Von Jens Brüning
Klaus Kinskis posthumer Filmauftritt beschäftigte die Feuilletons diese Woche. Außerdem: Erstaunliche Bilanzen zu '68, der Besuch des Dalai Lamas in Deutschland und schmutzige Musiktheaterwäsche
"Der Heiland liebt dich, du Sau!","
lasen wir in der Freitagsausgabe des Berliner TAGESSPIEGELS. Es handelt sich um ein Zitat aus einem Film. Im November 1971 wollte der große Schauspieler und Rezitator Klaus Kinski mit dem von ihm selbst zusammengestellten Text "Jesus Christus Erlöser" vor großem Publikum den Heiland als Revolutionär vorstellen.
Er begann damit in der Westberliner Deutschlandhalle und scheiterte bereits nach wenigen Minuten an dem Widerspruch zwischen seinem Text und dem Bild, das sich das durchweg linke Publikum von Klaus Kinski machte. Man liest im TAGESSPIEGEL, Kinski habe gebellt, aber wir wissen als Teilnehmer dieses prägenden Abends, dass es die Berliner Polizeihunde hinter der Bühne waren, die bellten.
Dass die Bilder erst jetzt in die Kinos kommen, scheint rätselhaft. Der Dokumentarfilmer Peter Geyer ist gleichzeitig Kinskis Nachlassverwalter. Daraus mag man schließen, dass er den Choleriker auch nach seinem frühen Tod im Jahre 1991 noch ein wenig vor Selbst-Beschädigungen schützen wollte.
Als erste schrieb über diesen Film am vergangenen Sonntag die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG. Julia Encke blickte auf die Veröffentlichungen zum Jubiläumsjahr 1968. Sie schien etwas ratlos. Es folgte die Filmschilderung nebst Zitat vom Ende des Happenings. Klaus Kinski stieg zu den verbliebenen zweihundert Zuschauern hinab und fing seine Rezitation noch einmal an. In der FAZ schrieb Encke:
""Gesicht und Stimme des Tyrann hat er abgelegt. Es ist, als wäre Klaus Kinski für diesen einen Moment, in der Zeit angekommen."
Cosima Lutz, deren Filmrezension am Donnerstag in der Tageszeitung DIE WELT erschien, meinte:
"Die Asche, die Kinski hinterlassen hat, glüht."
Ein glühendes Bild seines Lehrers Wolfgang Abendroth malte der inzwischen in Aix-en-Provence lehrende Germanist Karl-Heinz Götze im FREITAG. Dieser Erinnerungsaufsatz macht sehr deutlich, was an den rechthaberischen Büchern, die zum Jahr 1968 vierzig Jahre danach erschienen sind, falsch ist: Götze schreibt über ein Idol seiner Studienjahre und arbeitet sich nicht am eigenen Unvermögen, mit dem widrigen Alltag zurecht zu kommen, ab.
Wir lasen über des Marburger Politologen Wirkung auf die jungen Leute damals:
"Er musste persönlich dabei sein, sonst wirkte der Zauber nicht."
Man konnte also mit dem Lesen der Abendrothschen Bücher kein Glückserlebnis haben, das den Germanisten Götze zur im FREITAG veröffentlichten Zukunftsfreude führte:
"Es war gar nicht immer so gewesen in Nordhessen, wie ich es erlebt habe, die Geschichte begann nicht in den fünfziger Jahren und musste auch nicht immer so weiter gehen."
Die erstaunlichste Bilanz der 68er Jubiläumsfeiern lasen wir am Mittwoch in der TAGESZEITUNG, kurz TAZ. Alexander Cammann meint:
"Das System sitzt heute nicht trotz, sondern wegen 68 weltweit fester im Sattel als jemals zuvor. Auf verbreiterter Geschäftsgrundlage wurde es leistungsfähiger durch Liberalisierung, attraktiver durch Entkrampfung der Lebensstile - ein immenser Legitimationsgewinn."
Cammann vermutet dann auch gleich:
"Wahrscheinlich wäre Rudi Dutschke heute zugleich Bild-Kolumnist und Vorstand der taz-Genossenschaft, was er dialektisch als Sieg der 68er interpretieren würde."
Seit Donnerstag ist das geistliche Oberhaupt der Tibeter in der Bundesrepublik Deutschland, und das führte unter anderem dazu, dass die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG mit guten Ratschlägen nicht geizte. Der Dalai Lama solle auf China zugehen, war dort zu lesen, und in der BERLINER ZEITUNG stellte Andreas Hilmer die bange Frage:
"Ist der Dalai Lama politisch am Ende?"
Andreas Hilmer ist politischer Referent des Tibetischen Zentrums in Hamburg, also Partei. Daher forderte er in der BERLINER ZEITUNG:
"Peking sollte endlich den Dalai Lama persönlich zu Gesprächen einladen - und dann auch gleich zu den Olympischen Spielen!"
Das wird Peking sehr wahrscheinlich nicht tun, auch wenn der Dalai Lama im Zweiten Deutschen Fernsehen auf die Frage, ob er hingehen würde, sehr fein lächelte.
Lächeln können auch die großen multinationalen Unternehmen, denn sie sind, wie wir aus dem FREITAG erfuhren, "die ersten Olympia-Sieger". Am Mittwoch bereits goss die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wermut in den Siegessekt, indem sie nämlich eine Erinnerung an jene Olympischen Spiele von 1936 veröffentlichte, die einem immer einfallen, wenn man Sport und Politik zusammen denkt.
Damals gab es auch schon Boykott-Überlegungen, und es gab den ersten olympischen "Fackel-Staffel-Lauf", eine Erfindung des Nazi-Funktionärs Carl Diem. Ewald Grothe schreibt in der FAZ:
"Das Fest der Nationen wurde für politische Zwecke instrumentalisiert."
Und er hat in den Akten den Hinweis gefunden:
"Die Chinesen haben sich in Berlin schon zweimal beschwert."
Ziemlich beschwert ging in dieser Woche das Leitungsteam der Deutschen Staatsoper Unter den Linden zu Berlin-Mitte auseinander. Der Intendant Peter Mussbach verließ das Haus mit einer Abfindung in der Tasche, und der Generalmusikdirektor Daniel Barenboim verkündete kurz darauf, alles sei halb so wild:
"Es gibt keine Krise der Staatsoper."
Hans-Jürgen Linke von der FRANKFURTER RUNDSCHAU aber hatte am Freitag berichtet:
"Mächtig brüllende Männerstimmen, aufgeblähte Brustkörbe, krachend zugeworfene Türen, im Luftzug flatternde Euroscheine."
Und Manuel Brug kommentierte in der Tageszeitung DIE WELT:
"Soviel schmutzige Musiktheaterwäsche war selten gewaschen worden."
Mit einem grellen Spot leuchtete der gewesene Intendant der Staatsoper Georg Quander am Dienstag die Szene aus. Er berichtete seinem Interviewer Frederik Hanssen im TAGESSPIEGEL:
"Es ist vorgekommen, dass mich Barenboim nach einer Pressekonferenz, bei der im Hintergrund viele Mitarbeiter zugehört hatten, fragte: Wozu brauchen wir diese ganzen Leute?"
lasen wir in der Freitagsausgabe des Berliner TAGESSPIEGELS. Es handelt sich um ein Zitat aus einem Film. Im November 1971 wollte der große Schauspieler und Rezitator Klaus Kinski mit dem von ihm selbst zusammengestellten Text "Jesus Christus Erlöser" vor großem Publikum den Heiland als Revolutionär vorstellen.
Er begann damit in der Westberliner Deutschlandhalle und scheiterte bereits nach wenigen Minuten an dem Widerspruch zwischen seinem Text und dem Bild, das sich das durchweg linke Publikum von Klaus Kinski machte. Man liest im TAGESSPIEGEL, Kinski habe gebellt, aber wir wissen als Teilnehmer dieses prägenden Abends, dass es die Berliner Polizeihunde hinter der Bühne waren, die bellten.
Dass die Bilder erst jetzt in die Kinos kommen, scheint rätselhaft. Der Dokumentarfilmer Peter Geyer ist gleichzeitig Kinskis Nachlassverwalter. Daraus mag man schließen, dass er den Choleriker auch nach seinem frühen Tod im Jahre 1991 noch ein wenig vor Selbst-Beschädigungen schützen wollte.
Als erste schrieb über diesen Film am vergangenen Sonntag die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG. Julia Encke blickte auf die Veröffentlichungen zum Jubiläumsjahr 1968. Sie schien etwas ratlos. Es folgte die Filmschilderung nebst Zitat vom Ende des Happenings. Klaus Kinski stieg zu den verbliebenen zweihundert Zuschauern hinab und fing seine Rezitation noch einmal an. In der FAZ schrieb Encke:
""Gesicht und Stimme des Tyrann hat er abgelegt. Es ist, als wäre Klaus Kinski für diesen einen Moment, in der Zeit angekommen."
Cosima Lutz, deren Filmrezension am Donnerstag in der Tageszeitung DIE WELT erschien, meinte:
"Die Asche, die Kinski hinterlassen hat, glüht."
Ein glühendes Bild seines Lehrers Wolfgang Abendroth malte der inzwischen in Aix-en-Provence lehrende Germanist Karl-Heinz Götze im FREITAG. Dieser Erinnerungsaufsatz macht sehr deutlich, was an den rechthaberischen Büchern, die zum Jahr 1968 vierzig Jahre danach erschienen sind, falsch ist: Götze schreibt über ein Idol seiner Studienjahre und arbeitet sich nicht am eigenen Unvermögen, mit dem widrigen Alltag zurecht zu kommen, ab.
Wir lasen über des Marburger Politologen Wirkung auf die jungen Leute damals:
"Er musste persönlich dabei sein, sonst wirkte der Zauber nicht."
Man konnte also mit dem Lesen der Abendrothschen Bücher kein Glückserlebnis haben, das den Germanisten Götze zur im FREITAG veröffentlichten Zukunftsfreude führte:
"Es war gar nicht immer so gewesen in Nordhessen, wie ich es erlebt habe, die Geschichte begann nicht in den fünfziger Jahren und musste auch nicht immer so weiter gehen."
Die erstaunlichste Bilanz der 68er Jubiläumsfeiern lasen wir am Mittwoch in der TAGESZEITUNG, kurz TAZ. Alexander Cammann meint:
"Das System sitzt heute nicht trotz, sondern wegen 68 weltweit fester im Sattel als jemals zuvor. Auf verbreiterter Geschäftsgrundlage wurde es leistungsfähiger durch Liberalisierung, attraktiver durch Entkrampfung der Lebensstile - ein immenser Legitimationsgewinn."
Cammann vermutet dann auch gleich:
"Wahrscheinlich wäre Rudi Dutschke heute zugleich Bild-Kolumnist und Vorstand der taz-Genossenschaft, was er dialektisch als Sieg der 68er interpretieren würde."
Seit Donnerstag ist das geistliche Oberhaupt der Tibeter in der Bundesrepublik Deutschland, und das führte unter anderem dazu, dass die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG mit guten Ratschlägen nicht geizte. Der Dalai Lama solle auf China zugehen, war dort zu lesen, und in der BERLINER ZEITUNG stellte Andreas Hilmer die bange Frage:
"Ist der Dalai Lama politisch am Ende?"
Andreas Hilmer ist politischer Referent des Tibetischen Zentrums in Hamburg, also Partei. Daher forderte er in der BERLINER ZEITUNG:
"Peking sollte endlich den Dalai Lama persönlich zu Gesprächen einladen - und dann auch gleich zu den Olympischen Spielen!"
Das wird Peking sehr wahrscheinlich nicht tun, auch wenn der Dalai Lama im Zweiten Deutschen Fernsehen auf die Frage, ob er hingehen würde, sehr fein lächelte.
Lächeln können auch die großen multinationalen Unternehmen, denn sie sind, wie wir aus dem FREITAG erfuhren, "die ersten Olympia-Sieger". Am Mittwoch bereits goss die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wermut in den Siegessekt, indem sie nämlich eine Erinnerung an jene Olympischen Spiele von 1936 veröffentlichte, die einem immer einfallen, wenn man Sport und Politik zusammen denkt.
Damals gab es auch schon Boykott-Überlegungen, und es gab den ersten olympischen "Fackel-Staffel-Lauf", eine Erfindung des Nazi-Funktionärs Carl Diem. Ewald Grothe schreibt in der FAZ:
"Das Fest der Nationen wurde für politische Zwecke instrumentalisiert."
Und er hat in den Akten den Hinweis gefunden:
"Die Chinesen haben sich in Berlin schon zweimal beschwert."
Ziemlich beschwert ging in dieser Woche das Leitungsteam der Deutschen Staatsoper Unter den Linden zu Berlin-Mitte auseinander. Der Intendant Peter Mussbach verließ das Haus mit einer Abfindung in der Tasche, und der Generalmusikdirektor Daniel Barenboim verkündete kurz darauf, alles sei halb so wild:
"Es gibt keine Krise der Staatsoper."
Hans-Jürgen Linke von der FRANKFURTER RUNDSCHAU aber hatte am Freitag berichtet:
"Mächtig brüllende Männerstimmen, aufgeblähte Brustkörbe, krachend zugeworfene Türen, im Luftzug flatternde Euroscheine."
Und Manuel Brug kommentierte in der Tageszeitung DIE WELT:
"Soviel schmutzige Musiktheaterwäsche war selten gewaschen worden."
Mit einem grellen Spot leuchtete der gewesene Intendant der Staatsoper Georg Quander am Dienstag die Szene aus. Er berichtete seinem Interviewer Frederik Hanssen im TAGESSPIEGEL:
"Es ist vorgekommen, dass mich Barenboim nach einer Pressekonferenz, bei der im Hintergrund viele Mitarbeiter zugehört hatten, fragte: Wozu brauchen wir diese ganzen Leute?"