Von Klaus Pokatzky
Ein Text des jungen Albert Camus über journalistische Tugenden, Frauenquoten für Orchester und das Buch "Der Kulturinfarkt" - die Feuilleton-Debatten der vergangenen Woche.
"Klarsicht, Verweigerung, Ironie und Hartnäckigkeit." Diese vier Grundsätze einer jeden Kulturpresseschau lasen wir in der "SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG" – und "so sah Albert Camus im November 1939 die vier journalistischen Kardinaltugenden." Ein Text des damals jungen Journalisten Albert Camus ist jetzt in den Archiven aufgetaucht. "Das sind die vier Gebote des Journalismus nach Albert Camus", brachte es die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG auf den Punkt: "Klarheit, Ironie, Verweigerung und Hartnäckigkeit."
Aufmerksame Hörer werden gemerkt haben, dass aus der süddeutschen "Klarsicht" eine Frankfurter "Klarheit" wird – und dass die Reihenfolge von "Verweigerung" und "Ironie" vertauscht wurde. Egal: Wir geloben wieder einmal klare Hartnäckigkeit und bemühen uns um Ironie. Doch erst einmal verweigern wir uns.
"Nur wenige finden mich noch lieb." Das schrieb Harald Jähner in der FRANKFURTER RUNDSCHAU. "Früher bekam ich viele Briefe, die begannen mit diesem vertraulichen Wort "Lieber!" Lieber Herr Jähner." Doch heute gibt es kaum noch Briefe, dafür umso mehr Emails. Und da wird nicht mehr geliebt. "'Hallo Herr Jähner!', heißt es dafür immer häufiger. Oder gar Ahoi. Selbst in Geschäftsbeziehungen der ganz anonymen Art dominiert das plumpe Hallo: 'Hallo Herr Jähner, nach unserem gestrigen Gespräch kann ich Ihnen heute folgende Särge anbieten'." Wir haben unseren Kollegen Harald Jähner lieb – und verweigern uns dem "Hallo". Hartnäckig.
"Wir wollen mit Ihnen über Musik sprechen." Das sagte die Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT zum Dirigenten Daniel Barenboim. "Dann muss ich mir erst eine Zigarre anzünden", sagte der und schritt alsdann zur Tat, wie uns DIE ZEIT liebevoll beschreibt: "Er schneidet eine Zigarre ab und greift zu einem Gasfeuerzeug, das aussieht wie ein Damenrevolver. Er hantiert geschickt."
Der Damenrevolver in Gestalt eines Gasfeuerzeuges führt dann gleich zur nächsten Frage; Deutschland diskutiert schließlich wieder einmal eine Frauenquote. "Hat Ihr Haus, die Berliner Staatsoper, eine Frauenquote?", fragt die Interviewerin Christine Lemke-Matwey. "In den meisten Orchestern sitzen heute mehr Frauen als Männer", antwortet der Zigarrenraucher: "Wenn überhaupt, dann müsste man eine Männerquote einführen, wir brauchen in Zukunft wieder mehr junge Männer, die so gut ausgebildet sind und so fleißig und ehrgeizig wie viele gleichaltrige Frauen."
Das ist leicht ironisch übertrieben. "1987 gab es 12 Prozent Frauen in den deutschen Kulturorchestern, heute sind es mehr als 36 Prozent", klärte uns der Berliner TAGESSPIEGEL zum Thema auf – aber: "Morgen werden sie die Hälfte stellen, übermorgen mehr als das." Daniel Barenboim hat also einen Blick in die Zukunft geworfen.
Zur Gegenwart gehört einstweilen noch das, was wir in der Tageszeitung TAZ zum Thema Geschlechter lesen konnten: "Jungen wollen Autos, Mädchen einen Kinderherd", meinte die Psychologin Cordelia Fine. "Mütter planen bereits vor der Geburt von ihren Töchtern, wie schön sie sie später anziehen werden. Und Väter erwarten von Söhnen, dass sie mit ihnen Sport treiben werden." Und wo bleibt da die Musik, Frau Psychologin? "Wenn man ihnen sagt, ein Xylofon ist ein Jungenspielzeug, spielen Jungen dreimal so lang damit, als wenn es als Mädchenspielzeug tituliert wird."
Da bleibt also viel zu tun für Daniel Barenboim. Ob es seine Berliner Staatsoper übermorgen noch gibt, wenn Frauen in unseren Orchestern in der Mehrzahl sind, ist ja noch die Frage. Seien wir da mal hartnäckig. "Muss ein schrumpfendes Land bei knappen Kassen eine uferlose Staatskultur finanzieren?" Das fragte die Tageszeitung DIE WELT zu dem Feuilletonthema der Woche: dem Buch "Der Kulturinfarkt" von vier Kulturmanagern, die provozierend eine Verschlankung des deutschen Kulturbetriebes forderten.
"Dabei zielt ihr Plädoyer für eine Neu- und Umverteilung auf eine Konzentration, nicht eine Kürzung der Mittel", fasste Joachim Güntner das in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG zusammen: "Schließen wir doch ruhig die Hälfte der Kulturinstitutionen und stecken das dabei gesparte Geld teils in die andere, selbstredend bessere Hälfte, teils in innovative, bisher unterentwickelte Bereiche."
Da schlug der Kulturbetrieb natürlich zurück. "Obszöne Ideen", empörte sich Oliver Reese, der Intendant am Schauspiel Frankfurt. "Die selbsternannten Kulturbesserwisser werfen alles in einen Topf – dabei gelten für die prächtig ausgestattete Bayerische Staatsoper ganz andere Bedingungen als beispielsweise für das um sein Überleben kämpfende Theater Schwerin", schrieb er in der FRANKFURTER RUNDSCHAU: "Gerade in kleineren Städten bilden gewachsene Kulturen die oft einzigen markanten Wiedererkennungselemente."
Wo bleibt da die Politik? "Von Kultur, von den Künsten können wir gar nicht genug haben!", meinte im TAGESSPIEGEL Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestages. "Wissen Sie, ich bin doch als Argentinierin nicht nach Deutschland gezogen, weil hier so gutes Wetter ist oder das Essen so toll oder die Leute so freundlich sind oder so gut angezogen." Das hatte Hortensia Völkers zur FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG gesagt – die Direktorin der Bundeskulturstiftung, die aus Buenos Aires stammt und 1975 nach Deutschland kam. "Ich bin hier, weil es einmalig ist, was hier an Kultur produziert wird. Wenn es das nicht gäbe, bin ich weg."
Das war nicht ironisch. Das war erfreulich klar und hartnäckig.
Aufmerksame Hörer werden gemerkt haben, dass aus der süddeutschen "Klarsicht" eine Frankfurter "Klarheit" wird – und dass die Reihenfolge von "Verweigerung" und "Ironie" vertauscht wurde. Egal: Wir geloben wieder einmal klare Hartnäckigkeit und bemühen uns um Ironie. Doch erst einmal verweigern wir uns.
"Nur wenige finden mich noch lieb." Das schrieb Harald Jähner in der FRANKFURTER RUNDSCHAU. "Früher bekam ich viele Briefe, die begannen mit diesem vertraulichen Wort "Lieber!" Lieber Herr Jähner." Doch heute gibt es kaum noch Briefe, dafür umso mehr Emails. Und da wird nicht mehr geliebt. "'Hallo Herr Jähner!', heißt es dafür immer häufiger. Oder gar Ahoi. Selbst in Geschäftsbeziehungen der ganz anonymen Art dominiert das plumpe Hallo: 'Hallo Herr Jähner, nach unserem gestrigen Gespräch kann ich Ihnen heute folgende Särge anbieten'." Wir haben unseren Kollegen Harald Jähner lieb – und verweigern uns dem "Hallo". Hartnäckig.
"Wir wollen mit Ihnen über Musik sprechen." Das sagte die Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT zum Dirigenten Daniel Barenboim. "Dann muss ich mir erst eine Zigarre anzünden", sagte der und schritt alsdann zur Tat, wie uns DIE ZEIT liebevoll beschreibt: "Er schneidet eine Zigarre ab und greift zu einem Gasfeuerzeug, das aussieht wie ein Damenrevolver. Er hantiert geschickt."
Der Damenrevolver in Gestalt eines Gasfeuerzeuges führt dann gleich zur nächsten Frage; Deutschland diskutiert schließlich wieder einmal eine Frauenquote. "Hat Ihr Haus, die Berliner Staatsoper, eine Frauenquote?", fragt die Interviewerin Christine Lemke-Matwey. "In den meisten Orchestern sitzen heute mehr Frauen als Männer", antwortet der Zigarrenraucher: "Wenn überhaupt, dann müsste man eine Männerquote einführen, wir brauchen in Zukunft wieder mehr junge Männer, die so gut ausgebildet sind und so fleißig und ehrgeizig wie viele gleichaltrige Frauen."
Das ist leicht ironisch übertrieben. "1987 gab es 12 Prozent Frauen in den deutschen Kulturorchestern, heute sind es mehr als 36 Prozent", klärte uns der Berliner TAGESSPIEGEL zum Thema auf – aber: "Morgen werden sie die Hälfte stellen, übermorgen mehr als das." Daniel Barenboim hat also einen Blick in die Zukunft geworfen.
Zur Gegenwart gehört einstweilen noch das, was wir in der Tageszeitung TAZ zum Thema Geschlechter lesen konnten: "Jungen wollen Autos, Mädchen einen Kinderherd", meinte die Psychologin Cordelia Fine. "Mütter planen bereits vor der Geburt von ihren Töchtern, wie schön sie sie später anziehen werden. Und Väter erwarten von Söhnen, dass sie mit ihnen Sport treiben werden." Und wo bleibt da die Musik, Frau Psychologin? "Wenn man ihnen sagt, ein Xylofon ist ein Jungenspielzeug, spielen Jungen dreimal so lang damit, als wenn es als Mädchenspielzeug tituliert wird."
Da bleibt also viel zu tun für Daniel Barenboim. Ob es seine Berliner Staatsoper übermorgen noch gibt, wenn Frauen in unseren Orchestern in der Mehrzahl sind, ist ja noch die Frage. Seien wir da mal hartnäckig. "Muss ein schrumpfendes Land bei knappen Kassen eine uferlose Staatskultur finanzieren?" Das fragte die Tageszeitung DIE WELT zu dem Feuilletonthema der Woche: dem Buch "Der Kulturinfarkt" von vier Kulturmanagern, die provozierend eine Verschlankung des deutschen Kulturbetriebes forderten.
"Dabei zielt ihr Plädoyer für eine Neu- und Umverteilung auf eine Konzentration, nicht eine Kürzung der Mittel", fasste Joachim Güntner das in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG zusammen: "Schließen wir doch ruhig die Hälfte der Kulturinstitutionen und stecken das dabei gesparte Geld teils in die andere, selbstredend bessere Hälfte, teils in innovative, bisher unterentwickelte Bereiche."
Da schlug der Kulturbetrieb natürlich zurück. "Obszöne Ideen", empörte sich Oliver Reese, der Intendant am Schauspiel Frankfurt. "Die selbsternannten Kulturbesserwisser werfen alles in einen Topf – dabei gelten für die prächtig ausgestattete Bayerische Staatsoper ganz andere Bedingungen als beispielsweise für das um sein Überleben kämpfende Theater Schwerin", schrieb er in der FRANKFURTER RUNDSCHAU: "Gerade in kleineren Städten bilden gewachsene Kulturen die oft einzigen markanten Wiedererkennungselemente."
Wo bleibt da die Politik? "Von Kultur, von den Künsten können wir gar nicht genug haben!", meinte im TAGESSPIEGEL Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestages. "Wissen Sie, ich bin doch als Argentinierin nicht nach Deutschland gezogen, weil hier so gutes Wetter ist oder das Essen so toll oder die Leute so freundlich sind oder so gut angezogen." Das hatte Hortensia Völkers zur FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG gesagt – die Direktorin der Bundeskulturstiftung, die aus Buenos Aires stammt und 1975 nach Deutschland kam. "Ich bin hier, weil es einmalig ist, was hier an Kultur produziert wird. Wenn es das nicht gäbe, bin ich weg."
Das war nicht ironisch. Das war erfreulich klar und hartnäckig.