Von Jens Brüning
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt über künstliche Kohlensäure im Rotkäppchen-Sekt. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet über die diesjährige europäische Kulturhauptstadt in Deutschland, das Ruhrgebiet. Und die "NZZ" berichtet über deren türkisches Pendant Istanbul.
"Nicht jede Plörre taugt für jeden Anlass", lasen wir am Donnerstag in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Christian Geyer erregte sich über eine Art "Enthüllung", nach der das Gebritzel im Sekt Marke "Rotkäppchen" nicht auf natürlichem Wege, sondern durch Hinzufügung industriell hergestellter Kohlensäure entsteht. Wir lernten, dass man von einem Sekt Marke "Rotkäppchen" nicht erwarten solle, er sprudle in derselben Liga wie eine französische Witwencouvée. Und dann bekamen wir vom FAZ-Redakteur Christian Geyer die Klarstellung in Sachen "Sekt des Vertrauens":
"Wenn sich beim Gesöff die Vertrauensfrage stellt, dann spricht das nicht gegen das Gesöff, sondern gegen die besoffene Vorstellung von Vertrauen, die da gepflegt wird."
Entlassen wurden wir aus dieser Lehrstunde mit dem Rat: "Traut keinem Schampus unter drei Euro neunundneunzig!" Da schrammte Christian Geyer gerade noch um 50 Cent am Verdacht vorbei, er als gebürtiger Aachener sei nachhaltig sauer, dass die ostdeutsche Traditionsmarke es zum Marktführer auf dem deutschen Sektmarkt gebracht hat.
Die Woche begann mit Feuerwerk und Wettertief, passend zur Eröffnung der "europäischen Kulturhauptstadt Ruhrgebiet". Am Montag schrieb Eckard Fuhr in der Tageszeitung DIE WELT:
"Die Flammen schossen aus dem Bühnenboden. Männer in Arbeitskluft hämmerten und schweißten und feilten, sie schlugen und tanzten den Rhythmus der Industrie. Und daraus wurde Jazz und Heavy Metal und Rap, Weltmusik, in der dann auch eine schräge Bergmannskapelle mit 'Glück auf, der Steiger kommt' ihren Platz fand."
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zitierte Andreas Rossmann den Bundespräsidenten Horst Köhler: "So was habe ich noch nie erlebt. Es könnte gar nicht besser sein." Johan Schloemann goss in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Wermut in den Festwein. Er schrieb:
"Die Europäische Kulturhauptstadt 2010 (neben Istanbul und Pécs) kommt in den Anfangstagen ein wenig daher wie ein aufgeregtes kleines Kind aus einfachen Verhältnissen, das zum ersten Mal bei den Großen mitspielen darf."
Schloemann zitierte jedoch auch den EU-Kommissionspräsidenten, wenngleich indirekt: "Wenn EU-Kommissionspräsident Barroso (mit Pelzmütze) die vergangenen 25 Jahre der Kulturhauptstädte mit der erhabenen Formel bilanziert, der Weg Europas führe 'von der Akropolis zur Zeche Zollverein' -, dann wird den Leuten im Essener Schneesturm von innen so warm, als wären die Hochöfen nie erloschen."
Stefan Keim kam in seinem Eröffnungsbericht für die FRANKFURTER RUNDSCHAU zu dem überraschenden Resümee: "Schnee schweißt manchmal zusammen."
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schrieb Michael Frank am Mittwoch über die Europäische Kulturhauptstadt Pécs: "Ein weithin unbekannter Mittelpunkt europäischer Vielfalt setzt sich in Szene." Die Stadt im Südwesten Ungarns bringe viel Selbstbewusstsein mit, meinte Frank und berichtete: "Als Geburtsort des Malers Victor Vasarély begreift sie sich als wahrer Ursprung der Popart, New York weit hinter sich lassend." Und zudem sei hier in Pécs der Nabel Europas zu orten: "Europa und Orient, Christen und Muslime, nirgendwo präsentieren sie sich in vergleichbarer Ökumene."
Dritte im Bunde der Europäischen Kulturhauptstädte ist Istanbul. Über diese Metropole am Bosporus schrieb am Mittwoch der dort geborene Präsident des Nationalen Buchzentrums Griechenlands, Petros Markaris, in der Tageszeitung DIE WELT unter der Überschrift: "Europa braucht den Orient – wenn er so ist wie Istanbul."
Europa nämlich fremdele noch ein wenig wegen der orientalischen Dimension, die in der Türkei vorherrsche. Damit müssten die Europäer sich aber in Zeiten bekannt machen, da "wir uns nolens volens mit dem Islam auseinandersetzen müssen", schrieb Markaris in der WELT. Und er wies darauf hin: "Im Gegensatz zur jüdischen Tradition und Kultur, die in Europa tief verankert sind, ist die orientalische Kultur den Europäern fast völlig unbekannt."
Günter Seufert hat für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG die Berichterstattung aus Istanbul übernommen. Er brachte am Donnerstag einen Überblick über die dortigen Aktivitäten und klagte:
"Keine der Aktionen im Rahmen des Kulturhauptstadt-Programms bringt kulturelle Ausgrenzung zur Sprache oder thematisiert Kultur als Mittel in der Hand des autoritären Staates. Mit dem Anspruch auf grundsätzliche Gleichheit wird Vielfalt bis jetzt noch nicht verbunden, Diversität ist immer noch kein Wert an sich und dient meist nur dazu, den ‚Reichtum der Kultur Istanbuls’ zu bezeugen."
Seufert kam in seinem Beitrag für die NZZ allerdings zu dem Schluss, dass "trotzdem ein wichtiger Anfang gemacht" wurde.
Auf den Seiten der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG tobte derweil die Debatte um das Internet und dessen Sinn und Zweck weiter. Am Freitag warnte der Sprecher des Chaos Computer Clubs, Frank Rieger, dass der Mensch zum Datensatz werde und brachte das schöne Beispiel: "Death-Metal-Fans über 35 Jahren, die sich für Spanien-Reiseführer interessieren, bestellen überdurchschnittlich oft Babywindeln und Schnuller online."
Das ist natürlich höherer Blödsinn, aber wer sagt uns, ob nicht nach solchen Kriterien dermaleinst menschliches Verhalten kategorisiert wird? In der Sonnabendausgabe der FAZ erschien ein Interview von Jordan Mejias mit dem amerikanischen Internet-Pionier Jaron Lanier. Der kam zu dem Schluss: "Aus neurowissenschaftlicher Sicht sind Suchmaschinen nichts als Schund." Und in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG schreibt Jaron Lanier sich seine Enttäuschung an der Internet-Entwicklung vom Herzen:
"Wenn man wissen will, worum sich eine Gesellschaft oder eine Ideologie wirklich dreht, sollte man der Spur des Geldes folgen. Wenn das Geld in die Werbung fließt und nicht zu Musikern, Journalisten und Künstlern, dann befasst sich eine Gesellschaft mehr mit Manipulation als mit Wahrheit oder Schönheit."
"Wenn sich beim Gesöff die Vertrauensfrage stellt, dann spricht das nicht gegen das Gesöff, sondern gegen die besoffene Vorstellung von Vertrauen, die da gepflegt wird."
Entlassen wurden wir aus dieser Lehrstunde mit dem Rat: "Traut keinem Schampus unter drei Euro neunundneunzig!" Da schrammte Christian Geyer gerade noch um 50 Cent am Verdacht vorbei, er als gebürtiger Aachener sei nachhaltig sauer, dass die ostdeutsche Traditionsmarke es zum Marktführer auf dem deutschen Sektmarkt gebracht hat.
Die Woche begann mit Feuerwerk und Wettertief, passend zur Eröffnung der "europäischen Kulturhauptstadt Ruhrgebiet". Am Montag schrieb Eckard Fuhr in der Tageszeitung DIE WELT:
"Die Flammen schossen aus dem Bühnenboden. Männer in Arbeitskluft hämmerten und schweißten und feilten, sie schlugen und tanzten den Rhythmus der Industrie. Und daraus wurde Jazz und Heavy Metal und Rap, Weltmusik, in der dann auch eine schräge Bergmannskapelle mit 'Glück auf, der Steiger kommt' ihren Platz fand."
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zitierte Andreas Rossmann den Bundespräsidenten Horst Köhler: "So was habe ich noch nie erlebt. Es könnte gar nicht besser sein." Johan Schloemann goss in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Wermut in den Festwein. Er schrieb:
"Die Europäische Kulturhauptstadt 2010 (neben Istanbul und Pécs) kommt in den Anfangstagen ein wenig daher wie ein aufgeregtes kleines Kind aus einfachen Verhältnissen, das zum ersten Mal bei den Großen mitspielen darf."
Schloemann zitierte jedoch auch den EU-Kommissionspräsidenten, wenngleich indirekt: "Wenn EU-Kommissionspräsident Barroso (mit Pelzmütze) die vergangenen 25 Jahre der Kulturhauptstädte mit der erhabenen Formel bilanziert, der Weg Europas führe 'von der Akropolis zur Zeche Zollverein' -, dann wird den Leuten im Essener Schneesturm von innen so warm, als wären die Hochöfen nie erloschen."
Stefan Keim kam in seinem Eröffnungsbericht für die FRANKFURTER RUNDSCHAU zu dem überraschenden Resümee: "Schnee schweißt manchmal zusammen."
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schrieb Michael Frank am Mittwoch über die Europäische Kulturhauptstadt Pécs: "Ein weithin unbekannter Mittelpunkt europäischer Vielfalt setzt sich in Szene." Die Stadt im Südwesten Ungarns bringe viel Selbstbewusstsein mit, meinte Frank und berichtete: "Als Geburtsort des Malers Victor Vasarély begreift sie sich als wahrer Ursprung der Popart, New York weit hinter sich lassend." Und zudem sei hier in Pécs der Nabel Europas zu orten: "Europa und Orient, Christen und Muslime, nirgendwo präsentieren sie sich in vergleichbarer Ökumene."
Dritte im Bunde der Europäischen Kulturhauptstädte ist Istanbul. Über diese Metropole am Bosporus schrieb am Mittwoch der dort geborene Präsident des Nationalen Buchzentrums Griechenlands, Petros Markaris, in der Tageszeitung DIE WELT unter der Überschrift: "Europa braucht den Orient – wenn er so ist wie Istanbul."
Europa nämlich fremdele noch ein wenig wegen der orientalischen Dimension, die in der Türkei vorherrsche. Damit müssten die Europäer sich aber in Zeiten bekannt machen, da "wir uns nolens volens mit dem Islam auseinandersetzen müssen", schrieb Markaris in der WELT. Und er wies darauf hin: "Im Gegensatz zur jüdischen Tradition und Kultur, die in Europa tief verankert sind, ist die orientalische Kultur den Europäern fast völlig unbekannt."
Günter Seufert hat für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG die Berichterstattung aus Istanbul übernommen. Er brachte am Donnerstag einen Überblick über die dortigen Aktivitäten und klagte:
"Keine der Aktionen im Rahmen des Kulturhauptstadt-Programms bringt kulturelle Ausgrenzung zur Sprache oder thematisiert Kultur als Mittel in der Hand des autoritären Staates. Mit dem Anspruch auf grundsätzliche Gleichheit wird Vielfalt bis jetzt noch nicht verbunden, Diversität ist immer noch kein Wert an sich und dient meist nur dazu, den ‚Reichtum der Kultur Istanbuls’ zu bezeugen."
Seufert kam in seinem Beitrag für die NZZ allerdings zu dem Schluss, dass "trotzdem ein wichtiger Anfang gemacht" wurde.
Auf den Seiten der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG tobte derweil die Debatte um das Internet und dessen Sinn und Zweck weiter. Am Freitag warnte der Sprecher des Chaos Computer Clubs, Frank Rieger, dass der Mensch zum Datensatz werde und brachte das schöne Beispiel: "Death-Metal-Fans über 35 Jahren, die sich für Spanien-Reiseführer interessieren, bestellen überdurchschnittlich oft Babywindeln und Schnuller online."
Das ist natürlich höherer Blödsinn, aber wer sagt uns, ob nicht nach solchen Kriterien dermaleinst menschliches Verhalten kategorisiert wird? In der Sonnabendausgabe der FAZ erschien ein Interview von Jordan Mejias mit dem amerikanischen Internet-Pionier Jaron Lanier. Der kam zu dem Schluss: "Aus neurowissenschaftlicher Sicht sind Suchmaschinen nichts als Schund." Und in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG schreibt Jaron Lanier sich seine Enttäuschung an der Internet-Entwicklung vom Herzen:
"Wenn man wissen will, worum sich eine Gesellschaft oder eine Ideologie wirklich dreht, sollte man der Spur des Geldes folgen. Wenn das Geld in die Werbung fließt und nicht zu Musikern, Journalisten und Künstlern, dann befasst sich eine Gesellschaft mehr mit Manipulation als mit Wahrheit oder Schönheit."