Von Jens Brüning

Tina Mendelsohn macht sich in der FAZ Gedanken über Geschichten am Küchentisch ihrer Familie. In der „Süddeutschen Zeitung“ erzählt der in Bombay geborene Schriftsteller Kiran Nagarkar, wie er die Terroranschläge in seiner Heimatstadt Bombay aus der Ferne miterlebt hat. Ebenfalls in Bombay geboren wurde Ranjit Hoskote. Er schreibt in der NZZ über mögliche Hintermänner der Attentate.
„Dabei sind das Geschichten fürs Leben“, lesen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Tina Mendelsohn macht sich Gedanken darüber, was man sich heutzutage am Familientisch erzählt. Und sie erinnert sich:

„Als wir aufwuchsen in der soliden jungen Bundesrepublik, da hat uns keiner Geschichten erzählt, schon gar keine Familiengeschichten.“

Frau Mendelsohn ist zu jung, um damit gesagt haben zu wollen, dass sonst nur Nazigeschichten herausgekommen wären. Nun gut, es geht bei der Meditation der „Kulturzeit“-Moderatorin an sich um Heutiges, nämlich den Tod des Rabbiner-Paares in Bombay und den Selbstmord eines Bankers in mittleren Jahren, der zu den fünftausend Entlassenen in der City of London gehörte. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG schreibt Tina Mendelsohn über ihn:

„Er liebte Ordnung, erzählen Freunde, trug seine Banknoten immer in eine Richtung sortiert. Verheiratet war er mit einer Finanzjournalistin.“

Und warf sich außerhalb der Stadt vor den Zug, erfahren wir. Das kommentiert der Älteste der Autorin so:

„Nicht einmal probiert hat er, sich als Penner durchzuschlagen.“

Solcher Art sind die Geschichten am Küchentisch der Mendelsohns in London. Und sie, Tina Mendelsohn, vermisst Familiengeschichten aller Art:

„Das war doch einmalig auf der Welt: eine Familienministerin mit sieben Kindern, Pony und Hund, die der Nation Geschichten erzählt. Haben wir nicht mehr. Aus und vorbei.“

Schuld daran sind die deutschen Medien, die hinter dem Idyll die Show witterten.

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erzählt der in Bombay geborene Schriftsteller Kiran Nagarkar, wie er die Terroranschläge in seiner Heimatstadt Bombay aus der Ferne miterlebt hat. Er ist derzeit Gast des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und Inhaber der 22. Poetik-Dozentur an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Am vergangenen Mittwoch notierte er in seinem Tagebuch:

„Ich habe langsam das Gefühl, dass ich nicht als Dichter für die Poetikdozentur eingeladen wurde, sondern als Interpolexperte für Terrorismus und Extremismus.“

Kiran Nagarkar hat dann die Ereignisse in Bombay am Fernsehbildschirm verfolgt, Fragen von Frühstücksfernsehmoderatorinnen beantwortet und notierte am Vormittag des ersten Tages:

„Leben in Indien gar keine Inder? Sind nur Ausländer wichtig?“

Die Notizen, welche die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG abdruckt, enden mit einem wichtigen Hinweis:

„Reiche vergehen, Supermächte werden zu Underdogs. Irgendwann wird China oder ein anderes Land ganz oben sein.“

Martin Kämpchen lebt als gebürtiger Rheinländer in Westbengalen und bemüht sich seit 17 Jahren in zwei indischen Dörfern um Entwicklungshilfe. Außerdem schreibt er im Feuilleton der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:

„Ausnahmen und Privilegien sind die Regel, nicht der Sonderfall.“

Unter der Überschrift „Aus mit der Gemütlichkeit“ analysiert Kämpchen den indischen Alltag nach den Anschlägen. „Wir haben den schlechtesten Nachrichtendienst unter allen mächtigen Staaten dieser Welt“, zitiert er eine indische Zeitung. In Indien geht es auch sonst chaotisch zu:

„Auf den Straßen einer indischen Großstadt merkt man, wie jeder Fahrer verbissen ums eigene Weiterkommen kämpft, anstatt den allgemeinen Verkehrsfluss im Blick zu halten, was letztlich auch jedem einzelnen Fahrer zugute käme.“

Auch die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG analysiert die Lage in Indien. Hier schreibt Ranjit Hoskote, in Bombay geborener Dichter und Journalist. Er kommt nach gründlicher Überlegung, wer hinter den Anschlägen stecken könnte, zu dem Schluss, es handele sich dabei um die moderne Variante des Islam, die von traditionellen islamischen Gelehrten als Irrglauben dargestellt wird. Hoskote in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG:

„Die Tragödie all dieser endzeitlichen Religionen besteht darin, dass sie einen Zyklus der Gewalt entfesseln, der nicht ins Paradies, sondern direkt zur Hölle führt.“