Von Jens Brüning

Sprachkritiker Wolf Schneider überraschte in dieser Woche mit seiner Sympathie für den Webdienst "Twitter", weil man dort "nicht so viel Geschwätz verbreiten" könne wie per Blog. Das beherrschende Thema in den Feuilletons war jedoch ein ernstes: die Eröffnung der Gedenkstätte "Topographie des Terrors".
"Medienwissenschaftler haben sich unseres Berufs bemächtigt", lasen wir am Montag in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, zu Beginn der Woche also, in der die "Wächterpreise der deutschen Tagespresse" vergeben wurden. Frank A. Meyer, der als Chefpublizist des schweizerischen Ringier-Verlages beschäftigt ist, trug mit seinem erfrischenden Blick auf den "ökonomischen Obskurantismus", der in den Medienhäusern weltweit um sich greift, zur Reihe der SZ "Wozu noch Journalismus" bei. "Wie in der globalen Wirklichkeit", lasen wir da, "hat die Finanzwirtschaft in den Verlagen die Macht über die Realwirtschaft errungen." Und Meyer forderte: "Kämpfer müssen wir sein, leidenschaftliche, für unseren Journalismus."

In dieser Woche der "Wächterpreis"-Verleihung gab es nicht nur diesen kämpferischen Aufruf, sondern auch Artikel, in denen über den Tellerrand geschaut wurde. Zum Beispiel berichtete Regina Mönch in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über "bildungsarme Kinder". Sie sollen ja vielleicht dermaleinst jene Medien konsumieren, aus denen sie Orientierung für ihren Alltag bekommen könnten. Regina Mönch zeichnete ein düsteres Bild dieses Milieus, das vor allem in migrantischen Umgebungen zu finden sei, und stellte fest: "Sehr viele dieser Jugendlichen sind schlicht 'nicht ausbildungsreif'." Bei einem Aufnahmetest der Berliner Feuerwehr seien fast nur Abiturienten erfolgreich gewesen, "doch kein einziger Emigrant".

Wir wollen das nicht weiter vertiefen, aber noch kurz darauf hinweisen, dass ein sehr einflussreicher Journalisten-Lehrer in der vergangenen Woche seinen 85. Geburtstag hat feiern können: "Sprachpapst" Wolf Schneider, der von 1979 bis 1995 die Hamburger Journalistenschule leitete. Er antwortete dem Berliner TAGESSPIEGEL auf die Frage, ob es bergab gehe mit der deutschen Sprache: "In der Journalistenausbildung geht es bergab mit Grammatik, Rechtschreibung, Interpunktion, Allgemeinbildung, da ist die Tendenz eindeutig." Nun, wo bleibt da das Positive? Wolf Schneider sah einen Lichtstreif am Horizont, und zwar bezüglich des bereits in den Journalismus eingedrungenen Blitzmediums namens "Twitter": "Man kann nicht so viel Geschwätz verbreiten wie per Blog."

Herausragendes Thema der vergangenen Woche war die Eröffnung der Gedenkstätte "Topographie des Terrors" in Berlin. In der Wochenzeitung DIE ZEIT gab sich Thomas E. Schmidt enttäuscht: "Ehrlich gesagt, viel ist ja nicht zu sehen." Das ist vielleicht auch ganz gut, denn Schmidt meinte: "Es ist ein asketischer und geradezu abstrakter Ort geworden. Weder sind Folterkeller zu besichtigen, noch werden SS-Uniformen ausgestellt." Das freilich ist auch nicht die Aufgabe des "Lernortes", wie Stiftungsdirektor Andreas Nachama die Gedenkstätte bezeichnete. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG vom Freitag versuchte Andreas Kilb eine Einordnung: "Die 'Topographie des Terrors' ist das zentrale Museum des Nationalsozialismus in Deutschland, seiner Organisationsformen, seiner Methoden, seiner Eliten und seiner Opfer, ein Museum des Schreckens und der Vernichtung, aber auch der 'Volksgemeinschaft', die diesen Schrecken ausübte oder doch duldete, die ihn bejubelte oder willig ertrug." Insofern ist dies ein Ort, dessen Platz in der Mitte der Bundeshauptstadt auch symbolisch zu sehen ist. Der Historiker Michael Wildt wies am Dienstag in einem Interview mit der FRANKFURTER RUNDSCHAU darauf hin: "Mitten in der Stadt heißt ja auch: mitten in der Gesellschaft. Die Täter waren ausgebildete Akademiker, promovierte Juristen, Historiker, Zeitungswissenschaftler und so weiter, also Angehörige einer normalen bürgerlichen Elite, die die Verbrechen geplant und begangen haben." Und Wildt antwortete Harry Nutt von der FR auf die Frage, warum es so lange gedauert habe, bis überhaupt jemand auf die Idee kam, an diesem Ort an die Täter zu erinnern: "Es fiel nicht leicht, sich dieser Täter, eben mitten aus der Gesellschaft, zu erinnern." Sven Felix Kellerhoff versuchte am Freitag eine Erklärung zu finden. Er schrieb in der Tageszeitung DIE WELT: "Zunehmend betonen Historiker, dass nach der Phase der brutalen 'Machteroberung' durch die NSDAP 1933/34 nicht mehr vor allem Terror das Dritte Reich zusammengehalten habe, sondern Hitlers Popularität und das neue Gemeinschaftsgefühl - allerdings auf Kosten der vermeintlichen 'Volksfeinde' wie Juden, Marxisten und anderen Hitler-Gegnern, die brutal ausgegrenzt wurden." Jens Bisky schrieb anlässlich der Eröffnung der Gedenkstätte "Topographie des Terrors" in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG: "Man kann nur auf die kommenden Ausstellungen hoffen." Und er gab eine Hoffnung des Stiftungsdirektors wider: "Es würde ihn freuen, wenn die Besucher mit mehr Fragen fort gingen als sie gekommen sind, hat Andreas Nachama gesagt." Bernhard Schulz stellte bereits am Montag im Berliner TAGESSPIEGEL fest: "Da steht er nun, der Neubau, mit jener Nüchternheit des Historikers, der - nach Rankes berühmtem Postulat - berichtet, 'wie es eigentlich gewesen ist.'"

Die Wahlen in Nordrhein-Westfalen waren auch Thema. Die TAGESZEITUNG, kurz TAZ, und die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, kurz FAZ, beschäftigten sich in der vergangenen Woche mit dem Kulturhaushalt des einwohnerstärksten Bundeslandes. "Untergeordnete Rolle" war in der TAZ zu lesen, und in der FAZ stand das Wort "Kulturabbau" schon im Untertitel.

Das i-Tüpfelchen setzte Arno Widmann in der BERLINER ZEITUNG und der FRANKFURTER RUNDSCHAU auf diesen Generalverriss: Er jonglierte mit den Koalitionsmöglichkeiten im westlichsten Bundesland, und kam zu dem Ergebnis: "Wo jeder mit jedem kann und es zunehmend gleichgültig wird, wer regiert, da braucht man auch keine Wähler mehr."