Von Gregor Sander

Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit der Geschichte eines Doppelbildes von Ernst-Ludwig Kirchner und warum sich ein Autor im Theater wie in einem Callcenter vorkommt.
Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit der Geschichte eines Doppelbildes von Ernst-Ludwig Kirchner und warum sich ein Autor im Theater wie in einem Callcenter vorkommt.

Wenn Peter Kümmel, Kritiker der Wochenzeitung DIE ZEIT, ins Theater geht, dann fühlt er sich an ein Callcenter erinnert. „Man ruft an und schüttet sein Herz aus – mitten ins Leere. Man rutscht in ein Vertrauensverhältnis – mit einem Fremden. Seine ganze Tücke verrät das Callcenter erst, wenn man ein zweites Mal anruft: Keiner weiß von dir. Hat man hier je angerufen? Man wird garantiert nie wieder den Mitarbeiter sprechen, mit dem man beim ersten Mal sprach. "

Ja, so ist das. Das kennt jeder, der schon einmal gezwungen war eine sogenannte Servicenummer zu wählen. Aber was hat das mit der Bühne zu tun? Peter Kümmel gibt uns in der ZEIT folgende Antwort: „Man ist verloren unter lauter Fremden; man irrt umher zwischen Leuten, die nicht verantwortlich sind. Seit einer Weile ist im deutschen Theater häufig zu sehen, dass ein Schauspieler keine Figur mehr spielt, die Idee der Figur an sich ist out. Stattdessen geht es um Texte, aus welchen das Ensemble sich Figuren baut und durch die es sich seine Wege bahnt.“

Zuviel inszenierte Romane und zuwenig echte Stücke macht Kümmel an den deutschen Bühnen aus. Und die Schauspieler spielten die Rollen nicht mehr denn: „Schauspieler sind nicht mehr Menschen, deren Beruf die Verwandlung ist, sondern es sind: Spezialisten der Enthüllung, Virtuosen des Abschminkens. Es macht auch nichts, wenn viele im Ensemble sich ähnlich sehen und ähnlich klingen. Im Callcenter ist das ja auch so.“

Wie er sich den Schauspieler und damit auch das deutsche Theater wünscht, das beschreibt uns Peter Kümmel so: „Die Schauspielerin Nina Hoss hat erzählt, wie es ist, wenn sie sich vor der Vorstellung beim Schminken allmählich in Medea, die Kindsmörderin aus der griechischen Tragödie, verwandelt – in eine rabenschwarze Gestalt, einen lebenden Racheblitz. Nina Hoss blickt in den Spiegel und denkt: „Da ist sie ja wieder.“ Eine Fremde zeigt sich in ihrem Gesicht, eine Furie blickt ihr entgegen.“

„Diesen Moment,“ da ist sich Kümmel in der ZEIT sicher, „kann man nicht erzählen. Man muss ihn spielen.“ Was echte Kunst ist und was Fälschung, diese Frage wurde im Frankfurter Städel Museum gestellt und bei ihrer Beantwortung ein echter Ernst-Ludwig Kirchner entdeckt. Dass man so einen Schatz im eigenen Depot finden kann, beschreibt Konstanze Crüwell in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG: „Bei den ersten Vorbereitungen der gegenwärtig im Städel gezeigten Kirchner-Retrospektive sah sich Felix Krämer, Kustos des Museums und Kurator der Ausstellung, natürlich auch im Depot um. Und als er dieses angeblich nicht authentische Kirchner-Werk sah, war er sofort davon überzeugt, dass es eine genaue Untersuchung lohne. Bemerkenswert fand er vor allem die Rückseite mit der Darstellung des „Akts im Atelier“, für ihn die sehr viel attraktivere Malerei. Diese Tatsache habe von Anfang an gegen eine Fälschung gesprochen; denn ein Fälscher hätte doch nie das bessere Bild auf der Rückseite versteckt, sagt Krämer.“

Die Geschichte dieses Kirchnerschen Doppelbildes liest sich auch bei Hans-Joachim Müller in der Tageszeitung DIE WELT wie ein Krimi. „Der Akt ist später. Erst sei die Badeszene gemalt worden. Die Infrarot-Aufnahmen belegen eindeutig, wie heftig sie überarbeitet, regelrecht redigiert worden ist. Die Primärszene aber lässt sich lokalisieren und datieren. Sie spielt an den Moritzburger Seen bei Dresden 1910, wo die Maler, die sich zur Künstlergruppe „Brücke“ zusammengeschlossen hatten, einen Sommer lang recht freizügig lebten und freistilig malten. Es gibt ein ganz ähnliches Bild von Max Pechstein und ein ganz ähnliches Bild von Erich Heckel. Das Kirchnersche hat bislang gefehlt. Voilà, sagt Felix Krämer, hier ist es.“

Im Berliner Tagesspiegel klärt uns Christina Tilmann über die Zukunft des Sensationsfundes auf. „Das Bild soll nun restauriert und zur Neueröffnung des umgebauten und erweiterten Städel im Herbst 2011 der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Vielleicht ergeben sich dann ja auch Hinweise darauf, wem das Werk gehört und wie es ins Städel kam.“

Sachdienliche Hinweise nimmt das Städel-Museum in Frankfurt entgegen, und wir lernen an dieser Stelle, dass es sich durchaus lohnen kann etwas von hinten zu betrachten.