Von Karrieristen, Stiefelleckern, Säufern und Selbstmördern

Der Roman ist eine Art fiktiver Monolog eines kleinen Mädchens in der böhmischen Kleinstadt Nicin während der so genannten Normalisierung. Einer Zeit, die nach der Niederschlagung des Prager Frühlings von einer dumpfen, politisch gleichgeschalteten Gesellschaft geprägt war. Die Doppelmoral der Erwachsenen, ihre Heuchelei und Anpassungsfähigkeit entlarvt das Mädchen in kleinen, heiteren Episoden.
Mit ihrem zweiten Roman "Der tapfere Bella Tschau" hat die 1964 geborene Irena Dousková in ihrem Heimatland 1998 den literarischen Durchbruch geschafft, nicht zuletzt aufgrund einer Bühnenfassung des Romans, der den Stoff in breiten Kreisen sehr populär gemacht hat. Es folgten im Zweijahres-Rhythmus weitere erfolgreiche Romane und Erzählungen, zuletzt 2006 "Onegin war ein Russe", das an den hier vorgestellten Roman inhaltlich anknüpft.

Irena Dousková, die Jura studiert hat, arbeitet heute als freie Autorin und ist gleichzeitig Redakteurin einer jüdischen Monatszeitschrift in Prag. Sie gilt als eine Art weibliches Pendant zum Erfolgsschriftsteller Michal Viewegh - mit dem Unterschied, daß ihre Bücher bei aller Leichtfüßigkeit und Unterhaltsamkeit eine große Ernsthaftigkeit aufweisen.

Ihr stark autobiographisch gefärbtes Erfolgsbuch "Der tapfere Bella Tschau" ist eine Art fiktiver Monolog eines knapp neunjährigen Mädchens, das die zweite Klasse der böhmischen Kleinstadt Nicin zu Zeiten der sogenannten Normalisierung besucht - einer Zeit, die nach Niederschlagung des Prager Frühlings von einer dumpfen, politisch gleichgeschalteten Gesellschaft geprägt war.

Helena, die junge Ich-Erzählerin, hat es nicht leicht: Nicht nur wird sie wegen ihrer Figur als Mobydick gehänselt und findet nur schwer Freunde - auch die Lehrer und einige andere Erwachsene lassen sie spüren, daß ihr leiblicher Vater Jude ist und in den USA lebt und daß ihre Mutter und deren Freund nicht linientreu sind: Die beiden arbeiten am lokalen Theater und werden aufgrund ihrer mangelnden Bereitschaft, sich kommunistisch zu engagieren, extrem benachteiligt. Der Mutter wird schließlich sogar das Engagement gekündigt, ihr bitterer, verzweifelter Protest dagegen bleibt erfolglos und so zieht die Familie am Ende des Romans schließlich nach Prag und wagt einen Neuanfang.

Ganz aus der Augenhöhe einer Zweitklässlerin beschreibt die Autorin in zwanzig Kapiteln diese und andere Ereignisse, die für das Mädchen von Bedeutung sind- ob es der Tod einer Mitschülerin ist oder die Erlebnisse mit dem verständnisvollen Großvater. Irena Dousková schafft es trotz der kindlichen Sprache und der begrenzten Sicht des Mädchens, den erwachsenen Leser in seinen Bann zu ziehen (das Buch ist auch nicht als Kinder-oder Jugendliteratur verfasst worden!). Das gelingt ihr vor allem durch den Humor, den dieses Buch enthält und die Wahrheiten, die das Kind in seiner unverstellten, unkorrumpierten Wahrnehmung ausspricht.

Die Doppelmoral der Erwachsenen, ihre Heuchelei und Anpassungsfähigkeit entlarvt das Mädchen in kleinen, heiteren Episoden, die in ihrer Gesamtheit eine treffende Milieustudie der frühen 70er Jahre darstellen. Helena hört Gespräche über ihren Vater mit, und schnappt dabei das Wort "Mischling" auf, mit dem ihre Großmutter scheinbar wohlmeinend Helenas Intelligenz als Tochter eines Juden und einer Tschechin begründet. Von dem Mädchen darauf angesprochen, was denn ein Mischling genau sei, nennt die Oma ihr das Beispiel des Maulesels.

Helena beschreibt ebenso die mangelnde Zivilcourage ihrer Lehrerinnen, die zwar die Zeichnungen des Mädchens als die besten einschätzen, aus Furcht vor ihren Vorgesetzten Helenas Bilder aber lieber nicht aufhängen. In Helenas Umfeld gibt es die ganze Palette von Menschen: von den Karrieristen und Stiefelleckern bis hin zu denen, die sich zu Tode saufen oder umbringen. Sie alle werden sehr direkt, sehr plastisch beschrieben, ganz ohne Larmoyanz. Das macht das besondere Lesevergnügen aus- vorausgesetzt, man interessiert sich für die exzellente Darstellung einer kindlichen Psyche und die Zeit der Normalisierung in der Tschechoslowakei.

Rezensiert von Olga Hochweis


Irena Dousková : Der tapfere Bella Tschau
Übersetzt von Mirko Kraetsch.
dtv premium, München 2006, 178 Seiten, 14 Euro