Von Interessenkonflikten und Zielkonflikten

Von Barbara Schmidt-Mattern |
Die alte und mögliche neue Ministerpräsidentin von NRW, Hannelore Kraft, kann sich freuen: Ihre Fraktion ist kräftig gewachsen - ein Riesenerfolg für die Genossen. Und auch die Grünen sind zufrieden mit der Wahl - die Gewinner und auch Verlierer dieser Landtagswahlen müssen sich nun neu ordnen.
Die erste Fraktionssitzung der Sozialdemokraten nach der Landtagswahl. Begeistert wird die alte und neue Ministerpräsidentin Hannelore Kraft von den Abgeordneten empfangen. Die Fraktion ist von 67 auf 99 Mitglieder angewachsen - ein Riesenerfolg für die Genossen, den sie vor allem ihrer Spitzenkandidatin verdanken. Doch Hannelore Kraft zeigt sich als Teamspielerin:

"''Das ist einfach ein tolles Gefühl, wenn man jetzt die Leute sieht, mit denen man gemeinsam gekämpft hat, und die sind alle hier! Das ist irgendwie ganz klasse.""

SPD und Grüne, befreit vom Joch der Minderheitsregierung - einem Zustand, den beide Parteien in den vergangenen zwei Jahren oft als kompliziert und aufreibend empfunden haben. Für jede noch so kleine Gesetzesinitiative musste die Regierung Klinken putzen beim politischen Gegner, weil immer genau eine Stimme zur eigenen Mehrheit fehlte. Damit ist jetzt Schluss. Die Neuwahl am 13. Mai hat Rot-Grün einen deutlichen Vorsprung verschafft. Der Generalsekretär der NRW-SPD, Michael Groschek, strotzt daher vor Selbstbewusstsein:

"Wir haben als Sozialdemokraten Aachen, Bonn, Köln, Düsseldorf, Münster, Neuss und Krefeld komplett geholt."


Beim kleinen Koalitionspartner, den Grünen, herrscht statt Euphorie eher Erleichterung. Vor der Wahl hatte die Partei zeitweise schon das Schlimmste befürchtet: Ein einstelliges Wahlergebnis, das die Fortsetzung von Rot-Grün möglicherweise verhindert hätte. Grund zur Sorge gab es gleich mehrfach:

Die scheinbare Konkurrenz der Piraten, das Desinteresse der Wähler an grünen Themen und die hölzerne Art der Spitzenkandidatin, Schulministerin Sylvia Löhrmann. Sie gilt zwar als kompetent, aber nicht eben als brillante Wahlkämpferin. Deutlich hinzugewonnen hat allein die SPD. Das wird sich auswirken auf die künftigen Machtverhältnisse in der Koalition. Die Sozialdemokraten an der Basis, etwa in Duisburg, geben schon einmal Ratschläge:

"Da würde ich ohne weiteres der Hannelore den guten Rat geben, ruhig selbstbewusst mit den Grünen zu verhandeln. Ich sehe mit Sicherheit noch einigen Spielraum, der uns zugute kommt an der Basis. Industriepolitik. Da sind die Grünen manchmal etwas zögerlich. Wir wissen gerade hier in Duisburg, wie wichtig unsere Arbeitsplätze sind im Industriebereich. Ökologie ist zwar gut, aber das kostet zum Teil auch Arbeitsplätze. Ich persönlich bin zum Beispiel für Kohlekraftwerke."

Und die Grünen eben nicht. Vorsorglich betont deren Landesparteichefin Monika Düker deshalb ihre Eigenständigkeit, von einem rot-grünen Projekt könne keine Rede sein:

"Wir haben es nie als Projekt bezeichnet. Wir sind zwei Partner, die gut zusammenpassen, wo die Schnittmenge am größten ist, und es liegt uns fern, solche Zusammenarbeiten zu überhöhen, das haben wir ja auch nie gemacht."

Eine Art grüne Unabhängigkeits-Erklärung. Noch deutlicher wird auch bei den Grünen die Partei-Basis, wie diese beiden Mitglieder aus Pulheim bei Köln. Bei ihnen geht die Sorge um, die SPD könnte zum alten hochmütigen Prinzip von Koch und Kellner zurückkehren:

"Wir wissen, dass das Thema Energiepolitik gerade zwischen SPD und Grünen ein Knackpunkt sein wird, auch bei den Koalitionsverhandlungen jetzt. Wir haben natürlich schon die Sorge, dass Teile der SPD wieder zurückfallen in ihr altes Geschrei nach Arbeitsplätzen und dabei die Umwelt auf der Strecke bleibt."

Viel verbindlicher klingt hingegen Sylvia Löhrmann, die in den letzten zwei Jahren eng und meistens auch gut mit Hannelore Kraft zusammen gearbeitet hat. Als Frauenduo, gar als Hanni und Nanni vom Rhein wurden die beiden in den Medien stilisiert, was ihnen durchaus gefiel. Es soll ein Bündnis auf Augenhöhe bleiben:

"Insofern gibt es ja gar nicht in vielen Bereichen Rot-Grün-Konflikte, sondern es gibt einfach Interessenskonflikte und Zielkonflikte, und die müssen wir auflösen. Und ich glaube aber auch, die werden wir auflösen."

So Löhrmann nach der zweiten Runde der rot-grünen Koalitionsgespräche am vergangenen Samstag. Offiziell dringt vom Verhandlungstisch kein konfliktträchtiges Wort nach draußen. Die geplante Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei Landtagswahlen war bisher die einzige, etwas lahme, Neuigkeit bei den Koalitionsverhandlungen.

Ansonsten gehen die Ansichten und Wünsche von SPD und Grünen durchaus auseinander. Beispiel Finanzen. Hannelore Kraft will in Zeiten kleiner werdender Schulklassen nicht mehr alle Lehrerstellen im Land neu besetzen, sondern das Geld lieber in die Haushalts-Konsolidierung stecken oder es den Hochschulen und Kindertagesstätten zur Verfügung stellen.

Doch weil sie weiß, dass die Grünen das skeptisch sehen, hält Hannelore Kraft sich offiziell zurück und formuliert höchst allgemein:

"Wir wollen die Schuldenbremse einhalten. Das ist natürlich eine wichtige finanzielle Grundlage. Wir bleiben bei dem Dreiklang unserer Finanzpolitik, nämlich Einsparung konkret im konkreten Bereich, aber auch Steigerung der Einnahmen und Investitionen in die Zukunft."

Zweiter Streitpunkt: Die Energiepolitik - ein Schlüsselressort im Industrieland Nordrhein-Westfalen, um das sich de facto bisher der überaus ehrgeizige Umweltminister Johannes Remmel von den Grünen kümmerte. Jetzt aber könnte die Energiepolitik einem SPD-Minister zufallen, denn die Sozialdemokraten wollen mit diesem Thema die Bundesregierung unter Druck setzen.

Beide Seiten, SPD wie Grüne, verfolgen bei diesem Thema also eigene Interessen, und so wird bis zur letzten Minute über Ressorts und Personalien verhandelt. Gerade diese Machtfragen werden Aufschluss geben über das künftige Kräftemessen beider Partner. Kommende Woche soll der rot-grüne Koalitionsvertrag fertig sein. Am 20. Juni steht dann die Wiederwahl von Regierungschefin Hannelore Kraft im Landtag an. Erst danach wird das neue Kabinett vorgestellt, es werden im Wesentlichen die gleichen Köpfe wie bisher sein.

Für den neu gewählten Landtag gilt das nicht. Wegen der vielen Überhang- und Ausgleichsmandate muss umgebaut werden, denn der Plenarsaal beherbergt künftig nicht mehr 181, sondern 237 Abgeordnete.

Die FDP hat sich stärker behauptet als von vielen erwartet. Doch die NRW-Liberalen müssen mit der bangen Frage leben, ob ihr so genannter Hoffnungsträger Christian Lindner wirklich die gesamte Legislaturperiode hindurch als Fraktionschef in Düsseldorf bleiben wird, oder ob er nicht doch nach Berlin zurückkehrt, um Philipp Rösler zu beerben.

Bei der Linkspartei sind die Würfel schon gefallen: Nach nur zwei Jahren Parlaments-Erfahrung ist sie an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Auf ihren Plätzen im Plenarsaal nehmen nun erstmals die Piraten Platz. Von einigen im Landtag derzeit noch als "Besuchergruppe" verspottet, klagen die Freibeuter über fehlende Steckdosen für ihre Laptops und fallen ansonsten durch das Bekenntnis auf, sie seien nicht Politiker, sondern Bürger, die Politik machen. Pirat Daniel Düngel, der gerade zum neuen Vize-Landtagspräsidenten aufgestiegen ist, hat ziemlich großen Respekt vor dem Hohen Haus:

"Klar habe ich auch mal auf Youtube mir das eine oder andere Video angeguckt, wie so eine Plenarsitzung auch tatsächlich abläuft. Aber das wird sich dann in der Praxis sicherlich noch mal ein bisschen anders darstellen. Ich freue mich darauf, ich freue mich auf den Job, und hoffe da einfach auch auf Mithilfe von den erfahrenen Kollegen hier im Haus."

Viele der erfahrenen Kollegen sind allerdings aus dem Parlament geflogen - vor allem alt gediente Abgeordnete aus den Reihen der CDU. Die Christdemokraten haben gleich reihenweise Direktmandate verloren. Mit nur 26,3 Prozent hat die Landespartei das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Fraktionschef Karl-Josef Laumann ist noch immer fassungslos:

"Sie glauben auch gar nicht, wie viele Mails wir haben von Menschen, die tief besorgt sind. Die sagen, mein Gott, wir müssen doch jetzt was unternehmen, dass die CDU wieder eine starke Partei in Nordrhein-Westfalen wird."

"Die Stimmung ist natürlich auf dem Nullpunkt ..."

Ergänzt Stefan Wiedon, der selbst gerade sein Landtagsmandat verloren hat. Mit den folgenden Worten beschreibt er durchaus seine eigene Stimmungslage:

"Viele Abgeordnete, die selber einen guten Wahlkampf gemacht haben, die im Parlament einen guten Job gemacht haben, sind jetzt draußen, und empfinden das natürlich auch als ungerecht. Und diese Ungerechtigkeit spiegelt sich dann auch in der Stimmung wieder."

Jetzt muss die Partei in jeder Hinsicht von vorne anfangen. Thematisch will sie sich wieder stärker auf ihr Kernthema Wirtschaft konzentrieren, sich besser um ihre Stammwähler kümmern und mehr junge Leute in die Partei holen. Das jedenfalls verspricht die neue Doppelspitze: Der gerade im Amt bestätigte Fraktionschef Karl-Josef Laumann und Armin Laschet, Norbert Röttgens designierter Nachfolger als Landesparteichef. Laschet, katholisch, verheiratet, rheinisches Gemüt - wagt gar ein wenig Galgenhumor:

"Ich selbst leide ja in diesen Tagen gleich mehrfach. Sie wissen, dass Alemannia Aachen abgestiegen ist, und da sitzen jetzt alle zusammen und sagen, wie schaffen wir das schnell, dass wir wieder aufsteigen."

Zunächst einmal mit einem Par Force Ritt durch sämtliche 54 Kreisverbände. Laschet will zuhören, Trost spenden - und vorbeugen. Denn es brodelt unermüdlich an der Basis. Schon regt sich neue Kritik an der so genannten Doppelspitze: Das Duo Laschet-Laumann sei in Hinterzimmern ausgekungelt worden und stehe nicht gerade für einen Neuanfang, so die Klage vieler Christdemokraten. Doch eine Revolte wird nicht ausbrechen. Auf einem eigens einberufenen Landesparteitag werden die Delegierten Armin Laschet am 30. Juni zu ihrem neuen Vorsitzenden wählen. Der 51-Jährige hat dann fünf Jahre Bewährungszeit - bis zur Landtagswahl 2017.
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