Von Gregor Sander

Iris Radisch zeigt sich in der "Zeit" ernüchtert von einer Generation junger Autoren, die auf Sprachbilder verzichtet. Die argentinische Schriftstellerin María Cecilia Barbetta ist in der "Berliner Zeitung" wütend, weil eine Ausstellung im Jüdischen Museum ihrer Meinung nach pfuscht.
"Zur Lage der Literatur" - so lautet eine Serie in der Wochenzeitung DIE ZEIT, die in der aktuellen Ausgabe beginnt. Iris Radisch hat sich – ganzseitig - die Sprache der Gegenwartsliteratur vorgenommen und dabei einen fürchterlichen Sprachstil vorgefunden:

"Nennen wir ihn: Ernüchterungsstil. Er gibt sich so unangestrengt, elastisch und bescheiden wie möglich. Er ist der Freund des Lesers und trägt ihn selbst über unangenehme, drastische, schmerzhafte Romanpassagen hinweg. Dieses Erzählen in niedriger Flughöhe, so sehr eine neue warmherzige, kindergeburtstagsfröhliche Literaturkritik es auch preisen mag, hat zur Folge, dass Überhöhungs-, Übertreibungs-, Pathosformen der Literatur wenig Verwendung finden, dass auf Verzauberung, Sprachbilder und überhaupt auf sprachliche Ermächtigung oder Stilisierung verzichtet wird."

Alles zappenduster in der deutschen Gegenwartsliteratur. Und diese sprachliche Ohnmacht ist für Iris Radisch ein Symptom:

"Sie erzählt von einer tieferen epochalen Desillusion, die nicht nur die Literatur betrifft."

Aber, so verspricht die Literaturkritikerin der ZEIT: Nicht mit ihr! Sie wird ein waches Auge haben auf all die Sprachschluderigkeiten und harmlosen Plappereien, denn:

"Kritik, die ihren Namen verdient, kann nicht anders, will sie nicht die Packungsbeilage zu den bestehenden Harmlosigkeiten sein."

Auch die Autorin María Cecilia Barbetta ist wütend, wie wir in der BERLINER ZEITUNG lesen. Die in Argentinien geborene Schriftstellerin lebt seit 1996 in Deutschland und ihr Debütroman "Änderungsschneiderei Los Milagros" fand viele Bewunderer. Erstaunliches weiß Barbetta nun über die aktuelle Ausstellung "Jüdisches Leben in Argentinien" im Berliner Jüdischen Museum zu berichten:

"Auf ein paar Tischen stapeln sich 200 Bücher. Auf den Covers verzeichnet sind Namen jüdischer Abstammung. Ich, die ich aus Argentinien komme und dort 24 Jahre gelebt habe, erkenne relativ schnell, dass es sich dabei nicht um jüdische Autoren aus meiner Heimat handelt, sondern um ein breites Spektrum jüdischer Persönlichkeiten: eine TV-Chefin, ein Fußballspieler, ein Rockgitarrist, eine Mutter der Plaza de Mayo, ein Tennisspieler usw."

Die Schriftstellerin mit den argentinischen Wurzeln fühlt sich hintergangen.

"Deutlicher ausgedrückt: Im Rahmen dieser Ausstellung, die das Medium Buch feiert, werden Bücher vorgestellt, die es in Wirklichkeit nicht gibt."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG hat einen der wichtigen Literaturübersetzer zum Werkstattgespräch getroffen: Nikolaus Stingl. Er findet die deutschen Worte für Thomas Pynchon oder Cormac Mc-Carthy, Autor von "Kein Land für alte Männer". "Das sind zwei Schriftsteller, wie sie unterschiedlicher nicht sein können", so Stingl. "McCarthy arbeitet daran, alles Überflüssige aus seiner Sprache herauszunehmen." Aber, das sei nicht etwa einfacher, als der opulente Stil von Pynchon, verrät er Sven Ahnert in der NZZ:

"Das Wort, welches da jetzt hinkommt, muss wirklich stimmen, weil es für sich alleine stehen muss, sagt Stingl. Es wird nicht durch eine bunte, wilde Umgebung aufgefangen, so wie bei Pynchons 'Natürliche Mängel' oder William Gaddis 'Letzte Instanz'."

Für ihre besondere Wortwahl ist auch die Band "Erdmöbel" bekannt. Thomas Gross hat sie für die ZEIT getroffen und ihm erscheinen die Kölner Jungs:

"Als hätten Gottfried Benn, Hans Christian Andersen und die Pet Shop Boys gemeinsam eine Band gegründet."

Die Texte des Sängers Markus Berges gefallen Gross besonders:

"Es ist das Randständige, das aus der Zeit Gefallene und Liegengebliebene, das in den Liedern des Markus Berges zur Sprache findet. Man muss ihn "evangelische Kakteen" bedichten gehört haben. Man muss gehört haben, wie er eine Reise im Regionalexpress an den Niederrhein beschreibt, die Melodie leise anrollen lässt, während draußen die Landschaft vorbeizieht, das Schlagzeug leise tuckert und der Bass sich girlandengleich in immer neue Höhen schraubt."