Von Jens Brüning

Der Fall Günter Grass hält die Feuilletons weiter in Atem, außerdem beschäftigen sich die Zeitungen mit der Ausstellung "Erzwungene Wege". Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" führt ein Interview mit Ulrich Wickert, der die erste Ausgabe seiner neue Büchersendung vorgezogen hat: Heute Abend ist Premiere - mit Günter Grass.
"Der historische Zugriff endet stets bei der eigenen, der deutschen Nase."

Das lesen wir in der Wochenzeitung DIE ZEIT. Jens Jessen schreibt über die Ausstellung "Erzwungene Wege" im Berliner Kronprinzenpalais. Die hat ja in den vergangenen Tagen für viel Aufsehen gesorgt. Jessen nun urteilt, der Streit sei "zu Unrecht" entfacht.

In der STUTTGARTER ZEITUNG hingegen unterzieht Marcus Sander diese Ausstellung über die Vertreibungen im Europa des zwanzigsten Jahrhunderts einer eingehenden Betrachtung. Er kommt zu dem Schluss: "Steinbachs Ausstellung fingiert historische Antworten." An diese Feststellung reiht Sander allerhand Fragen, die sich beim Besuch des Kronprinzenpalais ergeben. Weiter vorn in seinem Artikel schreibt Marcus Sander in der STUTTGARTER ZEITUNG:

"Seit Günter Grass’ Novelle ‚Im Krebsgang’ über den Untergang der Wilhelm Gustloff aber haben die Deutschen verstärkt begonnen, sich auch als Opfer des Zweiten Weltkriegs zu entdecken."

Damit sind wir bei dem Thema, das sich seit dem Wochenende nicht nur in den Feuilletons, aber dort besonders, seitenweise findet. Auf der Medienseite des Berliner TAGESSPIEGEL spricht Ulrich Wickert über das Gespräch, das er mit Günter Grass für seine aus gegebenem Anlass vorgezogene Büchersendung am Donnerstagabend führte. Es ist ein ausführliches Gespräch, an dessen Ende Ulrich Wickert resümiert, "dass auch Günter Grass nur ein Mensch ist."

In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG ist Wickerts Büchersendung ebenfalls Thema. Michael Hanfeld fragte den "Tagesthemen-Moderator auch zu seinem Berufsleben hinter der Kamera aus, denn Ulrich Wickert war ja lange Jahre ARD-Korrespondent, unter anderem in Paris. Dort entdeckte er seine Liebe zum Käse und erfuhr anlässlich einer Reportage, "dass Käse nicht nur etwas ist, das man isst, sondern dass dahinter eine große Kultur steckt."

Wickert, der am 31. August zum letzten Mal auf dem Tagesthemen-Stuhl sitzt, weist im Gespräch mit der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, nun wiederum im Zusammenhang mit Günter Grass, darauf hin, "dass es ganz wichtig ist, dass wir immer wieder nach unserer Identität fragen." Aus seiner Lektüreerfahrung mit dem Buch "Beim Häuten der Zwiebel" von Günter Grass weiß Wickert:

"Man muss wirklich das Buch genau lesen. Interessant ist, was zwischen den Zeilen steht."

Auch Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff hat das Buch seines Freundes Günter Grass schon gelesen. Er schreibt darüber im Berliner TAGESSPIEGEL. 1980 hatte Schlöndorff den Roman "Die Blechtrommel" verfilmt, und er fand im neuen Buch viele Motive aus den fiktiven Arbeiten des Autors wieder. Allerdings hatte Grass darin seine Dienstzeit bei der Waffen-SS nicht erwähnt. Nun, im neuen Buch, schreibt er darüber, und Volker Schlöndorff berichtet im TAGESSPIEGEL:

"Er führt an seinem eigenen Beispiel vor, wie es möglich war, dass inmitten eines zivilisierten Volkes passieren konnte, was wir bis heute nicht begreifen können – immer auf der Suche nach Antwort auf diese eine große Frage des vergangenen Jahrhunderts."

Eckhard Fuhr kommentiert in der Tageszeitung DIE WELT das Versagen des Enthüllungs-Journalismus im Fall Grass, und Helga Hirsch berichtet ebendort von den innenpolitischen Debatten in Polen. Wir lesen:

"Bei Grass scheiden sich die Geister, bei Frau Steinbach gibt es einen nationalen Konsens."

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG geleitet uns Hans Leyendecker durch die Berliner "Wehrmachtsauskunftsstelle", und wir erfahren dabei, dass Günter Grass dort 1992 die durch seine Kriegsgefangenschaft in den Jahren 1945/46 aufgetretene "Rentenlücke" habe füllen können. In einem Artikel neben diesem Bericht in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schreiben Eva Menasse und Michael Kumpfmüller

"Wider die intellektuelle Gerontologie"."

Sie fragen:

""Wo sind die Stimmen zu den aktuellen Fragen von Politik und Moral?"