Von Jens Brüning

Die Feuilletons kommentieren den nach wie vor schwelenden Streit um den Hessischen Kulturpreis. Für Aufregung sorgt auch die Veröffentlichung der Birthler-Behörde, nach der der Westberliner Polizist Karl-Heinz Kurras Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen sein soll.
Die Feuilletons kommentieren den nach wie vor schwelenden Streit um den Hessischen Kulturpreis. Für Aufregung sorgt auch die Veröffentlichung der Birthler-Behörde, nach der der Westberliner Polizist Karl-Heinz Kurras Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen sein soll.

"Der Wettstreit der Religionen ist unübersehbar und unvermeidlich", lasen wir in der Wochenzeitung DIE ZEIT. In der Glosse "finis" spießte man anlässlich des Himmelfahrtstages sowohl das flächendeckende Grillwesen als auch den Disput um den Hessischen Kulturpreis - wenn auch nur im Verborgenen - auf. Wir lasen:

"Es ist an der Zeit, dem muslimischen Grillen entschieden ein christliches Grillen entgegenzusetzen, damit sich bewahrheite, was geschrieben steht: 'Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen'."

So steht es in der Bibel im 1. Buch Mose. Im Wochenmagazin DER SPIEGEL wird am Montag zu erkennen sein, dass der deutsch-israelische Publizist Rafael Seligmann ein äußerst Bibel-belesener Mann ist. Er zitiert zum Beispiel - ebenfalls bezogen auf den hessischen Streit um den vierten Mann im interreligiösen Preisträger-Club - aus dem Buch der Prediger:

"Lass dich nicht aufregen, sodass du dich ärgerst, denn Ärger steckt in den Ungebildeten."

Das ist natürlich nach all dem Getöse der vergangenen Woche leicht gesagt. Aber wie fing es an? Am Dienstag notierte Christoph Hickmann in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, dass die Vorgeschichte des Hessischen Kulturpreises "schon alles ad absurdum geführt hat, wofür der Preis hätte stehen sollen." Gewürdigt werden sollten Personen, die sich um interreligiöse Kooperation und der Schaffung einer Kultur des Respekts verdient gemacht hatten. Der Mainzer Kardinal Lehmann, der einstige evangelische Kirchenpräsident Steinacker, der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Samuel Korn, und der Muslim, Orientalist und Schriftsteller Navid Kermani wurden nominiert. Letzterer hatte kürzlich einen Artikel geschrieben. Rafael Seligmann urteilt über dessen Inhalt im jüngsten SPIEGEL:

"Mit seiner Ablehnung der Kreuzestheologie als 'Gotteslästerung und Idolatrie', also Götzendienst, hatte der Muslim den Rubikon der christlichen Gnade und Toleranz eindeutig überschritten."

Der Kardinal und der pensionierte Kirchenpräsident wollten mit so einem nicht zusammen auf einer Bühne stehen. Wir lesen im SPIEGEL:

"Lehmann und Steinacker haben die engen Toleranzgrenzen der christlichen Konfessionen und ihren Einfluss auf die Politik aufgezeigt."

Das hatte Arno Widmann in der FRANKFURTER RUNDSCHAU vom Dienstag bereits schärfer formuliert:

"Der Skandal liegt in der Bereitschaft der Bischöfe, hintenherum zu diskriminieren."

Sie hatten nämlich einen Brief an den Jury-Vorsitzenden, den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, geschrieben. Widmann tadelte in der FR:

"Unakzeptabel ist, dass der gewählte Ministerpräsident des Landes Hessen sich abhängig macht von ihm zugespielten geheimen Botschaften."

Und im Berliner TAGESSPIEGEL wurde am Mittwoch der Potsdamer Rabbiner Walter Homolka zitiert, "das Christentum habe leider 'immer noch nicht verinnerlicht, dass es nicht mehr Staatsreligion ist und anderen Religionen sagen kann, was sie zu glauben haben.'"

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG wies Matthias Drobinski am Dienstag auf die asymmetrische Aufstellung der Religionsgemeinschaften hin:

"Drei Millionen Muslime leben in Deutschland, doch im staatstragend-intellektuellen Diskurs der Bundesrepublik spielen sie keine Rolle."

Im Berliner TAGESSPIEGEL vom Sonnabend erinnerte der Professor für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Humboldt-Universität Berlin, Rolf Schieder, an Lessings Theater-Stück "Nathan der Weise" und meinte:

"Die Akteure im hessischen Staatspreis-Skandal hätten sich selbst jedenfalls viel Ärger und der Öffentlichkeit viel Aufregung ersparen können, wenn sie vorher den Rat Lessings gesucht hätten."

Für viel Aufregung sorgte am Freitag die Veröffentlichung zweier Historiker der Birthler-Behörde, nach der der Westberliner Polizist Karl-Heinz Kurras Inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der Deutschen Demokratischen Republik gewesen sei. Am Sonnabend waren alle Blätter voll von dieser "epochalen Enthüllung", wie der einstige SPIEGEL-Chefredakteur und Kenner der "Rote Armee Fraktion", Stefan Aust, den Zufallsfund im Stasi-Aktenkeller nannte. Er schrieb auf der fast vollständig für dieses Thema frei geräumten Feuilleton-Aufmacherseite der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:

"Dass die Stasi auf dem Weg in die politische Gewalt Handlangerdienste leistete, ist nicht neu."

Dass nun aber ein Stasispitzel im Westberliner Polizeiapparat auch noch dafür gesorgt haben könnte, dass sich im Sommer 1967 die Studenten radikalisierten, indem er den tödlichen Schuss auf den überaus harmlosen und bloß neugierigen Germanistikstudenten Benno Ohnesorg abgab, und das vielleicht gar auf Veranlassung seines Führungsoffiziers im Osten, das ist eine völlig neue Theorie, der Lorenz Jäger unter dem Titel "Hätten wir das gewusst" im selben Blatt nachging. Er schrieb:

"Alles wird zweifelhaft und scheint sich zu verwischen. Günter Grass war als Soldat in der Waffen-SS, Kurras in der SED: verkehrte Welt." Jäger korrigierte sich sogleich: "Ach nein, die wirkliche und wahre. Man sollte wieder mehr Kafka lesen. Wie schön, dass wir das noch erleben dürfen."

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hielt Willi Winkler - allerdings auf der samstäglichen Seite 2 - dagegen: "Es wäre lächerlich, bei der Tötung Ohnesorgs die Stasi am Werk zu sehen." Karl-Heinz Kurras streitet - trotz eindeutiger Archivfunde - eine Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter ab. Er lebt 81-jährig in Berlin-Spandau und verzehrt seine Pension. Heribert Prantl kommentierte am Sonnabend in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG: "Eine Wiederaufnahme der Ermittlungen heute wäre strafrechtlicher Unfug."