Von Jens Brüning

Die Feuilletons befassen sich mit der Vergabe des Literatur- und des Friedensnobelpreises. Die "Frankfurter Rundschau" berichtet, dass Muhammad Yunus, der Ökonom aus Bangladesch, bevorzugt Kredite an Frauen vergibt. Orhan Pamuk, der Schriftsteller aus der Türkei, wird in den Feuilletons hoch gelobt. Wir erfahren aber zugleich, dass sich die Freude in der Türkei über die Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis offenbar in Grenzen hält.
"Der Frieden und die Wissenschaft sind keine natürlichen Alliierten", lasen wir am Montag in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Wulf Lepenies sagte das in seiner Dankesrede, nachdem er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels überreicht bekommen hatte. Inzwischen hat es weitere Preise gegeben: Den Nobelpreis für Literatur und den Friedensnobelpreis. Von ersterem und seinem Gewinner, dem türkischen Romancier Orhan Pamuk, sind die Feuilletons voll, über Muhammad Yunus liest man nur auf den vorderen Seiten der Gazetten. Der Ökonom aus Bangladesh kam auf die gepriesene Idee, armen Leuten mit Krediten in eine schöne Zukunft zu helfen. Es wundert ein wenig, dass die Feuilletonisten ihn nicht sofort für sich reklamierten, denn was gibt es Kulturvolleres als ein gesichertes Einkommen, vor dessen Hintergrund man viel einfacher faszinierend sein kann, um ein Apercu von Oscar Wilde zu paraphrasieren.

Nina von Hardenberg schrieb in der Sonnabendausgabe der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG:

"Die meisten Armen sind weder zu dumm noch zu passiv, um Geld zu verdienen, sondern der ständige Überlebenskampf macht sie sogar erfinderisch. Doch oft fehlt ihnen das Startkapital, um sich eine eigene Existenz aufzubauen."

Hier hilft Muhammad Yunus mit seiner Idee, dass es ein Grundrecht auf Kredit geben sollte. Mario Müller berichtet in der FRANFURTER RUNDSCHAU, der Preisträger bevorzuge die Kreditvergabe an Frauen:

"Sie zahlen Kredite zuverlässiger zurück und investieren in Gesundheit und Ausbildung der Kinder."

Experten geben zu bedenken, die gute Idee könne auf Dauer nur funktionieren, wenn die geförderten Projekte sich selbst tragen. Experten aber sind weder Visionäre noch Künstler, und darum gibt es überall auf der Welt das Problem mit der Kreditwürdigkeit. Muhammad Yunus wird mit seinem Preisgeld eine Nahrungsmittelfabrik und eine Augenklinik finanzieren, berichtet Dagmar Dehmer im Berliner TAGESSPIEGEL. Auf der Meinungsseite dieses Blattes zitiert Harald Schumann den Preisträger:

"Eines Tages werden unsere Enkel ins Museum gehen, um zu sehen, was Armut war."

"Warum man in Istanbul als Künstler nicht überleben kann", steht in der Unterzeile des Ausschnitts aus dem neuen Buch des Literaturnobelpreisträgers Orhan Pamuk, das im November auf Deutsch erscheinen wird. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG feiert damit einen Schriftsteller, über den Thomas Steinfeld in der Freitagsausgabe jubelte: "Jetzt zählt er zu den Größten." Steinfeld rief den frisch gekürten Preisträger gleich an dessen derzeitigen Aufenthaltsort in New York an, und Pamuk fragte sich: "Wie wird man in der Türkei reagieren? Wird man stolz auf mich sein?" Natürlich, denkt man sich, dies lesend, aber Orhan Pamuk stand im letzten Jahr wegen des merkwürdigen Vergehens der "Verunglimpfung des Türkentums" vor einem Gericht in Istanbul. Sein Ankläger wurde vom Türkei-Korrespondenten der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, Kai Strittmatter, befragt und hatte sogleich eine zitable Antwort parat: "Er hat diesen Preis bekommen als Belohnung für seine Erniedrigung des türkischen Volkes." Auf der anderen Seite des Spektrums war zu hören: "Das zeigt, dass die Welt sich um die Freiheit sorgt." In einem Interview mit der SZ vom Freitag gestand Pamuks deutscher Verleger Michael Krüger: "Wir sind ja vollkommen blank in unseren Hirnen, was die türkische Literatur betrifft."

In der Sonnabendausgabe der TAGESZEITUNG, der TAZ, wird der türkische Dichter Özdemir Ince zitiert, der kommentierte:

"Orhan Pamuk ist ein mittelmäßiger Schriftsteller. Er hat keinen türkischen Literaturpreis gewonnen. Er hat den Nobelpreis gewonnen, weil er vom Völkermord an Armeniern redet. Die Türkei wird ausverkauft. Ich schäme mich."

Und ein anderer türkischer Autor meinte:

"Wenigstens hat er seine Romane in Türkisch geschrieben, wenn schon seine Gedanken nicht türkisch sein mögen."

Purer Neid sei das, meint TAZ-Autor Ömer Erzeren. Kai Strittmatter urteilte über dieses Verhalten in der Wochendendausgabe der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG:

"Auch das ist die Türkei: ein Land, das hinter allem selbstsüchtige Motive vermutet."

Und in der STUTTGARTER ZEITUNG vom Freitag stellte Sibylle Thelen fest:

"Eines fällt auf: viele, die ihn und seine Bücher so gar nicht mögen, haben gar keines gelesen. Vielleicht ändert sich das jetzt."

Christian Geyer hebt in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG hervor:

"Pamuk gehört zu denen, die nicht in die Fallen der falschen Sinnbilder laufen. Darin liegt seine Preiswürdigkeit, darin liegt seine Bedeutung als Schrittmacher einer zukünftigen islamischen Welt."

Und in der Tageszeitung DIE WELT schrieb der in Berlin lebende, in der Türkei geborene Zafer Senocak am Freitag:

"Ein Glücksfall ist es auch, dass Autoren wie Pamuk sich auch von der reichen muslimischen Kultur beeinflussen lassen."
Der Gepriesene selbst kommt in den Montags-Magazinen ausführlich zu Wort. Im FOCUS weist er darauf hin:

"Nicht Reformen und Gesetze machen ein Land zu einem Teil der EU, sondern die Kultur und die Menschen selbst."

Und im SPIEGEL sagt Pamuk seinem Interviewer:

"Diese Preisverleihung sollte Zustimmung und Freude in der Türkei auslösen. Wir sollten dies als Ehre für die türkische Literatur feiern, die eine großartige Geschichte und eine große Bedeutung hat."

Schöner hätte es kein Rezensent sagen können. Volker Weidermann hat es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG dennoch probiert. Er schreibt:

"Die Kunst von Orhan Pamuk ist, dass er das von Anfang an miteinander verbunden hat: Die Solidarität, das Engagement, die Politik und den guten Roman."