Von Klaus Pokatzky

Der 27. Januar ist nicht nur der 250. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart, sondern auch der Gedenktag für die NS-Opfer. „Der Spiegel“ nimmt diesen Gedenktag zum Anlass für ein Gespräch mit Arno Lustiger und seiner Tochter Gila. Außerdem in den Feuilletons: Eine Zustandsbeschreibung vom „neuen Selbstbewusstsein der jüdischen Deutschen“ und die Entscheidung, welcher Architektenentwurf für das Dokumentations- und Studienzentrum „Topographie des Terrors“ realisiert werden soll.
Der 27. Januar ist nicht nur der 250. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart, sondern auch der Gedenktag für die NS-Opfer. „Der Spiegel“ nimmt diesen Gedenktag zum Anlass für ein Gespräch mit Arno Lustiger und seiner Tochter Gila. Außerdem in den Feuilletons: Eine Zustandsbeschreibung vom „neuen Selbstbewusstsein der jüdischen Deutschen“ und die Entscheidung, welcher Architektenentwurf für das Dokumentations- und Studienzentrum „Topographie des Terrors“ realisiert werden soll.

„Allerliebster Papa! Ich kann nicht Poetisch schreiben; ich bin kein Dichter.“ Der allerliebste Sohn Joannes Chrisost Wolfgangus Theophilus – vulgo: Wolfgang Amadé – schrieb das am 8. November 1777 aus Mannheim an den Allerliebsten Vater Leopold Mozart. Eine von insgesamt 25 Folgen der Reihe „Mozart köchelt“, hauptsächlich mit Auszügen aus Briefen des Joannes Chrisost Wolfgangus Theophilus, mit denen der Berliner TAGESSPIEGEL den Countdown zum 27. Januar zelebrierte, an dem vor 250 Jahren Wolfgang Amadeus das Licht der Welt erblickte. Kein Feuilleton, das nicht poetisch geschrieben hätte zum Jubiläum – und das teilweise seit Wochen. Wir wollen uns hier auf die Würdigung des humorigen Dichters Eckhard Henscheid beschränken, der am Jubeltag im TAGESSPIEGEL schrieb:

„2006 wäre die Zeit, zum Wortkünstler Mozart auf Distanz zu gehen. Die Freude am Fäkalisieren: Es muss ja nicht wieder das Schweigen des Mantels drüber – aber allzu viel Preis des Wortkünstlers und Schweinigels scheint mir ebenso wenig angezeigt wie die Sehnsucht, aus Mozart einen Revoluzzer zu machen. "

Der 27. Januar ist zugleich ein Gedenktag für das Schrecklichste, was Menschen anderen Menschen antun können. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz, seit 1996 ist dieser Tag in Deutschland Gedenktag für die NS-Opfer, in diesem Jahr war er das erste Mal weltweit auch der Holocaust-Gedenktag der Vereinten Nationen. DER SPIEGEL brachte ein Gespräch mit dem Historiker und Auschwitz-Überlebenden Arno Lustiger und seiner Tochter Gila, die in ihrem autobiografischen Roman „So sind wir“ davon erzählt, was es bedeuten kann, die Tochter eines Holocaust-Überlebenden zu sein. Überlebender?

„"Überlebender“ ist ein furchtbares Wort“, findet Gila Lustiger: „Es klammert den Menschen aus der Gesellschaft aus, auch aus der Gegenwart in Deutschland. Es legt ihn auf einen historischen Moment fest und auf eine einzige Tätigkeit, die des Überlebens. Es wischt sein gesamtes Leben aus, davor und danach. " Der Vater darauf: „Ich sehe das nicht so. Das Glück, überlebt zu haben, überlagert für mich alles Negative, was in diesem Begriff stecken mag. "

Es ist dieses ein beeindruckendes, ein teilweise beklemmendes SPIEGEL-Gespräch. Ein Vater und seine Tochter, die sich bisher weitgehend durch ihre Bücher miteinander ausgetauscht haben, sprechen hier über das Schweigen der Nazi-Opfer im Familienkreis – „zum ersten Mal“, wie Arno Lustiger sagte. Zum beklemmendsten in diesem ungewöhnlichen Gespräch gehören zwei Zitate. Eines stammt von einem SS-Mann, der zu Arno Lustiger im Konzentrationslager sagte: „Du wirst es nicht überleben, aber solltest du das überleben, dann wird dir das niemand glauben.“ Das andere Zitat, aus dem Roman von Gila Lustiger: „Wir waren und sind eine Familie, die schonend über die Vergangenheit schweigt.“

Die Wochenzeitung DIE ZEIT brachte einen Artikel des Soziologen Y. Michal Bodemann über „Leben im Zwiespalt“, eine Zustandsbeschreibung vom „neuen Selbstbewusstsein der jüdischen Deutschen“. Er sieht mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Schoah „eine langsam wachsende, zerbrechliche, doch gleichzeitig erstarkende Selbstbehauptung jüdischen Lebens in Deutschland. Selbst Jahrzehnte nach dem Morden sind die Überlebenden und deren Kinder in Deutschland noch von Scham und Angst gezeichnet. "

Es traf sich gut, dass in dieser Woche ein handfestes Signal gegen das Schweigen gesetzt wurde: Ein Preisgericht hat in Berlin entschieden, welcher Architektenentwurf für das Dokumentations- und Studienzentrum „Topographie des Terrors“ realisiert werden soll – da, wo sich unter den Nationalsozialisten Zentralen von SS und Gestapo befanden. „Die schlichte Lösung“ sei zum Zuge gekommen, beurteilte die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG den Entwurf der Architektin Ursula Wilms, der einstweilen „nur in rudimentären Skizzen einsehbar“ sei. „Bereits jetzt lässt sich aber sagen, dass es sich bei der pavillonartigen Architektur um eine auf Funktionalität angelegte Lösung handelt“, schrieb Claudia Schwartz: „Die betont zurückhaltende Gestalt erscheint eher wie die solide Reaktion auf ein jahrelanges Berliner Baudebakel, als dass sie jenes architektonische Zeichen im Namen der Erinnerung setzen dürfte, das in der deutschen Hauptstadt neben Libeskinds Jüdischem Museum und Eisenmans Holocaust-Mahnmal nach der Wende geplant war.“

In Berlin regt man sich immer gerne auf. Und in Zeiten, in denen sich auch seriöse Medien nicht scheuen, längstens und breitestens pekuniäre Details zum Freikauf von entführten Geiseln auszubreiten, darf man sich nicht wundern, wenn eine Realschule Schlagzeilen macht, weil sie möchte, dass ihre Schüler aus aller Herren Länder auf dem Schulhof deutsch sprechen. Das ist zwar schon fast ein Jahr Praxis an der Hoover-Realschule im Berliner Bezirk Wedding – aber manchmal braucht es eben etwas länger, bis sich Medienhysterie so richtig schön entfalten kann; wenngleich es in der aktuellen Berichterstattung wiederum eine Weile dauerte, bis sich herumsprach, dass eine Schulkonferenz einhellig den Beschluss für die deutsche Sprache gefasst hatte. „Es hatte Fälle roher Gewalt an der Schule gegeben“, klärte Regina Mönch in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG auf:

„Immer zwischen Jungengruppen, die sich in verschiedenen Sprachen beschimpften, deren Schlichtung Lehrern wie Mitschülern unmöglich war, weil sie nichts verstanden. Die Sprache wurde als Waffe eingesetzt, um sich abzuschotten, um zu verletzen, ohne dafür verantwortlich gemacht werden zu können. Das sollte sich ändern, beschlossen Schüler, Eltern, Lehrer. Und es hat sich verändert, versichern die Klassensprecher, die immer noch nicht begriffen haben, warum sich plötzlich so viele Erwachsene darüber aufregen, daß Ausländer gut Deutsch sprechen wollen. "