Von Jens Brüning

Das Fußball-Phänomen beschäftigte in dieser Woche die Feuilletons genauso wie ein migrationswilliger Bär, der ein tragisches Ende nahm. Star in allen Kulturseiten ist jedoch Kathrin Passig, Siegerin des 30. Klagenfurter Bachmann-Wettbewerbes.
„Das Massenmedium wendet sich an Einzelne“, lasen wir am Montag im Berliner TAGESSPIEGEL. Bernd Gäbler beschäftigte sich mit dem Phänomen der „Rudelbildung vor Leinwänden“, was eine hübsche Umschreibung dafür ist, dass sich Millionen von Menschen im Freien versammeln, um dem neuen Sommervergnügen nachzugehen, das inzwischen den Namen „Public Viewing“ bekommen hat. Das öffentliche Glotzen auf eigens dafür hergerichteten Straßen und Plätzen spart den Eintrittspreis für die Arenen, in denen hoch bezahlte Profis ihrer schweißtreibenden Arbeit nachgehen, und vermittelt dennoch das Gefühl, ganz dabei zu sein, und „auch der gegnerische Anhänger gehört zur Gemeinde.“

Das Fernsehen, lesen wir im TAGESSPIEGEL, nutzt den Blick in das Partyvolk auf der Straße gern, um zu zeigen, wie anziehend Fernsehen sein kann. Und so dreht sich alles um sich selbst. Nur der Ball muss leiden. Und die Grünanlagen, die von den Abwässern der aus dem Fernsehsessel aufgestandenen Zuschauer durchtränkt werden.

Tränengetränkt waren die Blätter wegen eines Bären, dessen Migrationshintergrund ebenso zum Thema wurde wie seine Zutraulichkeit zu den Wohngebieten der Menschen, die ihn zum „Problembären“ erklärten und zum Abschuss frei gaben. Hannes Hintermeier erinnerte in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG an den tragisch zu Tode gekommenen bayerischen Wildschütz Jennerwein, um sich sodann über Bayerns Umweltminister Schnappauf lustig zu machen, der „an die Adresse latent migrationsbereiter Braunbären“ erklärt hatte:

„Ein sich unauffällig verhaltender Braunbär ist und bleibt in Bayern willkommen.“

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hingegen bekam der Bär Bruno einen höchst angemessenen Nachruf. Christopher Schmidt zitierte auch Philosophen und Verhaltensforscher. Und so lernten wir aus diesem funkelnden Feuilleton Wortverbindungen wie „protoartilleristisches Jagderfolgsgefühl“, „freiwillige Hermaphroditisierung“, „problematische Sozialisationsbedingungen“, „Parallelgesellschaften“, „starke Mutterbindung“ und „dissoziiertes Individuum“. Am Schluss aber ruht der Bär in Frieden und als Popikone:

„So aber ist er im Alter von zweieinhalb Jahren gestorben, als Mann und ungewaschen.“

Als Frau und ausgeschlafen stand am vergangenen Sonntag auf der Klagenfurter Literaturbühne Kathrin Passig mit erhobenem Blumenstrauß, Siegerin des 30. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs samt Publikumspreis. Dies war die Erfüllung eines Wortes des Jurors Burkhard Spinnen, das im Berliner TAGESSPIEGEL zitiert wurde:

„Literatur sollte der Beginn von etwas sein, das wir nicht wussten.“

Denn mit diesem Ausgang hatte kaum jemand gerechnet, war die Preisträgerin doch an sich Literatur-fremd im Sinne von „im Zirkel unbekannt“. In der Tageszeitung DIE WELT jubelte Elmar Krekeler:

„Eine Entdeckung. So ist die Welt, da befinden wir uns.“

Am Dienstag wurde dann jeweils nachgelegt in den Blättern. Man lernte eine fröhlich-pragmatische Frau kennen, die sich mit allerhand Texten beschäftigt und darin eine gewisse Befriedigung findet. Etwas überrascht äußert sich die Literaturpreisträgerin im neuesten SPIEGEL:

„Seltsamerweise hat das Publikum trotz des makabren Inhalts auch über meinen Wettbewerbstext gelacht.“

In diesem kleinen Interview erzählt Kathrin Passig auch, dass sie es gewohnt sei, für Zielgruppen zu schreiben, und was, man ahnt es, ist eine Jury anderes als eine Zielgruppe. Und um das ganze richtig rund zu machen, berichtet uns der Berliner TAGESSPIEGEL am Sonntag, was hinter dem Trainingscamp der Literaturpreisträgerin steht:

„Unser Ziel ist die Weltherrschaft.“

Das „unser“ ist die Zentrale Intelligenz Agentur, kurz ZIA, mit deren Logo auf dem Sporthemd Frau Passig ihren Preis entgegennahm. Im TAGESSPIEGEL am Sonntag wird enthüllt, dass es „angesichts der großen Internet-Community in ihrem Rücken wenig überraschend“ gewesen sei, dass der per Onlineabstimmung vergebene Publikumspreis an Kathrin Passig fiel. Marc Degens zieht aus alledem den Schluss:

„So werden aus Hedonisten und Experimentalisten mit prekären Beschäftigungsverhältnissen erfolgreich moderne Performer.“

Und die werden demnächst den Internationalen PEN-Club dominieren und dann eben zur Weltherrschaft ansetzen. Zunächst aber peilen sie – wie wir der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG entnehmen – den Nobelpreis an. Harald Staun hat auf der Website der Zentralen Intelligenz Agentur entdeckt, dass man es hätte vorher wissen können, wer den Bachmann-Preis gewinnen werde. Auf der Website nämlich outet sich Kathrin Passig als Agentin für „Taktik, Technik und Theorie“. Sie ist bereits die Dritte aus dem Kreis der ZIA, die in Klagenfurt einen Preis einheimst. Und es hat allerhand Tumult im Nachhinein gegeben, wie Harald Staun in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG berichtet.

Daraus erwachsen so spannende Fragen, wie die, worin ein etwaiger Betrug bestehe, ob es falsch sei, wenn Literatur statt aus dem Herzen aus dem Hirn komme und ob es überhaupt möglich sei, Literatur zu fälschen. Und schließlich lesen wir in diesem Sonntagsblatt aus Frankfurt noch, dass „man gelegentlich den Eindruck hat, dass die Kritiker nach den Bachmann-Tagen wieder in Holzkisten verpackt werden, mit einem Stapel Bücher und einer Taschenlampe, um bis zum nächsten Jahr möglichst wenig von der Welt mitzubekommen.“