Von Klaus Pokatzky

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hofft darauf, dass der Prozess gegen den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk nicht nur vertagt, sondern auch bald eingestellt wird. Außerdem geht es in den Feuilletons um die aktuelle Folterdebatte.
"Wer auch immer dieses Verfahren einstellt, er wird viel zum Ansehen der Türkei beitragen. "Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hofft, dass der Prozess gegen den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk nicht nur, wie am Freitag vom Istanbuler Gericht verkündet, bis zum 7. Februar ausgesetzt wird, sondern irgendwann im Orkus der Geschichte verschwindet.

"Wenn nicht alles täuscht, sucht die türkische Politik jetzt nach einem Weg, den bereits angerichteten Schaden nicht noch größer werden zu lassen", schrieb Hubert Spiegel.

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG wurde der grüne EU-Parlamentarier Cem Özdemir zitiert, einer der Prozess-Beobachter der Europäischen Union: "Hier…", gemeint ist damit die Türkei, "hier tobt ein Kulturkampf. Zwischen denen, die in die EU wollen und denen, die ins Mittelalter wollen. Wir sind gut beraten, uns auf die Seite derer zu stellen, die nach Europa wollen."

Woran denken wir so zivilisierten EU-Europäer, wenn wir Mittelalter hören? Wir denken schnell an das, was wir aufgeklärten Demokraten überwunden glaubten – auch, wenn wir dem Mittelalter nicht immer gerecht werden, wenn wir mit ihm vor allem Inquisition und Folter und brennende Scheiterhaufen verbinden, die sich übrigens ja auch alle bis ins Jahrhundert der Aufklärung, das 18. nämlich, retten konnten. Nur bis ins 18.?

"Die "innovativen Verhörmethoden" der CIA sind weder neu noch geheim", schrieb in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGS-ZEITUNG Nils Minkmaar, den Begriff "innovative Verhörmethoden" natürlich in Anführungszeichen setzend. Natürlich? Der amerikanische Jura-Professor Alan Dershowitz erklärte sich im Interview mit der ZEIT einerseits als Gegner der Folter. Einerseits. Andererseits wisse er aber, dass ohnehin gefoltert würde – und dieses solle dann wenigstens gesetzlich geordnet geschehen:

"Gäbe es eine förmliche Folterverfügung, wäre es nicht zu Abu Ghraib gekommen und auch nicht zur gegenwärtigen Lage. Es wäre ein klares Signal: Allein der Präsident bestimmt, ob und wann eine außergewöhnliche Notlage, ein Staatsnotstand, besteht. In so einer Lage unterzeichnet er eine Einzellfall-Anweisung. "

Nils Minkmaar hat sich für die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGS-ZEITUNG einige wenige Kilometer aus dem Berliner Regierungsviertel entfernt – und landete so im 1992 gegründeten "Zentrum für Folteropfer". "Es gibt keine Folter light", sagte ihm der Leiter des Zentrums, Franz Janssen: "Sie ist, wie die Menschenwürde, unteilbar." Nils Minkmaar hat auch die einschlägige Literatur studiert – und er erklärt uns ganz sachlich und nüchtern, warum er die Folter im Kampf gegen den Terrorismus, der ja vor allem ein Kampf gegen die Terroristen ist, für vollkommen unsinnig hält.

"Das Al-Qaida-Netzwerk ist zellenartig aufgebaut: Die einzelnen Mitglieder haben gar nichts zu verraten, denn die Ägypter, die diese Struktur ersonnen haben, haben mit der Möglichkeit der Folter immer schon gerechnet. Das Netzwerk ist so angelegt, daß der Gegner umsonst foltert und darum immer mehr foltert. Der beste Weg, etwas über einen Gegner zu erfahren, sind Verräter und Doppelagenten. Die Auslandsspionage der DDR lebte sehr gut davon. Aber je mehr der Westen Unschuldige foltert, desto geringer ist die Bereitschaft von Islamisten, die Seiten zu wechseln. Das Archipel der Folter war eine Falle der islamistischen Terroristen, und der Westen hat sich hineingestürzt. "

Orhan Pamuk hat vor Beginn seines Prozesses in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG beschrieben, wie wir zivilisierten EU-Europäer von seiner Türkei stets verlangen, "daß sich die Demokratie und die Menschenrechte in gleichem Maße auf die EU zubewegen müssen wie die Wirtschaft."
Orhan Pamuk hat zugleich darauf hingewiesen, wie das Ansehen des Westens "durch die Lügen um den Irak-Krieg und die Gerüchte über Folterflüge merklich geschwächt ist." Was bedeutet eigentlich, so möchte man hinzufügen, unsere aktuelle Folterdebatte für unsere EU-Glaubwürdigkeit - wenn wir von der Türkei wünschen, dass sie sich nicht fürs Mittelalter, sondern für Europa entscheiden möge? Ärzte, Therapeuten und Sozialarbeiter haben übrigens 1992 das Zentrum für Folteropfer gegründet, nachdem aus bestimmten Regionen die Gefolterten nach Berlin geflohen waren: "auf der Flucht vor den Balkankriegen, dem Irak, der türkischen Repression oder den innerafrikanischen Kriegen. Dazu kamen die, die schon immer hier lebten: die Stasiopfer. "

13 Jahre später wissen wir, dass unter der letzten Regierungskoalition deutsche Beamte in Foltergefängnissen Vernehmungen durchgeführt haben. Nils Minkmaar in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGS-ZEITUNG:

"Den rüstigen Rentnern von Rot-Grün steht ihre größte politische Krise möglicherweise erst bevor, die Visa-Affäre war ein Witz dagegen."

Oder muss man sagen: die Visa-Affäre wäre ein Witz dagegen gewesen, wenn die starke Unionsfraktion heute noch in der Opposition säße? Einer sitzt auf jeden Fall nun ganz woanders, und zwar sehr weich: "So richtig durchgezogen hat er das. " Ines Geipel gratulierte in der BERLINER ZEITUNG dem Altbundeskanzler Gerhard Schröder:

"Das nennt man politisches Format: erst die intime Reise in den russischen Frühling zu seinem Busenfreund Putin, dann die unerwartete Ausrufung der Neuwahlen, sein herzerfrischendes Wahlsommer-Lachen, der putzmuntere Auftritt am Wahlabend und nun zu guter Letzt die große "Ehrensache" bei Gazprom, als Aufsichtsrats-Chef der Ostsee-Pipeline. Sportiv kannte man ihn ja, den Mittelstürmer beim TuS Talle, aber das, müssen Sie zugeben, war doch mal was Zünftiges. "