Von Klaus Pokatzky

Die "Frankfurter Rundschau" beschäftigt sich mit dem Kopf von Günter Netzer, in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" heißt es, der hessische Ministerpräsident Koch spekuliere gegen die Jugend. Außerdem handelt die selbe Zeitung Margot Käßmann bereits als den "Star des Kirchentags".
"Ich habe noch denselben Friseur wie 1976." Das sagte zur FRANKFURTER RUNDSCHAU Günter Netzer, der Fußball-Kommentator aus dem Fernsehen. Böswillige Menschen würden jetzt sagen: das sieht man, dass der Netzer noch denselben Friseur hat wie vor 34 Jahren – wir nehmen das als schönen Beweis für den menschlichen Konservatismus.

"Was denken Sie, wenn Ihr Publikum nach den einzelnen Sätzen klatscht?", fragt die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG. "Es gibt doch nichts Schöneres für einen Künstler, als wenn sein Publikum nach einem Satz spontan applaudiert", antwortet der Geiger David Garrett im Interview:

"Dieser ganze Firlefanz von wegen man darf nicht zwischen den Sätzen applaudieren, ist eh erst Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden." Auch, wenn wir anderer Meinung sind: Wir nehmen das als schönen Beweis für die Veränderungsbereitschaft des Menschen.

"Manchmal stoße ich in den Tiefen irgendeiner Schublade auf einen Gulden." Das schreibt der niederländische Schriftsteller Leon de Winter im neuen SPIEGEL. "Neulich fand ich sogar einen Hundert-Gulden-Schein. Nein, den tausche ich nicht in Euro um. Ich behalte ihn für die Wiedereinführung des Gulden. Und der D-Mark. Der Lira. Der Drachme. Der EWG." Leon de Winter will die Europäische Union mit ihren 27 Mitgliedsstaaten von Malta bis nach Lappland, von Spanien bis zum Baltikum abschaffen und will die alte EWG zurück: mit Benelux, Italien, Frankreich und Deutschland. "Nicht nur der Terminus Demokratie stammt aus Griechenland", schreibt Leon de Winter: "Auch die Wörter Chaos und Krise."

Die große Krise? "Bewegen wir uns von der Wirtschaftskrise schnurstracks in eine Krise der Demokratie?", fragte die FRANKFURTER RUNDSCHAU. "Ja. Das ist die Entwicklungsrichtung der Krise", antwortete der Historiker Hans-Ulrich Wehler im Interview:

"Sie bewegt sich in einem galoppierenden Tempo über eine Finanz- zur Staatenkrise hin zur Demokratiekrise. Der Hilfsfonds spitzt sie noch weiter zu. In einer solchen Situation ist es ungeheuer wichtig, dass man eine Diskussion führt und dem Bürger die Wahrheit sagt."

Die Wahrheit sagen will uns auf jeden Fall einer unserer Elder Statesmen. "Es gibt einen Mittelweg", meinte in der Tageszeitung DIE WELT Klaus von Dohnanyi in einem "Plädoyer für mehr Klarheit in der deutschen Politik" – der frühere Bundeswissenschaftsminister und Erste Bürgermeister Hamburgs.

"Es gibt einen Mittelweg zwischen banalem Populismus, der sich zum "terrible simplificateur", zum "schrecklichen Vereinfacher" macht, und diesem heute üblichen, leichtfertigen Umgang mit unserer komplizierten Welt."

Klaus von Dohnanyi ist so, wie wir uns einen Politiker wünschen: ein feinsinnig gebildeter Mensch – ein Mann des Mittelwegs gegen den banalen Populismus. Wie müssen wir uns da den völligen Gegenentwurf unter den deutschen Politikern vorstellen?

"Der hessische Ministerpräsident spekuliert gegen die Jugend – und weiß ganz genau, was er da tut."

Das lesen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG über Roland Koch, der in Zeiten der großen Krise gesagt hat, dass bei Forschung, Bildung und Kinderbetreuung gespart werden könnte. "Ein Bürgertum, das auf sich hält, kann da nicht mitmachen", schreibt Frank Schirrmacher, der fürs Kulturelle zuständige Mitherausgeber der FRANKFURTER ALLGEMEINEN. Koch ist für ihn "ein Meister der Zielgruppendemokratie, und er hat ein Gespür für Mehrheitsmeinungen, die sich so lange nicht trauen, Meinung zu sein, ehe einer nicht den Aufreger spielt."

Und die Mehrheit in unserer Gesellschaft, das sind immer mehr die Alten und die Alternden. "Älteren ist es in zunehmendem Maße gleichgültig, wie es jungen Familien, Heranwachsenden und Studierenden geht. Und diese Älteren sind das entscheidende Wählerpotential der Zukunft." Und dann macht Frank Schirrmacher einen originellen Vorschlag für unsere fernseh-mediale Fortbildung:

"Statt jeden Tag den aktuellen Stand des Goldpreises, die Charts des Dax und des Dow Jones zu präsentieren, sollten jeden Abend die Kurven der demographischen Entwicklung eingeblendet werden. Kein großer Aufwand, denn sie verändern sich nicht. Aber es hätte den Vorteil, dass dann auch Dreißigjährige erkennen würden, dass die Debatte um die Ausbildung der künftigen Generation, um Kinderbetreuung und Forschung, eine Debatte um ihr eigenes Altern ist."

Als Frank Schirrmacher noch ein junger Redakteur im Feuilleton der FRANKFURTER ALLGEMEINEN war, schrieb dort ein ebenso junger Musikkritiker unter dem Namen M.O.C. Döpfner. Mathias Oliver Christian Döpfner ist heute Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG. "Axel Springer rechnet mit guten Geschäften", vermeldete die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG – und so hat der Vorstandsvorsitzende auch mal Muße, sich seinen alten Talenten zu widmen. "Plötzlich gelingt eine Phrasierung, ein Spitzenton, ein halber Song. Das Publikum tost. "We love you". Mathias Döpfner war beim Berliner Konzert von Whitney Houston und beschrieb in der WELT "Höllensturz und Himmelfahrt". Vor dem "We love you" hatte es heftige Buhs gegeben. "Das Publikum nimmt sich, was es will", schrieb Mathias Döpfner – und dieser Satz, samt der Überschrift von "Höllensturz und Himmelfahrt" passt natürlich bestens auch auf andere Damen.

"Margot Käßmann, so wird aus München gemeldet, ist nämlich der Star des Kirchentags, sie ist jetzt, als reuige Sünderin, noch populärer, als es die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche jemals war." Das lesen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG. "Afghanistan: schlecht. Pille: toll", fasst Claudius Seidl zusammen und bekennt: "Wer da seinen Kopf einschaltet und sagt: ganz so einfach ist das alles nicht – der kann nur ein Mann sein oder, schlimmer noch: ein Katholik." Vielleicht passt ja auch einfach da zu Margot Käßmann, was Mathias Döpfner zu Whitney Houston geschrieben hat: "Alle Angst, alle Qual ist von ihr abgefallen."

Oder man kann gleich das schöne Sprichwort sagen: Und ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt sich's völlig ungeniert.