Von Gregor Sander

Die Autobiographie von Alice Schwarzer, der Tod des britischen Künstlers Richard Hamilton und der Deutsche Buchpreis, das sind die Themen, die heute die Feuilletons der großen Tageszeitungen bestimmen.
„Wenn eine derart öffentliche Person wie Alice Schwarzer eine Autobiografie schreibt, so ist das natürlich eine besondere Situation, schon weil jeder, der oder die die vergangenen 30 Jahre nicht unter einem Stein gelegen hat, ein Bild von ihr hat,“

schreibt Chris Köver in der Wochenzeitung DIE ZEIT.

Trotzdem erfährt Köver in diesem schlicht Lebenslauf betitelten Buch viel Neues, besonders über die Kindheit und Jugend der Feministin der Nation. Es treibt sie aber eine Frage um:

„Die entscheidende Frage ist: Wie wurde aus dieser energetischen jungen Frau die Alice Schwarzer, die man heute kennt? Eine, die immer noch überaus witzig, herzlich und charismatisch sein kann, die die Frauenbewegung in so vielerlei Hinsicht vorangebracht hat, aber zugleich ihre spezifische Sicht von Emanzipation und Feminismus allzu oft als die einzig mögliche betrachtet, mit ungeheurer Dominanz durchsetzt und – das ist vielleicht das Bedauerlichste – kaum noch Kritik an ihren Handlungen und Äußerungen annehmen kann, auch nicht berechtigte.“

Aber bis ins heute führt die Schwarzer Biografie gar nicht, denn sie endet mit der Gründung der Emma. Es ist also ein zweiter Band zu erwarten, und Heide Oestereich unkt in der TAZ:

„Es ist zu befürchten, dass das die Alice Schwarzer des zweiten autobiografischen Bandes wird: eine Frau, die alle Lösungen parat hat.“

Der erste Teil allerdings, und daran lässt Petra Gehring in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG keinen Zweifel, ist ein Muss:

„Fünfzehn glänzende Kapitel: ein getupftes Bild der Bundesrepublik und vom Paris der fünfziger bis siebziger Jahre. Eine Geschichte der beginnenden französischen und der westdeutschen, dann deutsch-deutschen Frauenbewegung. Eine berufs- und geschlechtersoziologische Studie. Das alles macht den biographischen Rückblick von Alice Schwarzer so unbedingt lesenswert.“

Alle Feuilletons betrauern Richard Hamilton, den die Tageszeitung DIE WELT den Großvater der Pop-Art nennt. Alexander Menden bezweifelt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG allerdings jede familiäre Bindung.

„Diese Ambivalenz gegenüber dem Pop hat Hamilton sein Leben lang begleitet. Für ihn, der aus Bequemlichkeit immer wieder in die Schublade „Vater der Pop Art“ gesteckt wurde, gab es so etwas wie Pop Art gar nicht. Wenn seine Kunst sich kommerzieller Bilder bediente, dann nicht, um deren Oberflächlichkeit zu feiern, wie es zum Beispiel Andy Warhol tat. Hamilton hielt das Material auf Armeslänge, es ging ihm um die Analyse seiner Wirkungsweise, was ihn eher zum Vorläufer der Konzeptkunst als der Popkunst machte.“

In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG lässt Samuel Herzog den britischen Künstler den Unterschied zu seinen amerikanischen Kollegen selbst benennen:

„Die Amerikaner tendierten stark zur Vulgarität und ließen nur diese gelten – ich aber interessierte mich auch für raffiniertere Dinge.“

Dafür interessierte sich hoffentlich auch die Jury des Deutschen Buchpreises und machte aus der Longlist eine Shortlist. Die Kollegen in den Feuilletons hätten das natürlich ganz anders gemacht. Judith von Sternburg etwa, in der FRANKFURTER RUNDSCHAU:

„Ja, hier soll unumwunden zugegeben werden: Die große Hoffnung in dieser literaturstarken Saison war, dass Peter Kurzeck für seinen Großroman „Vorabend“ schlichtweg den Deutschen Buchpreis bekommen würde. Weil es ein Lebenswerk ist. Weil es ein Buch ist, das jedermann lesen sollte, um im Rasen der Zeit zu stutzen.“

Doch die Longlist war das Ende für „Vorabend“. Richard Kämmerlings in der WELT dagegen, weiß schon jetzt wer gewinnt. So etwa zumindest:

„Den Deutschen Buchpreis wird in diesem Jahr eine Frau gewinnen. Das ist schon rein rechnerisch keine riskante Prophezeiung: Es stehen drei Autorinnen auf der gerade verkündeten Sechser-Shortlist, also stehen die Chancen fifty-fifty.“

Schon bei der Verkündung der Longlist vor ein paar Wochen hatte ein Kollege in der WELT den „Herbst der Frauen“ erkannt. Ist das nun Methode der männlichen Kritiker der WELT oder einfach Feminismus?