Von Jens Brüning

Im Feuilleton der "Berliner Zeitung" wird über die durch Spam-Filter hervorgerufene Poetik philosophiert, die "Süddeutsche Zeitung" berichtet über den Gerichtsfall des "Contagan-Doku-Drama" und die "FAZ" schreibt über das Mitgestalten der Zeitungen durch ihre Leser mit Katastrophen-SMS.
"Nur ein Gott könnte darauf warten, dass der Zufall Sinnvolles schreibt – so wie er bei der Evolution darauf gewartet hat", lesen wir in der BERLINER ZEITUNG. Womit erneut bewiesen wäre, dass nur im Sommerloch das Feuilleton wahrhaft Feuilletonistisches hervorbringt. Es geht bei dieser weitgehend sinnfreien Meditation von Christian Esch um das Phänomen, dass elektronischer Postmüll im Computer aufgrund der immer raffinierter angelegten Spam-Filter elektronische Dichtung hervorbringt.

Das geht so: Da der Filter bestimmte Wörter erkennt und darum gar nicht erst in das E-Mail-Postfach hineinlässt, müssen die unermüdlichen Phisher, die an unsere intimsten Daten heranwollen, ihre Botschaften in Buchstabenabfolgen verkleiden, die durchgelassen werden. Und das kann dann schon mal eines dieser Sonette von Shakespeare sein, oder es sind Romanauszüge von Stephen King oder ähnliche Verhüllungswörter.

Christian Esch nun denkt darüber nach, was geschehen könnte, wenn eines Tages die Verhüllungsmaschinen und die Filter selbständig mit dem Texten loslegen würden:

"Dieser automatische Literaturgenerator ist Realität, geben wir ihm nur noch etwas Zeit."

Etwas transzendent ging es bei einer Tagung zu, über die Alexander Kissler in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG berichtet. Auf dieser Tagung suchte man nach dem Rassismus des Anthroposophen Rudolf Steiner. In Kisslers Bericht findet sich das bemerkenswerte Zitat:

"Diese Tatsachen sind durch rein übersinnliche Beobachtung gewonnen."

Mit so einem Satz kann man leicht jedwede Kritik abwenden und den Wahrheitsbeweis antreten. Wahrscheinlich kommen die Prozessbeteiligten im vor Gericht anhängigen Fall "Contergan-Doku-Drama" nicht auf die Idee, ihren Kontrahenten diesen Satz entgegenzuschleudern. Im Mittelpunkt dieses hoch komplizierten Verfahrens steht ein vom Westdeutschen Rundfunk gedrehter zweiteiliger Film. Darin wird an den Contergan-Arzneimittelskandal der fünfziger und sechziger Jahre erinnert.

Peter Luley berichtet auf der Medienseite der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über eine Vorführung des Films in einem Hamburger Konferenzraum. Alle Beteiligten fühlen sich nicht korrekt dargestellt. Auch der Vermittlungsvorschlag des Richters, "in Vor- und Nachspännen auf den fiktionalen Charakter des Zweiteilers hinzuweisen, wurde nicht angenommen."

Das führt uns nun wieder zu dem Gerangel um den Roman "Esra" von Maxim Biller. Elmar Krekeler kommentiert in der Tageszeitung DIE WELT:

"Die Tür zu den formaljuristisch agierenden Gerichten ist aufgetreten und wird sich solange nicht schließen lassen, wie Persönlichkeitsrechte (durchaus mit Grund, was den Journalismus angeht) über die Meinungs- und Kunstfreiheit gestellt werden."

Krekeler hofft auf milde Richter und wünscht sich, dass Biller "trotz allem" "weiter schreibt" und sich nicht von den ihn verfolgenden "Rachegöttinnen" in einen "öffentlichen Seppuku" treiben lässt. "Seppuku" ist – laut dem internationalen Schwerter-Forum im Internet – eine besonders blutreiche Art des Selbstmords per Messer und Schwert nach japanischem Ritual. Für diese Art des Dahinscheidens benötigt der Seppuku-sha allerdings einen guten Freund, genannt Kaishaku, der kurz vor dem letzten Schrei des Verblutenden alledem ein Ende bereitet.

Für die neuzeitlichen "Leser-Reporter" wäre so etwas ein feiner scoop. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG schreibt Olaf Sundermeyer über die aus Norwegen stammende Idee, Leser zum Mitgestalten ihrer Stammzeitung per Handy-Foto und Katastrophen-SMS anzuhalten. Bei der "Saarbrücker Zeitung" ist das bereits redaktioneller Alltag. Zitiert wird der Vorsitzende der Initiative Tageszeitung e.V., Franz Westing:

"Das ist eine zukunftsträchtige Sache, denn schneller kommt kein Unfallfoto in die Zeitung."