Von Exzess zu Exzess

23.12.2010
Kaum vorstellbar, dass es einen zweiten Roman aus dem 20. Jahrhundert gibt, in dem so viel gesoffen wird wie in Carl van Vechtens Parties. Der in kräftigen Farben gezeichnete Abgesang auf die New Yorker Roaring Twenties ist zuerst 1930 erschienen und liegt nun, mit einem Nachwort und Illustrationen versehen, in einer deutschen Neuübersetzung vor.
Der knappe Titel gibt den Inhalt erstaunlich umfassend wieder. Van Vechten jagt Leser und Protagonisten, eine bunte Truppe origineller Typen einschließlich eines Schwarzbrenners, einer deutschen Gräfin und eines Hünen namens Siegfried, von Party zu Party, von Exzess zu Exzess, von Rausch zu Rausch. Sie betrinken sich, ziehen weiter, schlafen miteinander, oder sie verlieben sich, und enden stets in Harlems Flüsterkneipen. Nachdenken würde da nur Depressionen auslösen und führt im Übrigen nicht weit, wenn man sich nicht einmal erinnern kann, wo und mit wem man die letzte Nacht verbracht hat. Selbst, wer wen umgebracht hat, ist da nicht immer gleich ganz klar.

All das rotiert um das Ehepaar David und Rilda Westlake, dem unverkennbar der Schriftsteller F. Scott Fitzgerald und seine Frau Zelda Modell gesessen haben. So ist die unendliche Partyserie durchsetzt von bisweilen dramatischen Szenen einer alkoholgeschwängerten Ehe ("Trank sie, weil er trank, oder trank er, weil sie trank?"). Als es zu einer nüchternen Aussprache kommt, scheinen berührende Wahrheiten auf, die Konsequenzen reichen allerdings kaum weiter als der Schwur des Alkoholikers, morgen mit dem Trinken aufzuhören. Weder Flucht- noch Mordversuche vermögen den Zirkel aufzubrechen, der David, Rilda und die anderen gefangen hält.

Erzählt wird das von einem, der dabei gewesen ist. Carl van Vechten, Jahrgang 1880, war verheiratet und Salonlöwe, schwul und Partygänger, Fotograf und Autor zahlreicher Bücher, Theaterkritiker und Freund von Getrude Stein. Die rühmte Parties loyal als "erstklassig". Man neigt dazu, den Roman als quasi authentisches Zeugnis aus dem Innern einer Gesellschaftshölle zu lesen, mit einigem Recht, wie das Nachwort eines Zeitzeugen belegt. Die Gesellschaft, die hier beschrieben wird, ist historisch ein wenig entrückt, was sie umso origineller erscheinen lässt. Und die sich selbst genügende Partykultur aus Rausch und Drogen, Alkohol und Sex ist unserer Zeit so fremd nicht.

Van Vechten bilanziert schonungslos und brillant, seine Sprache ist tief ironisch, was die Übersetzung nicht immer zu transportieren vermag. Wo die Partyhölle das basso continuo zu van Vechtens Beobachtungen und Bonmots abgibt, ist der Roman am Besten. So manche erzähltechnische Maßnahme hingegen erreicht ihr Ziel zu schnell und allzu offensichtlich.

In diesem Buch ist nicht wirklich wichtig, wer Siegfried niedersticht, warum David nach Europa fährt, und dass er und Rilda doch ein Kind haben. Was zählt, sind die Parties und der neuste schwarze Tanz in Harlem. Am Ende sitzen sie alle nach bestandenen Abenteuern bei morgendlichen Cocktails zusammen "wie der Eröffnungschor einer Opera buffa". Die Gräfin findet: "Irgendwie ist es mehr wie ein Schlusschor." Cheers!

Besprochen von Hans von Trotha

Carl van Vechten: Parties
Aus dem Englischen von Egbert Hörmann
Herausgegeben von Armin Abmeier, mit einem Essay über Carl van Vechten von Coleman Dowell und Illustrationen von Maurice Vellekoop
Walde + Graf Verlag, Zürich 2010
272 Seiten, 24,95 Euro