Von Klaus Pokatzky

Das Feuilleton würdigt den Freispruch für Jonathan Meese in Sachen Hitlergruß und gratuliert dem Dichter Reiner Kunze, der heute achtzig wird. Die "taz" berichtet, dass der Stadtsoziologe Andrej Holm eine Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wurde.
Die Anklage war eine Farce, lesen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG,

"der Freispruch erwartbar, aber vielleicht muss man die Aufwendung von Steuergeldern für einen derartigen Prozess auch einfach als verkappte Form staatlicher Künstlerförderung sehen."

Das gedruckte Feuilleton, an dessen Redaktionsschluss sich Gerichte mit ihren Urteilen nicht immer halten, würdigt noch einmal den Freispruch für Jonathan Meese in Sachen Hitlergruß. Still war es um den Künstler geworden, meint Niklas Maak,

"bis die Staatsanwaltschaft ihm den Gefallen tat, in seinem Treiben einen Skandal zu entdecken."

Die Tageszeitung DIE WELT weist auf eine politische Unkorrektheit der verbalen und der kulinarischen Art hin.

"In der Kunst ist nicht nur der Hitlergruß erlaubt, dort darf auch ein 'Zigeunerbaron' weiterhin so heißen","

schreibt Matthias Heine - und klärt uns dann über eine Initiative auf, die es im Gegensatz zu Jonathan Meese nicht in die Schlagzeilen geschafft hat. Eine Sinti-und-Roma-Organisation aus Hannover hat die deutschen Lebensmittelfabrikanten aufgefordert, dass sie ihre als "Zigeunersauce" etikettierten Leckereien doch bitte weniger diskriminierend nennen mögen.

""Die Zigeunersauce soll nun dem Negerkuss, dem Mohrenkopf und dem Granatsplitter, einem Restegebäck, auf dem Weg in die Vergessenheit folgen,"

meint Matthias Heine.

"Sie wurden als rassistisch und militaristisch gebannt. Dagegen darf der Amerikaner immer noch so heißen, weil das namengebende Volk keinen Minderheitenschutz genießt."

Mit dem Amerikaner verbinden wir im Moment eher weniger eine leckere klebrige Süßigkeit - sondern drei hässliche Buchstaben: NSA. Und die könnten ganz schnell an jedem von uns kleben in Zeiten der allumfassenden Kommunikationsüberwachung.

"Dem Stadtsoziologen Andrej Holm von der Berliner Humboldt-Universität wurde eine Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, weil sich Begriffe in Bekennerschreiben mit denen in Holms wissenschaftlichen Publikationen deckten,"

teilt uns die Tageszeitung TAZ mit.

"Das Prinzip, wonach jedem mutmaßlichen Täter erst einmal nachgewiesen werden muss, dass er eine Tat begangen hat, eine Grundlage jedes Rechtsstaats, dreht sich damit nun um,"

meint Svenja Bergt.

"Denn jetzt muss der Verdächtigte beweisen, dass er unschuldig ist."

Es geht aber noch viel doller, es kann noch viel schlimmer kommen, wenn das realisiert wird, was Svenja Bergt als neue Techniken an unseren Flughäfen prophezeit.

"Geplant sind Geräte, die anhand von Körperdaten der Passagiere, etwa Herzfrequenz, Stimmhöhe und Atmung, feststellen sollen, wann jemand besonders nervös - und damit ein potenzieller Terrorist ist. Alle, die unter Flugangst leiden, dürften also wohl mit verstärkten Kontrollen rechnen."

Dann checken wir am besten auf dem Flughafen Berlin-Brandenburg ein oder fahren besser noch mit dem ICE durch Mainz. Da passiert uns nichts. Da passiert nämlich gar nichts.

"Das kritische Gewissen der deutsch-deutschen Gegenwart,"

wie die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG den Dichter Reiner Kunze nennt, wird achtzig, der Autor der "Wunderbaren Jahre" von 1976.

"Ein Markierungsstein in der deutsch-deutschen Geschichte,"

so die BERLINER ZEITUNG: "'Wirklichkeitsprotokolle' vom Wehrunterricht in der DDR-Schule," schreibt Cornelia Geissler,

"von der Diskriminierung kritischer Jugendlicher durch beflissene Direktoren im Osten."

Erscheinen konnte der Band nur im Westen; in der DDR, der Heimat von Reiner Kunze, konnten "Die wunderbaren Jahre" nur von Hand zu Hand weitergereicht werden.

"Das Buch bildete die Seele einer ganzen, zwischen 1950 und 1960 geborenen Generation in der DDR ab,"

schreibt im Berliner TAGESSPIEGEL der CDU-Politiker Arnold Vaatz.

"Nie hat mich ein Buch stärker beeindruckt, keines habe ich öfter von vorn bis hinten gelesen."

Glückwunsch!