Von Gregor Sander

Die Zeitungen kommentieren die Short-List für den Deutschen Buchpreis und in der "Zeit" gibt der Literaturkritiker und Ex-Feuilletonchef Fritz J. Raddatz ein großes Interview zu seinen Tagebüchern, die jetzt veröffentlicht werden.
Fritz Joachim Raddatz war von 1976 bis 1985 der Feuilletonchef der Wochenzeitung DIE ZEIT. Dann wurde er gefeuert, weil er ein angebliches Goethe-Zitat benutzte, in dem der Frankfurter Bahnhof vorkam, den es zu Goethes Zeiten noch nicht gab. Raddatz ist darüber heute noch sauer.

"Das war nicht anständig. Darüber konnte ich damals keineswegs lachen, sondern fand es infam," erzählt der heute 79-jährige Raddatz, Florian Illies und Ijoma Mangold, beide Redakteure der ZEIT, die 1985 natürlich noch nicht dabei waren. Raddatz hat seine Tagebücher veröffentlicht, und die Hamburger Wochenzeitung druckt dazu ein Interview.

"Ich habe, das muss ich sagen", so Raddatz, "nichts geschönt oder umgeschrieben, aber natürlich gekürzt. Und, ja, manchmal war ich mir selber ziemlich peinlich, besonders in den larmoyanten Passagen. Bei den ständigen 'Ach, ich habe Kopfweh'-Notaten habe ich schon etwas gekürzt, aber ich gehe keineswegs schonend mit mir um."

Eitel ist dieser Raddatz im Interview, er teilt nach allen Seiten aus und ist dabei natürlich unterhaltend. "Meine Interviews waren Ausdruck meiner Menschenneugier, ob mit Susan Sontag, Max Frisch oder García Márquez. Ein richtiges Interview ist für mich ein erotischer Vorgang. Nun ist das zu dritt ja ein bisschen schwierig, zu dritt gibt es vielleicht Sex, aber keine Erotik. Meine Sehnsucht, mich mit Arthur Miller zu unterhalten, hatte damit zu tun: Ich wollte hinter das Werk greifen und den Menschen streicheln mit Worten."

Diese Art Kritiker wird es wohl bald nicht mehr geben, Männer wie Joachim Kaiser, Reich-Ranicki oder eben Raddatz, dessen Kleidung immer wieder erwähnenswert ist: "Er taucht für das Interview in der ZEIT-Redaktion auf in einem dunklen Sakko (Zweireiher!), einem blau-weißen Hemd, lila Socken und gelber Krawatte, dazu ein Regenschirm mit extravagant geschwungenem
Holzgriff."

Wie hätte die Short-List für den Deutschen Buchpreis ausgesehen, die Fritz J. Raddatz zusammengestellt hätte?

Die aktuelle Liste lautet: Jan Faktor, Thomas Lehr, Melinda Nadj Abonji, Doron Rabinovici, Peter Wawerzinek und Judith Zander. Die Kommentare der Literaturkritiker in den Zeitungsfeuilletons über diese - von anderen Literaturkritikern zusammen gekürzte - Longlist liest sich wie folgt:

Christoph Schröder in der TAZ: "Besonders auffällig ist (wie immer?) nicht das, was da ist, sondern das, was fehlt. Kein Martin Mosebach, dessen neuer Roman 'Was davor geschah' in den vergangenen Wochen geradezu frenetisch rezensiert wurde, unter anderem von Mitgliedern der Jury. Kein Thomas Hettche, dessen Buch 'Die Liebe der Väter' schon vor seinem Erscheinen für ein gewaltiges Rumoren gesorgt hat."

Judith von Sternburg fügt in der FRANKFURTER RUNDSCHAU hinzu: "Oder dass die Jury sich zuerst und zu Recht darum bemüht, Hans Joachim Schädlichs klugen Frühjahrstitel 'Kokoschkins Reise' doch noch in die erste Reihe zu bugsieren, ihn dann aber nicht unter die letzten Sechs lässt."

Und Gerrit Bartels hat im Berliner TAGESSPIEGEL den Sinn dieser Short-List entdeckt: "Sie gehorcht konsequent der Longlist-Auswahl, stammten dort doch die Hälfte der Titel von Autoren, die nicht allein deutscher, österreichischer oder schweizerischer Herkunft sind, die in Tel Aviv und Tiflis geboren wurden oder russisch- oder serbischstämmige Elternhäuser haben. Die Globalisierung ist im deutschsprachigen Literaturbetrieb angekommen."

Jetzt wäre der Weg natürlich nicht mehr weit bis zu Thilo Sarrazin, aber den habe ich mir hier einfach gespart, obwohl er natürlich wieder in den Feuilletons auftaucht. Lieber zitiere ich, den kürzlich verstorbenen Christoph Schlingensief aus dem Rheinischen Merkur:

"Theater heute, das ist Politik. Sie schickt sich an, sogar das Bessere von beiden zu werden. Gemessen an der Qualität ihrer Inszenierungen, haben Parlamente und Plenarsäle die Schau- und Volksbühnen der Republik Berlin auf die Sitzplätze verwiesen."