Von Hans von Trotha
"Welt", "SZ", "taz" und "Berliner Zeitung" feiern den 70. Geburtstag des Comic-Autors Robert Crumb, die "Süddeutsche" betreibt Historische-Romane-Bashing. Tagesthema ist aber das Thomas-Mann-Archiv in Zürich, das dreizehn Kisten mit Briefen aus dem Familienbesitz verlegt hat.
"Welt", "SZ", "taz" und "Berliner Zeitung" feiern den 70. Geburtstag des Comic-Autors Robert Crumb, die "Süddeutsche" betreibt Historische-Romane-Bashing. Tagesthema ist aber das Thomas-Mann-Archiv in Zürich, das dreizehn Kisten mit Briefen aus dem Familienbesitz verlegt hat.
Ist schon Buchmesse? Wenn Buchmesse ist, dann ist endgültig Herbst. Aber – Entwarnung. Es ist noch gar nicht Buchmesse. Es sieht nur so aus, weil in den Feuilletons so viel von Büchern die Rede ist. Und weil Martin Walsers neuer Roman schon erscheint, den uns Judith von Sternberg in der BERLINER ZEITUNG unter der Überschrift "Immunschwäche der Seele" ans Herz legt. Burkhard Müller nimmt in der SÜDDEUTSCHEN T.C. Boyles neuen Roman "San Miguel" zum Anlass für ein grundsätzliches Historische-Romane-Bashing – wobei er immerhin zugibt, dass Boyles Werk "sich über das breite bunte Mittelfeld des historischen Romans erhebt":
"Historische Romane sind vor allem etwas für Autoren der zweiten Liga. Ihnen gelingen diese in der Regel dickleibigen Werke ohne besondere Schwierigkeiten, weil sie von Schwierigkeiten gar nichts wissen und sich so unbeschwert ans Werk machen, als wäre es Fantasy; nur dass sie ihre kaleidoskopische Erfindungsgabe nicht in ein Märchenland oder eine unbestimmte Zukunft richten, sondern in eine Vergangenheit, von der sie wenig zu kennen brauchen, um ziemlich viel draus zu machen."
Alle feiern den 70. Geburtstag des großen Comic-Autors Robert Crumb, dessen Werk lange nicht als Literatur durchging, woran Matthias Heine in der WELT mit einem Zitat von Robert Gernhardt erinnert: "Welch ein Zeichner! Welch ein Geschichtenerzähler! Welch ein Jammer, dass er hierzulande mit all dem Comic-Schrott den Kulturbach runtergegangen ist, nein: welch eine Schande." Es ist dann doch noch anders gekommen. Während Christoph Haas in der SÜDDEUTSCHEN über ein arg gediegenes "Es ist Zeit, ihn neu zu entdecken" nicht hinauskommt – das hätte er auch über Martin Walser oder T.C. Boyle schreiben können – , wird Crumb in der WELT als "Der große Befreier", in der BERLINER ZEITUNG gar als "Der Frauenversteher" gefeiert. "Plastisch, kraftvoll, energiegeladen" nennen Jens Balzer und Christian Schlüter den Strich des Zeichners. Dasselbe ließe sich über ihre eigenen Formulierungen sagen, etwa wenn sie die "orgiastische Feier des in draller Plastizität vollendeten Frauenkörpers" preisen. In der TAZ argumentiert Frank Schäfer schlichter: "Die Karriere von Robert Crumb lehrt uns, was aus einem neurotischen Postkartenmaler werden kann. Wenn er die richtigen Drogen nimmt."
Geradezu strotzend vor literarischen Themen gebärdet sich das Feuilleton der FAZ. Da skizziert Hannes Hintermeier in einem langen Bericht den Niedergang der Buchhandelsketten Thalia und Hugendubel vor dem Hintergrund des Erfolgs der süddeutschen Filialbuchhandlung Osiander. Deren Geschäftsführer wird mit der leider nur vordergründig tautologischen Beobachtung zitiert: "Eine Buchhandlung müsse als Buchhandlung erkennbar bleiben." Sein Slogen lautet: "Keine Quietscheenten"."
In einer Glosse werden die Ergebnisse zweier Umfragen referiert, von denen die eine wieder einmal behauptet, Männern ginge es beim Lesen um Information, während Frauen ""in andere Lebenswelten" eintauchen wollen, und die andere besagt, dass "von Frauen geführte Unternehmen seltener pleitegehen". Fazit der FAZ: "Wahrscheinlich war Toni Buddenbrook ihrer Zeit einfach voraus."
Womit die Zeitung bei ihrem eigentlichen Tagesthema wäre: Thomas Mann. Die Überschrift: "Das Archiv der dreitausend vergessenen Briefe". Der Skandal: "Das Thomas-Mann-Archiv in Zürich soll den Nachlass des Nobelpreisträgers bewahren und pflegen. Offenbar hat man dort aber den Überblick verloren – dreizehn Kisten mit Briefen aus dem Familienbesitz wurden schlichtweg verlegt." Das, so die FAZ, "erzürnt die Erben und wirft gravierende Fragen auf." Denen geht Tilmann Lahme akribisch nach. "Frido Mann ist wütend", erfahren wir, aber auch Allgemeinmenschliches, etwa: "Wer einmal mit Archivaren zu tun hatte, weiß, dass die meisten sich lieber von ihrem Lebenspartner als von einem Stück Archivgut trennen." Für die ehemalige Mann-Sekretärin Anita Naef, die als Rente eine Beteiligung an Thomas Manns Tantiemen erhielt, erfindet der Autor die Kategorie der "kleptomanischen Fürsorge". Das wird, ja das muss die Thomas-Mann-Gemeinde schwer erschüttern. 13 Kisten. Frido Mann hat schon mal zu Protokoll gegeben: "Es gibt sicher einen anderen Ort, wo man mit dem Nachlass Thomas Manns mehr anzufangen weiß." Gibt es womöglich auf der Buchmesse neben der obligatorischen Frage, wer den Nobelpreis bekommt, in diesem Jahr noch eine zweite Frage, auf die man wetten kann?
Ist schon Buchmesse? Wenn Buchmesse ist, dann ist endgültig Herbst. Aber – Entwarnung. Es ist noch gar nicht Buchmesse. Es sieht nur so aus, weil in den Feuilletons so viel von Büchern die Rede ist. Und weil Martin Walsers neuer Roman schon erscheint, den uns Judith von Sternberg in der BERLINER ZEITUNG unter der Überschrift "Immunschwäche der Seele" ans Herz legt. Burkhard Müller nimmt in der SÜDDEUTSCHEN T.C. Boyles neuen Roman "San Miguel" zum Anlass für ein grundsätzliches Historische-Romane-Bashing – wobei er immerhin zugibt, dass Boyles Werk "sich über das breite bunte Mittelfeld des historischen Romans erhebt":
"Historische Romane sind vor allem etwas für Autoren der zweiten Liga. Ihnen gelingen diese in der Regel dickleibigen Werke ohne besondere Schwierigkeiten, weil sie von Schwierigkeiten gar nichts wissen und sich so unbeschwert ans Werk machen, als wäre es Fantasy; nur dass sie ihre kaleidoskopische Erfindungsgabe nicht in ein Märchenland oder eine unbestimmte Zukunft richten, sondern in eine Vergangenheit, von der sie wenig zu kennen brauchen, um ziemlich viel draus zu machen."
Alle feiern den 70. Geburtstag des großen Comic-Autors Robert Crumb, dessen Werk lange nicht als Literatur durchging, woran Matthias Heine in der WELT mit einem Zitat von Robert Gernhardt erinnert: "Welch ein Zeichner! Welch ein Geschichtenerzähler! Welch ein Jammer, dass er hierzulande mit all dem Comic-Schrott den Kulturbach runtergegangen ist, nein: welch eine Schande." Es ist dann doch noch anders gekommen. Während Christoph Haas in der SÜDDEUTSCHEN über ein arg gediegenes "Es ist Zeit, ihn neu zu entdecken" nicht hinauskommt – das hätte er auch über Martin Walser oder T.C. Boyle schreiben können – , wird Crumb in der WELT als "Der große Befreier", in der BERLINER ZEITUNG gar als "Der Frauenversteher" gefeiert. "Plastisch, kraftvoll, energiegeladen" nennen Jens Balzer und Christian Schlüter den Strich des Zeichners. Dasselbe ließe sich über ihre eigenen Formulierungen sagen, etwa wenn sie die "orgiastische Feier des in draller Plastizität vollendeten Frauenkörpers" preisen. In der TAZ argumentiert Frank Schäfer schlichter: "Die Karriere von Robert Crumb lehrt uns, was aus einem neurotischen Postkartenmaler werden kann. Wenn er die richtigen Drogen nimmt."
Geradezu strotzend vor literarischen Themen gebärdet sich das Feuilleton der FAZ. Da skizziert Hannes Hintermeier in einem langen Bericht den Niedergang der Buchhandelsketten Thalia und Hugendubel vor dem Hintergrund des Erfolgs der süddeutschen Filialbuchhandlung Osiander. Deren Geschäftsführer wird mit der leider nur vordergründig tautologischen Beobachtung zitiert: "Eine Buchhandlung müsse als Buchhandlung erkennbar bleiben." Sein Slogen lautet: "Keine Quietscheenten"."
In einer Glosse werden die Ergebnisse zweier Umfragen referiert, von denen die eine wieder einmal behauptet, Männern ginge es beim Lesen um Information, während Frauen ""in andere Lebenswelten" eintauchen wollen, und die andere besagt, dass "von Frauen geführte Unternehmen seltener pleitegehen". Fazit der FAZ: "Wahrscheinlich war Toni Buddenbrook ihrer Zeit einfach voraus."
Womit die Zeitung bei ihrem eigentlichen Tagesthema wäre: Thomas Mann. Die Überschrift: "Das Archiv der dreitausend vergessenen Briefe". Der Skandal: "Das Thomas-Mann-Archiv in Zürich soll den Nachlass des Nobelpreisträgers bewahren und pflegen. Offenbar hat man dort aber den Überblick verloren – dreizehn Kisten mit Briefen aus dem Familienbesitz wurden schlichtweg verlegt." Das, so die FAZ, "erzürnt die Erben und wirft gravierende Fragen auf." Denen geht Tilmann Lahme akribisch nach. "Frido Mann ist wütend", erfahren wir, aber auch Allgemeinmenschliches, etwa: "Wer einmal mit Archivaren zu tun hatte, weiß, dass die meisten sich lieber von ihrem Lebenspartner als von einem Stück Archivgut trennen." Für die ehemalige Mann-Sekretärin Anita Naef, die als Rente eine Beteiligung an Thomas Manns Tantiemen erhielt, erfindet der Autor die Kategorie der "kleptomanischen Fürsorge". Das wird, ja das muss die Thomas-Mann-Gemeinde schwer erschüttern. 13 Kisten. Frido Mann hat schon mal zu Protokoll gegeben: "Es gibt sicher einen anderen Ort, wo man mit dem Nachlass Thomas Manns mehr anzufangen weiß." Gibt es womöglich auf der Buchmesse neben der obligatorischen Frage, wer den Nobelpreis bekommt, in diesem Jahr noch eine zweite Frage, auf die man wetten kann?