Den Vorwurf aber, dass die gefährliche Szene inszeniert worden sei, weisen Sender und Produktionsfirma zurück. Es sei im Gegenteil so gewesen, dass die Reporterin die Eskalation in der fraglichen Szene unterbunden und gedroht habe, die Polizei zu rufen. Das lasse sich mit dem Rohmaterial auch belegen."
Nun will ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender nach Hamburg fahren und mit allen Beteiligten reden. Die offenbar noch sehr unerfahrenen Journalisten von der Produktionsfirma Lona Media sollte er dabei vielleicht auf einen Lehrsatz des Journalismus hinweisen: sobald ein Journalist als solcher erscheint, verändert er die Szene, die Menschen reden anders und sie agieren anders. Ob mit oder ohne Geld. Lingua Latina non olet.