Von Hans von Trotha

Es sind nicht die akuten Krisen, die heute das Feuilleton beschäftigen, sondern ganz besonders die latenten, die chronischen, die historischen: die Debatte um das für Frankfurt geplante Museum der Deutschen Romantik, die Auseinandersetzung mit einer Art neuer Zigeunerromantik und das Kritikerlob über einen Film über das Versagen der Nachkriegspädagogik.
Schon seit längerem nehmen sich die Feuilletons aus wie Chroniken des Verfalls, wie Dokumentationen der Krise im Spiegel ihrer Folgen. „Vom Schwinden der Erinnerung“ ist jetzt gar ein ganzseitiger Artikel von Petros Markaris in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG überschrieben, der Athen als „Stadt im Niedergang“ schildert.

„Die Krise nagt an der gesellschaftlichen Kohäsion und urbanen Substanz",“ heißt es da. Ein Stadtbild wie ein Menetekel. Schließlich schlägt die Krise auch bei uns regelmäßig zu. Neuestes Opfer: das für Frankfurt geplante Museum der Deutschen Romantik, eine Gedenkort für die deutscheste, ungeklärteste, unheimlichste aller historischen Geistesströmungen.

Von einer „"nationalen Chance, die in Frankfurt gerade vertan wird“, spricht Volker Breidecker in der SÜDDEUTSCHEN. Christian Thomas kommentiert in der RUNDSCHAU:

„Frankfurts Grünen fehlte die Empathie. Kulturhistorisch gesprochen: für einen solchen Erinnerungsort der Normsprengung. Ökonomisch gesagt: für ein solches Alleinstellungsmerkmal Frankfurts. Romantisch gesprochen: Die Grünen wollten sich nicht `hinaufstimmen´ lassen. Sie wollten entzaubert werden.“

Dieter Bartetzko packt in der FAZ schlicht „der kalte Zorn“ darüber, „wie diese Stadt sich kulturell herunterhungert.“ Und Eckhard Fuhr vermeldet in der Welt „Ein Massaker an der deutschen Kultur“. Er führt das Desaster auf Reibungen zwischen Bürgermeister und Stadtrat zurück:

„Die dabei entstehende Energie muss abgeleitet werden. Die Geschichte ist voller Beispiele dafür, dass dafür ein kleines Massaker an Dritten ein probates Mittel ist. Ein solches haben der rote Oberbürgermeister und die schwarzgrüne Koalition jetzt an der Frankfurter Kultur begangen.“

Die TAZ macht ein häufiges Motiv in unseren Bildern von der Krise zum Thema: bettelnde Roma. Man könnte fast von einer Art neuer Zigeunerromantik sprechen. Die entzaubert Norbert Mappes-Niediek:

„In Ungarn, der Slowakei und Bulgarien ist `Zigeunerkriminalität´ schon lange ein Dauerbrenner. Jetzt hält das Thema Einzug in seriöse deutsche Printmedien.“

Und weiter:

„Dabei wird nicht direkt die alte Gewissheit bedient, dass Zigeuner klauen. In Features und Reportagen entsteht vielmehr das Bild einer großen, geheimen, den Kontinent umspannenden Organisation … . Die Elendsgestalten, die einem in deutschen Städten begegnen, sind in diesem Bild zwar auch Opfer, zugleich aber Agenten einer bedrohlichen Macht.“

Und genau das scheint ein Mythos zu sein. Mappes-Niedieks Fazit lautet: „Was wir lieber für Kultur oder das Werk einer kontinentalen Organisation halten würden, ist in Wirklichkeit einfach Armut oder ihre mittelbare Folge.“

Und:

„Wer das Verhalten der Armutswanderer Roma verstehen will, muss kein Kriminologe sein und braucht auch keine ethnologischen Werke zu studieren. Es genügt im Wesentlichen, sich vorzustellen, wie man selbst leben würde, wenn man kein Geld, keine Arbeit, keine Wohnung hätte. Das ist allerdings keine schöne Vorstellung, und wer nicht muss, setzt sich ihr ungern aus.“

Das gilt erst recht für die Vorstellung, als wehrloses Kind alleingelassen einem unmenschlichen System ausgeliefert zu sein, wie es in den Kinderheimen der jungen Bundesrepublik geherrscht hat. Dazu zwingt uns Dror Zahavis Spielfilm „Und alle haben geschwiegen“, den das ZDF zur besten Sendezeit mit anschließender Diskussion zeigt. Er wird von sämtlichen Kulturseiten empfohlen. Dieter Bartetzko hält ihn in der FAZ für einen „Glücksfall an subtilem Engagement“ und Monika Maier-Albang schreibt in der SÜDDEUTSCHEN, der Film wage sich an

„das Versagen der deutschen Nachkriegspädagogik“

– ein Kapitel, das lange bemäntelt, verschwiegen, verdrängt worden ist.

Es sind also nicht nur die akuten Krisen, die das Feuilleton beschäftigen, sondern immer wieder auch die latenten, die chronischen, die historischen. In einem gut gemachten Museum der Deutschen Romantik hätten wir übrigens einiges über Strategien der Verdrängung, über Sublimierung von Gewalt und über ein kollektives Unbewusstes lernen können. Vielleicht hätte uns das ja ganz gut getan.