von Hans von Trotha

Die Leipziger Buchmesse und die Papstwahl in Rom sind die beiden Themen, die heute in fast allen Feuilletons ganz oben stehen.
Der Vorabend ist ein ganz besonderer Zustand. Er ist so etwas wie eine zu Alltag geronnene philosophische Haltung. Den Vorabend erleben wir physisch im Hier und Jetzt, gedanklich aber schon irgendwo anders. Der Vorabend ist der große Moment des Feuilletons.

So widmen sich die Kulturseiten, die der BERLINER ZEITUNG gleich auf einer ganzen Seite, der Frage, wer die vielen Preise bekommen wird, die auf der Leipziger Buchmesse vergeben werden. Vor-Vorberichterstattung könnte man das nennen. Daneben feiert der TAGESSPIEGEL den Vorabend vom Ende des Kapitalismus. "Noch nie blühte die Kapitalismuskitik so wie heute", meint Gregor Dotzauer und schreibt über seinen Essay: "Über die Konjunktur einer intellektuellen Disziplin zwischen Radikalität und Ratlosigkeit". Das ist die Kombination, die den Vorabend auszeichnet: radikale Hoffnung, gepaart mit der Ratlosigkeit der Unwissenden.

Eine Schwundstufe dieser Erfahrung machen wir täglich mit der Wettervorhersage. Gerd Gigerenzer knöpft sich in der FAZ die Niederschlagswahrscheinlichkeit als eine der meistmissverstanden Alltagsmeldungen vor. Fazit:

"Neue Vorhersagetechniken haben den Meteorologen die Möglichkeit gegeben, rein verbale Äußerungen der Gewissheit (`Morgen wird es regnen´) oder der Wahrscheinlichkeit (`Es ist möglich, dass´) durch numerische Exaktheit zu ersetzen. Aber größere Exaktheit hat nicht zu größerer Klarheit über die Bedeutung der Nachricht geführt."

Und:

"Für die meisten Leute geht es nur darum, ob sie einen Familienausflug unnötigerweise absagen oder nasse Füße bekommen. Vielleicht missverstehen die Menschen die Niederschlagswahrscheinlichkeit nur deshalb, weil so wenig auf dem Spiel steht. Sind wir risikokompetenter, wenn es um etwas wirklich Wichtiges geht?"

Zum Beispiel darum, wer der nächste Papst wird? Nun können wir da ja eh nur spekulieren, weil wir es nicht beeinflussen können, allenfalls durch Beten, und das nur, wenn wir katholisch sind. Und doch ist der Vorabend des neuen Pontifikats das Thema des Tages.

In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG lehnt sich der Theologe Jan-Heiner Tück weit aus dem Fenster, indem er, erstens, sagt, was die Aufgabe des neuen Papstes sein wird, nämlich: Dezentralisierung, und, zweitens, Namen nennt: den eines Kardinals, der dafür bereits 1963 ganz konkrete Vorschläge gemacht hat, und den eines Kardinals, der über diesen Komplex promoviert hat (die Promotionsdebatte hatten wir bei den Kardinälen noch gar nicht).

Mögliche Päpste? Nun, der eine heißt Jospeh Ratzinger und ist schon Altpapst, und der andere heißt Antonio Tagle und ist erst 55. Der Zauber des Vorabends lässt aber auch einen gestandenen Theologieprofessor träumen: "Wahrscheinlich ist seine Wahl nicht. Ganz ausgeschlossen aber auch nicht", schreibt Tück. Gemeint ist Tagle. Man darf den Namen übrigens ganz ungeniert googeln, die anderen Kardinäle sollen das auch getan haben.

"Machtvakuum in Rom: Wer schließt die Lücken?", fragt die FAZ unter dem Titel "Von Paten und Päpsten" (übrigens ein Plural, der bislang nur in der Scherzfrage existiert hat: "Wie begrüßen sich eigentlich zwei Päpste? – Antwort: Gar nicht" – an den wir uns jetzt aber werden gewöhnen müssen). "Im Vakuum der Macht", schreibt Dirk Schümer, "kommen, wie im Horrorfilm, auch immer einige Leichen aus dem Keller an die Oberfläche." Gemeint ist dann gar nicht der Papst, sondern Berlusconi. Aber nicht nur:

"Nicht zufällig überlebt die weltweit einzige Monarchie mit Gehorsamseid und Intransparenz mitten in Rom. Und auch hier sind die Tage des Interregnums die einzigen, in denen selbst die Elite der Kardinäle wenigstens ein bisschen über Missstände, Reformen, Seilschaften diskutieren darf."

Und dann hat Staatspräsident Napolitano auch nur noch ein paar Wochen. Die "Angst vor Unregierbarkeit ist so groß, dass immer mehr Granden eine Wiederwahl des siebenundachtzigjährigen Exkommunisten ins Gespräch bringen." Schümer zitiert den Corriere de la sera, der erläutert, das sei, als wolle "man im Vatikan aus Angst vor Veränderung Ratzinger eine zweite Amtszeit aufdrängen." Der Gedanke scheint sich immer wieder einzuschleichen.

Kia Vahland spekuliert in der Süddeutschen, wie die Kardinäle sich von den Malereien in der Sixtinischen Kapelle beeinflussen lassen:

"Wer weiß, wenn das aktuelle Konklave sehr lange dauert, und die Kardinäle viele Tage lang dieser Bildwelt ausgesetzt sein werden, vielleicht wählen sie dann einen der Selbstkritik fähigen Asketen zum nächsten Papst."

Es ist schon erstaunlich, zu was für Phantasien der Mensch an so einem Vorabend fähig ist.