Von Jochen Thies
In der "Süddeutschen Zeitung" geht es erneut um die Leitkulturdebatte und die Sehnsucht der Deutschen nach einem positiven Selbstgefühl. Die "Welt" betrachtet den Schrumpfungsprozess bei der klassischen Erwerbsarbeit unter dem Gesichtspunkt der Melancholie. Und die "Frankfurter Allgemeine" befasst sich mit dem fundamentalen Gesellschaftswandel in Europa.
"Völker werben durch ihre Faulheiten, nicht durch ihren Fleiß", hat Hartmut Plessner, Verfasser des Buches 'Die verspätete Nation' vor vielen Jahren geschrieben, und damit ein Dilemma der Deutschen beschrieben, die sich nach dem Willen der Union erneut mit der Problematik der Leitkultur befassen sollen.
Auf die kürzlich wieder einmal aufgeflammte Diskussion geht Gustav Seibt in der SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ein und schreibt:
"Wahrscheinlich hat Deutschland längst wieder eine nationale Farbe, ein positives Selbstgefühl, und man wird es rückblickend identifizieren können. Aber nach allem, was in der deutschen Geschichte geschehen ist, wird es einen gebrochenen, tragischen Zug behalten, so wie es jetzt beispielsweise das berührend patriotische Buch von Wolfgang Büscher, "Deutschland, eine Reise", vorgeführt hat. Nur: werden wir damit, mit dieser Gebrochenheit, kernige Türken gewinnen können? Die ewige Antwort auf alle Leitkultur-Sehnsüchte wird bleiben: Wer man historisch ist, kann man sich nicht aussuchen, und der Geist weht ohnehin, wo er will. Der Rest ist, wenn es gut geht, freundlicher Alltag."
Wolf Lepenies betrachtet in der WELT den Schrumpfungsprozess bei der klassischen Erwerbsarbeit unter dem Gesichtspunkt der Melancholie. Europa gilt in der Selbst- wie in der Fremdbeschreibung als melancholischer Kontinent, merkt er zutreffend an und in den aktuellen amerikanisch-europäischen Spannungen werde lustvoll darauf zurückgegriffen. Lepenies kommt zu dem pessimistischen Schluss, dass der massenhafte Verlust von Arbeitsplätzen in Europa melancholische Dispositionen freisetzt - "mit der Folge persönlicher Resignation und politischer Apathie. Melancholische Neigungen zu kontrollieren, bedeutet jetzt für jeden Einzelnen eine unerhörte Herausforderung. Die Menschen müssen versuchen, Engagements zu finden und Spannungen aufzubauen, deren Bewältigung als Ersatz der klassischen Erwerbsarbeit dienen kann. Ihre Auszeichnung als Temperament der Elite hat die Melancholie damit endgültig verloren" stellt Lepenies fest. "Sie hat sich demokratisiert."
Andrian Kreye befragt in der SÜDDEUTSCHE ZEITUNG den amerikanischen Wissenschaftsjournalisten Chris Mooney, Autor des Buches: 'The Republican War Against Science', der Krieg der Republikaner gegen die Wissenschaften. Auf die Frage Kreyes nach den Gründen antwortet Mooney:
"Die Republikanische Partei von heute ist die Partei der modernen Konservativen in Amerika, und zu ihrer Klientel gehört die Wirtschaft und die christliche Rechte. Die Wirtschaft greift die Wissenschaften immer dann an, wenn sie befürchtet, dass neue Erkenntnisse zu staatlichen Vorschriften führen könnten."
Mooney bestätigt im weiteren Verlauf des Interviews, dass das Thema Erderwärmung zu den umkämpften Fragen gehört. Zu den Konsequenzen für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort USA befragt, meint Mooney:
"Ich glaube, dass wir uns bald Gedanken machen müssen, ob wir in bestimmten Wissenschaftszweigen noch konkurrenzfähig bleiben können. Dazu gibt es auch schon eine Studie der National Academy of Science. In der Stammzellenforschung nutzen andere Länder wie Korea und Israel das auch schon aus."
Michael Jeismann befasst sich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN mit dem fundamentalen Gesellschaftswandel in Europa und beginnt so:
"Zuerst eine Zahl. Sie ist ganz und gar unglaublich, und sie löst hierzulande, bei den Innenministerien der Länder, nur ungläubiges Kopfschütteln aus. Neuntausend Polizeiwagen sind seit Anfang des Jahres in Frankreich in Brand gesteckt worden oder sonstwie zerstört worden…Im Schnitt zwischen zwanzig und dreißig Wagen täglich werden angezündet. Ein französisches Problem? Ja, aber die Zahl von neuntausend zerstörten Polizeiwagen in nicht einmal zehn Monaten setzt ein Ausrufungszeichen, das man in der Europäischen Union nicht abtun kann als ein nationales Sonderproblem."
Man könnte in diesen Tagen, so sei hinzugefügt, auch auf Ceuta und Melilla hinweisen, das keineswegs ein spanisches Problem allein ist. In Hampton Court standen beim EU-Gipfel in dieser Woche aber andere Themen im Vordergrund. Europa wirkt müde.
Eine ungewöhnliche Form wählt der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Ulrich Klose. Er widmet seinem Parteifreund und Kanzler in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN das Gedicht: 'Im Herbst des Kanzlers'.
"Ein neuer Herbst mit Last und Tücken, private Last, die Tücke allgemein.
Der Kanzler geht (nicht ganz) aus freien Stücken, die neue Kanzlerin tritt ein.
Sie tritt ins Bild und bleibt im Bilde, begleitet überall und nie allein.
Er lernt mit expressiver Milde, nicht mehr bedeutungsvoll zu sein.
Im Herbst des Kanzlers und im Spiel der Farben, die gelb und rot und ach so herrlich sind,
öffnen und schließen sich die Narben, eh' noch das Spiel von vorn beginnt."
Auf die kürzlich wieder einmal aufgeflammte Diskussion geht Gustav Seibt in der SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ein und schreibt:
"Wahrscheinlich hat Deutschland längst wieder eine nationale Farbe, ein positives Selbstgefühl, und man wird es rückblickend identifizieren können. Aber nach allem, was in der deutschen Geschichte geschehen ist, wird es einen gebrochenen, tragischen Zug behalten, so wie es jetzt beispielsweise das berührend patriotische Buch von Wolfgang Büscher, "Deutschland, eine Reise", vorgeführt hat. Nur: werden wir damit, mit dieser Gebrochenheit, kernige Türken gewinnen können? Die ewige Antwort auf alle Leitkultur-Sehnsüchte wird bleiben: Wer man historisch ist, kann man sich nicht aussuchen, und der Geist weht ohnehin, wo er will. Der Rest ist, wenn es gut geht, freundlicher Alltag."
Wolf Lepenies betrachtet in der WELT den Schrumpfungsprozess bei der klassischen Erwerbsarbeit unter dem Gesichtspunkt der Melancholie. Europa gilt in der Selbst- wie in der Fremdbeschreibung als melancholischer Kontinent, merkt er zutreffend an und in den aktuellen amerikanisch-europäischen Spannungen werde lustvoll darauf zurückgegriffen. Lepenies kommt zu dem pessimistischen Schluss, dass der massenhafte Verlust von Arbeitsplätzen in Europa melancholische Dispositionen freisetzt - "mit der Folge persönlicher Resignation und politischer Apathie. Melancholische Neigungen zu kontrollieren, bedeutet jetzt für jeden Einzelnen eine unerhörte Herausforderung. Die Menschen müssen versuchen, Engagements zu finden und Spannungen aufzubauen, deren Bewältigung als Ersatz der klassischen Erwerbsarbeit dienen kann. Ihre Auszeichnung als Temperament der Elite hat die Melancholie damit endgültig verloren" stellt Lepenies fest. "Sie hat sich demokratisiert."
Andrian Kreye befragt in der SÜDDEUTSCHE ZEITUNG den amerikanischen Wissenschaftsjournalisten Chris Mooney, Autor des Buches: 'The Republican War Against Science', der Krieg der Republikaner gegen die Wissenschaften. Auf die Frage Kreyes nach den Gründen antwortet Mooney:
"Die Republikanische Partei von heute ist die Partei der modernen Konservativen in Amerika, und zu ihrer Klientel gehört die Wirtschaft und die christliche Rechte. Die Wirtschaft greift die Wissenschaften immer dann an, wenn sie befürchtet, dass neue Erkenntnisse zu staatlichen Vorschriften führen könnten."
Mooney bestätigt im weiteren Verlauf des Interviews, dass das Thema Erderwärmung zu den umkämpften Fragen gehört. Zu den Konsequenzen für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort USA befragt, meint Mooney:
"Ich glaube, dass wir uns bald Gedanken machen müssen, ob wir in bestimmten Wissenschaftszweigen noch konkurrenzfähig bleiben können. Dazu gibt es auch schon eine Studie der National Academy of Science. In der Stammzellenforschung nutzen andere Länder wie Korea und Israel das auch schon aus."
Michael Jeismann befasst sich in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN mit dem fundamentalen Gesellschaftswandel in Europa und beginnt so:
"Zuerst eine Zahl. Sie ist ganz und gar unglaublich, und sie löst hierzulande, bei den Innenministerien der Länder, nur ungläubiges Kopfschütteln aus. Neuntausend Polizeiwagen sind seit Anfang des Jahres in Frankreich in Brand gesteckt worden oder sonstwie zerstört worden…Im Schnitt zwischen zwanzig und dreißig Wagen täglich werden angezündet. Ein französisches Problem? Ja, aber die Zahl von neuntausend zerstörten Polizeiwagen in nicht einmal zehn Monaten setzt ein Ausrufungszeichen, das man in der Europäischen Union nicht abtun kann als ein nationales Sonderproblem."
Man könnte in diesen Tagen, so sei hinzugefügt, auch auf Ceuta und Melilla hinweisen, das keineswegs ein spanisches Problem allein ist. In Hampton Court standen beim EU-Gipfel in dieser Woche aber andere Themen im Vordergrund. Europa wirkt müde.
Eine ungewöhnliche Form wählt der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Ulrich Klose. Er widmet seinem Parteifreund und Kanzler in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN das Gedicht: 'Im Herbst des Kanzlers'.
"Ein neuer Herbst mit Last und Tücken, private Last, die Tücke allgemein.
Der Kanzler geht (nicht ganz) aus freien Stücken, die neue Kanzlerin tritt ein.
Sie tritt ins Bild und bleibt im Bilde, begleitet überall und nie allein.
Er lernt mit expressiver Milde, nicht mehr bedeutungsvoll zu sein.
Im Herbst des Kanzlers und im Spiel der Farben, die gelb und rot und ach so herrlich sind,
öffnen und schließen sich die Narben, eh' noch das Spiel von vorn beginnt."