Von Jungfernschönchen und Goldparmänen

Von Katrin Lechler |
Eine Arche Noah der Äpfel - so könnte man den kleinen Ort Müncheberg bei Frankfurt (Oder) nennen, denn in der Brandenburger Obst-Versuchsstation lagert das genetische Material von über 2000 Apfelsorten. Aber die Sorten sind nicht nur sorgfältig archiviert, sie werden auch neu angepflanzt.
Reihen von knorrigen Apfelbäumen und frisch gepflanzten Setzlingen ziehen sich über das sanft geschwungene Land. Der sogenannte "Mutterreiser-Garten" ist Teil der Apfel-Versuchsstation Müncheberg" und sieht aus wie eine ganz gewöhnliche Obstplantage. An den Garten grenzen ein niedriges Verwaltungsgebäude und ein Kühlhaus. Hilmar Schwärzel, der Leiter der Versuchsstation, öffnet die Tür des Kühlraums – und der Duft von eingelagerten Äpfeln erfüllt die Luft. Er greift in eine der Kisten. Um die alten Apfelsorten sichern zu können, müssen sie erst einmal identifiziert werden. Er zeigt am Beispiel des Grünen Fürstenapfels, wie er dabei vorgeht:

"Man nimmt den Apfel in die Hand und testet schon mal die Druckfestigkeit. Allein, wenn Sie den Daumen über die Frucht gleiten lassen, merken sie - die Schalenstruktur: Es ist ein glattschaliger Apfel.
Wenn Sie jetzt den Apfel drehen, im Querdurchschnitt ist dieser Apfel fast kreisrund. Er hat eine sehr enge, aber nur leicht eingesenkte Stielgrube. Der Stil ist leicht wollig, behaart."

All diese Eigenschaften helfen Schwärzel bei der Apfelbestimmung. Um den Grünen Fürstenapfel, aber auch ähnlich alte Sorten wie die Goldparmäne, die Auralia oder den Danziger Kant-Apfel zu identifizieren, hortet Hilmar Schwärzel in seinem Büro ein ganzes Regal voller Nachschlagewerke. Die meisten stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, sind vergilbt und haben zerrissene Einbände. Der promovierte Baumschulgärtner beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Äpfeln. Er gehört zur aussterbenden Spezies der Pomologen, der Apfelkundler. Wenn er neue, unbekannte Sorte bekommt, tastet, riecht und schmeckt er sich an die Frucht heran:

"Erstmal kosten. Man hat einen solchen Apfel mitunter Monate auf dem Tisch, man betreibt pomologische Studien und schickt sie an Mitstreiter. Wir haben im vorigen Jahr von unserem Landwirtschaftsminister eine Fruchtprobe zugeschickt bekommen. Das ist eigentlich keine richtig typische Baumanns-Renette. Dann geht man so vor: Man nimmt zur Sicherung einen Reis oder zwei ab und veredelt aus diesem Material einen Baum."

Dabei wird ein Reis, also ein junger Trieb mit einem anderen Baum vereinigt. Auf diese Weise ist im Müncheberger Mutterreisergarten Baumreihe um Baumreihe entstanden. Vor 15 Jahren hat das Land Brandenburg damit begonnen, im großen Umfang alte Apfelsorten zu sammeln. Heute sind auf einer Fläche von zweieinhalb Hektar etwa 1000 verschiedene Sorten vertreten. Einige davon sind schon in den 1930er Jahren angepflanzt worden. Dort liegen nämlich die Ursprünge des Gartens. Damals wurde Müncheberg zum Standort der Reichszüchtung, weil es sich geographisch genau in der Mitte des Deutschen Reiches befand.

Längst sind nicht mehr nur regionale Sorten im Garten zu finden. Das geschmackliche Spektrum reicht vom Baltischen bis ins Schweizerische und den französisch-belgischen Raum hinein.

"Es gibt Sorten, die richtig süß sind und einen Kontrast zu den Zitrusfrüchten darstellen. Dann gibt es eine ganze Sortengruppe, die ausgeglichen süß-säuerlich-aromatisch ist. Grafensteinen, ein Dömener Herbstrosen-Apfel, ein Berner Rosenapfel - das sind Äpfel, die wunderbar duften und ein mild ausgeglichenes Zuckersäure-Verhältnis und eine Aromafülle aufweisen. Wem das aber alles zu latschig und zu weich ist, der wird dann auf von der Fruchtfleischkonstistenz festere Äpfel zurückgreifen. Aus dem alten Sortiment wäre da ein Berlepsch zu nennen, wo wir diese fruchtig-säuerlich betonte Note haben in Kombination mit einer sehr guten Bissfestigkeit."

Geschmacksdimensionen, gegen die kein Supermarkt-Apfel ankommt. Für manche regionale Spezialität, wie zum Beispiel die Werdersche Wachsrenette, kam der Einsatz der Brandenburger leider zu spät. Sie gilt als unwiederbringlich verloren. Doch vor allem sollen nun die vorhandenen Sorten wieder im Land verbreitet werden. Deshalb werden in Müncheberg Saatgut und Reiser zum Veredeln eigener Bäume an Liebhaber und Hobbygärtner kostenlos abgegeben. Und wer einfach nur auf der Suche nach dem Geschmack von Äpfeln aus Großmutters Garten ist, der kann sich an dem so genannten "Forschungsabfall" versuchen: Über 50 Tonnen seltener Äpfel werden in Müncheberg jährlich geerntet und können zum Abholerpreis erworben werden.