Von Geschichte gezeichnet
In seinem Comicroman „Der Jude von New York“ erzählt der 1951 geborene jüdische Cartoonist Ben Katchor skurrile Geschichten aus dem New York des 19. Jahrhunderts. Dabei dreht sich alles um das jüdische Leben in der entstehenden Metropole, das gleichsam von Glauben und Aberglauben erfüllt ist.
Ben Katchors Comicroman führt in das New York der Jahre 1830, in ein Panoptikum des jüdischen Lebens dieser Zeit, ein dichtes Gewebe aus Wirklichkeit und Fantasie, aus jüdischen Legenden und judenfeindlichen Klischees. Die Gestalten, die Ben Katchor aufmarschieren lässt, sind allesamt höchst merkwürdig.
Ein jüdischer Bühnenbildner arbeitet mit vollem Einsatz an der Inszenierung einer antisemitischen Klamotte, der titelgebenden Komödie „Der Jude von New York“. Ein Unternehmer will den gesamten Eriesee mit Kohlensäure versetzen, um die Stadt New York per Leitung mit prächtigem Sprudelwasser zu versorgen. Der jüdische Politiker Mordecai M. Noah schließlich plant den ersten modernen jüdischen Staat auf „Grand Island“ im Niagara River. Noah kauft dort Land auf, ein Zug jüdischer Pioniere bricht zu der Insel auf. Mordecai M. Noah aber lässt sein Projekt sofort nach der Grundsteinlegung wieder im Stich.
Viele der Gestalten in diesem Buch sind erfunden, Mordecai M. Noah und seinen utopischen Staat „Ararat“ hat es im jungen Amerika tatsächlich gegeben. Die Idee dieser Zufluchtsstätte zieht sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Geschichten dieses Bandes, ebenso wie andere wiederkehrende Motive.
Eine davon bringt, ähnlich wie das Staatsgründungsprojekt, die jüdische Geschichte mit dem amerikanischen Kontinent zusammen: der Glaube, dass einige der amerikanischen Indianer zu den verlorenen Stämmen Israels gehören. Im frühen 19. Jahrhundert waren manche der amerikanischen Juden – auch Mordecai M. Noah – von dieser überraschenden Verwandtschaft zutiefst überzeugt. Ben Katchor allerdings führt diese Idee als Farce vor. Bei ihm trichtert ein findiger Impresario einem Indianer hebräische Gesänge ein, seine Auftritte füllen zuverlässig die Theatersäle.
Die jüdische Welt, von der Ben Katchor hier erzählt, ist von Glauben und Aberglauben erfüllt, von windigen Projekten und ersehnten Utopien, von Verfolgung und Selbstbehauptung. Katchor schichtet eine Geschichte auf die nächste, schon am Anfang des Buches stellt er acht Hauptfiguren vor, später kommen noch weitere dazu.
Die Fülle der Figuren und Geschichten auf engem Raum trägt bei zu dem Eindruck, mit diesem Buch in eine ganze Welt zu geraten, die irritierend zwischen Realität und Fiktion changiert. Auch Ben Katchors Zeichenstil weist in beide Richtungen. Dokumente, Reklamezettel, Buchumschläge und Statistiken sind auf Zwischenblättern in das Buch eingefügt. Die schwarz-weißen Zeichnungen selbst aber sind entschieden anti-illusionistisch, skizzenhaft und lakonisch, reduziert und verdichtet. Ihre melancholisch-düstere Ausstrahlung konterkariert die aberwitzige Komik vieler Episoden in diesem Buch.
„Der Jude von New York“ ist zuerst in Fortsetzungen in der Zeitschrift „Forward“ erschienen. Ben Katchor arbeitet vor allem für Zeitungen und Zeitschriften, er geht aber auch ganz andere Wege. Er entwickelt unter anderem Libretti für Musicals und Opernproduktionen, auch auf Grundlage seiner eigenen Comics. Eine seiner „Comic Book Operas“ – „The Carbon Copy Building“ – war in Deutschland bereits zu sehen.
Ben Katchor ist Jahrgang 1951, er ist als Sohn orthodoxer Juden im New Yorker Stadtteil Crown Heights aufgewachsen, in einer jiddisch sprechenden Familie, sein Vater war aus Warschau in die USA eingewandert. Als Comicautor wurde Ben Katchor von seinem berühmten Kollegen Art Spiegelmann entdeckt. Spiegelman hat Katchor 1980 zur Mitarbeit am Zentralorgan der ambitionierten Comicautoren eingeladen, dem Magazin „RAW“.
Inzwischen zählt Ben Katchor selbst zu den wichtigsten Autoren literarischer Comics in den Vereinigten Staaten, sehr bekannt ist dort etwa sein Großstadtcomic „Julius Knipl, Real Estate Photographer“. Mit „Der Jude von New York“ wird der Autor nun zum ersten Mal mit einem eigenständigen Buch in Deutschland vorgestellt. Mit einem Buch, das überzeugend vorführt, was ein Comicroman an historischer Vergegenwärtigung und fiktionaler Verfremdung leisten kann.
Besprochen von Frank Meyer
Ben Katchor: Der Jude von New York
Aus dem Amerikanischen von Kai Pfeiffer
Avant Verlag, Berlin 2009
100 Seiten, 19,95 Euro
Ein jüdischer Bühnenbildner arbeitet mit vollem Einsatz an der Inszenierung einer antisemitischen Klamotte, der titelgebenden Komödie „Der Jude von New York“. Ein Unternehmer will den gesamten Eriesee mit Kohlensäure versetzen, um die Stadt New York per Leitung mit prächtigem Sprudelwasser zu versorgen. Der jüdische Politiker Mordecai M. Noah schließlich plant den ersten modernen jüdischen Staat auf „Grand Island“ im Niagara River. Noah kauft dort Land auf, ein Zug jüdischer Pioniere bricht zu der Insel auf. Mordecai M. Noah aber lässt sein Projekt sofort nach der Grundsteinlegung wieder im Stich.
Viele der Gestalten in diesem Buch sind erfunden, Mordecai M. Noah und seinen utopischen Staat „Ararat“ hat es im jungen Amerika tatsächlich gegeben. Die Idee dieser Zufluchtsstätte zieht sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Geschichten dieses Bandes, ebenso wie andere wiederkehrende Motive.
Eine davon bringt, ähnlich wie das Staatsgründungsprojekt, die jüdische Geschichte mit dem amerikanischen Kontinent zusammen: der Glaube, dass einige der amerikanischen Indianer zu den verlorenen Stämmen Israels gehören. Im frühen 19. Jahrhundert waren manche der amerikanischen Juden – auch Mordecai M. Noah – von dieser überraschenden Verwandtschaft zutiefst überzeugt. Ben Katchor allerdings führt diese Idee als Farce vor. Bei ihm trichtert ein findiger Impresario einem Indianer hebräische Gesänge ein, seine Auftritte füllen zuverlässig die Theatersäle.
Die jüdische Welt, von der Ben Katchor hier erzählt, ist von Glauben und Aberglauben erfüllt, von windigen Projekten und ersehnten Utopien, von Verfolgung und Selbstbehauptung. Katchor schichtet eine Geschichte auf die nächste, schon am Anfang des Buches stellt er acht Hauptfiguren vor, später kommen noch weitere dazu.
Die Fülle der Figuren und Geschichten auf engem Raum trägt bei zu dem Eindruck, mit diesem Buch in eine ganze Welt zu geraten, die irritierend zwischen Realität und Fiktion changiert. Auch Ben Katchors Zeichenstil weist in beide Richtungen. Dokumente, Reklamezettel, Buchumschläge und Statistiken sind auf Zwischenblättern in das Buch eingefügt. Die schwarz-weißen Zeichnungen selbst aber sind entschieden anti-illusionistisch, skizzenhaft und lakonisch, reduziert und verdichtet. Ihre melancholisch-düstere Ausstrahlung konterkariert die aberwitzige Komik vieler Episoden in diesem Buch.
„Der Jude von New York“ ist zuerst in Fortsetzungen in der Zeitschrift „Forward“ erschienen. Ben Katchor arbeitet vor allem für Zeitungen und Zeitschriften, er geht aber auch ganz andere Wege. Er entwickelt unter anderem Libretti für Musicals und Opernproduktionen, auch auf Grundlage seiner eigenen Comics. Eine seiner „Comic Book Operas“ – „The Carbon Copy Building“ – war in Deutschland bereits zu sehen.
Ben Katchor ist Jahrgang 1951, er ist als Sohn orthodoxer Juden im New Yorker Stadtteil Crown Heights aufgewachsen, in einer jiddisch sprechenden Familie, sein Vater war aus Warschau in die USA eingewandert. Als Comicautor wurde Ben Katchor von seinem berühmten Kollegen Art Spiegelmann entdeckt. Spiegelman hat Katchor 1980 zur Mitarbeit am Zentralorgan der ambitionierten Comicautoren eingeladen, dem Magazin „RAW“.
Inzwischen zählt Ben Katchor selbst zu den wichtigsten Autoren literarischer Comics in den Vereinigten Staaten, sehr bekannt ist dort etwa sein Großstadtcomic „Julius Knipl, Real Estate Photographer“. Mit „Der Jude von New York“ wird der Autor nun zum ersten Mal mit einem eigenständigen Buch in Deutschland vorgestellt. Mit einem Buch, das überzeugend vorführt, was ein Comicroman an historischer Vergegenwärtigung und fiktionaler Verfremdung leisten kann.
Besprochen von Frank Meyer
Ben Katchor: Der Jude von New York
Aus dem Amerikanischen von Kai Pfeiffer
Avant Verlag, Berlin 2009
100 Seiten, 19,95 Euro