Von Ernst Busch bis Antilopengang

Wenn Lieder politisch sind

Der aus der DDR ausgebürgerte Liedermacher Wolf Biermann (r.) tritt am 27.03.77 im Saal des Frankfurter Gewerkschaftshauses in einer Solidaritätsveranstaltung für die Bürgerrechtsbewegung in der CSSR "Charta 77" auf. Auf dem Podium v.l. Studentenführer Rudi Dutschke, Jiri Pelikan (ehemaliger Direktor des Prager Rundfunks) und Adam Michnik (ehemaliger polnischer Studentensprecher).
Der Liedermacher Wolf Biermann bei einer Solidaritätsveranstaltung für die Bürgerrechtsbewegung in der CSSR "Charta 77" © dpa/ picture alliance /
Von Thomas Klug |
Ob mit Klampfe begleitet oder unterlegt mit HipHop-Beats: Das politische Lied erfindet sich offenbar immer wieder neu. Zum Superstar wird man damit nicht, aber darum geht es den Musikern auch nicht. Sie wollen mit musikalischer Sozialkritik die Welt zum Besseren verändern.
Die Gedanken sind frei - trotz alledem. Ewig kann’ s nicht Winter sein - die Moorsoldaten haben es schon gewusst. We shall overcome - heute hier, morgen dort.
Lieder verbreiten sich schneller als Bücher. Lieder erzeugen schneller Gefühle, und Lieder lassen sich gemeinsam singen. Generationen sind mit Liedern aufgewachsen, die als politische Analyse und Handlungsanweisung zugleich verstanden werden konnten. Lieder, die vielen, die sie sangen, einfach zeigten: Diese Gedanken werden von vielen geteilt.
Es gibt eine Kultur und eine Geschichte des politischen Liedes. Richtig populär werden politische Lieder oft in Verbindung mit Ereignissen, zum Beispiel wenn es darum geht, Kriege zu beenden.
Demokratische Alltagsarbeit bei parlamentarischen Debatten oder im Ringen um die Novellierung eines Steuergesetzes sind wenig geeignet, um zu Hymnen einer Bewegung zu werden. Vielleicht liegt es daran, dass es um die politischen Lieder ruhiger geworden ist - und daran, dass Konstantin Wecker und Hannes Wader auch schon älter sind.
Politische Lieder gibt es dennoch, nur hat sich ihre Form verändert: Die Klampfe in der Hand ist nicht mehr der Ausweis des politischen Liedermachers.

Manuskript zum Beitrag:

Musik und Politik – es scheint ein schwieriges Verhältnis zu sein.
Der Historiker Jochen Voit: "Da gibt es ja so Weisheiten: Musik ist eine Hure, sie geht mit jedem Text mit. Und danach ist Musik erst dann politisch, wenn der Text eine politische Konnotation hat. Glaube ich aber gar nicht. Ich denke, Musik kann auch vom Klang her schon politisch sein. Ein Marschlied wird den einen oder anderen vielleicht erinnern an ein autoritäres Gehabe, an ein autoritäres Regime, ein sanftes romantisches Motiv mag einen wegtragen aus allen politischen Themen."
Politik scheint oft auch dort zu sein, wo man sie überhaupt nicht vermutet:
Danger Dan: "Ich habe gestern beim Aufräumen die Prinzen gehört, die Band 'Die Prinzen', das ist diese A-Cappella-Gesangstruppe, die tatsächlich sich auch immer wieder zu politischen Statements hinreißen lassen."

"Ich würde eigentlich sagen, dass Musik per se was Politisches hat"

Was harmlos klingt, muss deswegen nicht unpolitisch sein. Die Botschaft ist einfach subtiler oder freundlicher verpackt. Allerdings lautet die Botschaft manchmal: Die Welt ist schon in Ordnung so wie sie ist. Wer eine heile Welt besingt, ist unverdächtig, die Welt verändern zu wollen und zeigt höchstens, wie sehr er sich der Gegenwart verweigert, Flucht in den Kitsch.
Das Gegenteil ist eine Wirklichkeit, die nur als rau und brutal wahrgenommen wird. Wer im Hinterhof groß wird, der singt auch über Hinterhöfe, wenn er sein Leben erzählen will.
Specter: "Auch wenn das eine ziemlich abstrakte, distanzierte Aussage ist: Ich würde eigentlich sagen, dass Musik per se was Politisches hat."
Das sagt Specter, einer der Gründer des Plattenlabels Aggro Berlin, das immer mal mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien kämpfte.
Der Rapper Sido steht auf einer Bühne.
Der Rapper Sido © picture alliance / dpa ZB / Britta Pedersen
Rapper benutzen Codes, die innerhalb der Szene verstanden werden. Es ist eine künstlerische Ausdrucksform, die nur allmählich von Außenstehenden wahrgenommen wird. Für Außenstehende ist manches befremdlich.
Das führt zu Missverständnissen, als der Rap auch in seiner aggressiven Form plötzlich in den Massenmedien auftaucht.
Specter: "Hip-Hop ist eine kompetitive Kultur, das heißt, da hängen Männer überwiegend miteinander rum, so fußballmäßig. Dass Frauen da weniger aktiv sind hat auch gar keinen sexistischen Hintergrund, sondern das ist, was Jungs gerne machen. Das ist vor allem Kräftemessen im pubertierenden Stadium. Battle - oder wie man das alles nennt.
Am Ende ist das ein Kräftemessen: Wer rappt besser? Wer hat mehr Fans? Wer hat mehr Platten verkauft? Und und und. Das steht an erster Stelle. Politik ist nicht so wichtig wie das. Deshalb suchen sich Rapper eher einen anderen Gegner als den Staat. Das ist ein bisschen schade. Da feiert sich die Rap-Szene zu sehr selber zu sehr. Das hat sowas Inzestuöses. Wir rappen über uns selber."
***
Achim Bergmann: "Wir von Trikont-Verlag hatten ja eine sehr enge Beziehung zu diesen radikalen Bürgerbewegungen der 60er-, 70er-Jahre, da waren die sogenannten politischen Liedermacher nicht besonders angesehen. Das heißt, das waren für uns Leute, die mit Musikbegleitung politische Botschaften vermittelt haben oder vermitteln wollten."

Platz für heile Welt ist da nicht, aber Platz für Ursprüngliches, Regionales, Eigenes – jenseits der Hitparaden. Trikont ist ein bayerisches Plattenlabel. Unter Vertrag waren oder sind Ton, Steine, Scherben, La Brass Banda, Georg Ringsgewandl, Funny van Dannen.

Bergmann: "Politisch ist eigentlich alles. Das Private ist politisch und das, was wir machen, auch wenn darin keine politischen Worte passieren, ist für mich politisch. Weil, dass sich nehmen von Zeit, um etwas auszudrücken und in Kommunikation mit Publikum zu treten und die Neugier darauf, das ist alles schon politisch."
Der bayerische Kabarettist und Musiker Georg Ringsgwandl
Der bayerische Kabarettist und Musiker Georg Ringsgwandl© dpa / picture alliance / Armin Weigel

"Du kannst die politischen Inhalte in allen Klängen finden"

Vielleicht nur die Stimme, manchmal begleitet von Gitarre oder Klavier. Vielleicht nur Sprechgesang, unterlegt mit harten Beats. Vielleicht große Combo oder Orchester – das politische Lied kann alles sein.
Voit: "Das politische Lied selbst ist kein Genre, das ist eine Illusion. Du kannst die politischen Inhalte in allen Klängen finden. Und wenn sich jetzt junge Leute zusammentun und einen Song rappen und da Wünsche formulieren, die eine gesellschaftliche oder weltanschauliche Note oder Relevanz haben, klar, dann ist Hip-Hop politisch."
Meine Heimat, meine Kindheit ließ ich zurück, meine Familie zu vermissen, macht mich verrückt.
Voit: "Das haben wir bei uns in Erfurt in der Gedenkstätte Andreasstraße selber produziert und aufgenommen mit Norman Sinn, einem Hip-Hopper aus Erfurt, und mit Geflüchteten. Die formulieren ihre Wünsche. Wenn es mit der Freundin nicht so klappt, dann tut es erstmal ein eigenes Auto, rappen die. Oder dass sie Frieden wollen, dass sie in Ruhe gelassen werden wollen nach den Gewalterfahrungen in ihren Heimatländern."
Arg muss sich der Bauer quälen,
Nagt nur noch am Hungertuch,
Haust beim Vieh in finstern Ställen,
Bauer sein, das ist ein Fluch.

Schon seit den Bauernkriegen blüht der musikalische Widerstand

Lieder, die Kraft entfalten, weil sie entweder das Dasein notleidender Gruppen beschreiben und beklagen oder weil sie Veränderungen anmahnen, sind seit den Bauernkriegen überliefert. "Arg muss sich der Bauer quälen" ist ein Lied aus dem Elsass.
Lange schon vor Morgengrauen
Schuftest du als Bauersmann,
Kannst dir keine Hütte bauen,
Strengst du dich auch immer an!
Fegt von den Bergen Zwingburg und Ritter!
Solch ein Gewitter schlägt alle Schergen,
Land und Frucht sind unser dann!
Mühlhausen (Thüringen): In der Kornmarktkirche in Mühlhausen betrachtet eine Besucherin am 16.03.2003 die Ausstellungsstücke des Bauernkriegsmuseums
Das Bauernkriegsmuseum in Mühhausen erinnert an die Aufstände, die Thomas Müntzer angezettelt hatte.© Zentralbild
Ökonomische Benachteiligung, gesellschaftliche Widersprüche und auch Sehnsüchte nach einem besseren Leben brachten immer wieder neue Lieder hervor. Das Paradies wurde auf den Kanzeln versprochen. Doch das irdische Jammertal war nicht enden wollender Alltag.
Die Idee des Widerstands keimte. Die Musik wirkte wachstumsbeschleunigend. Immer wieder ging es um Kritik an der Obrigkeit. Eingängige, volkstümliche Melodien förderten die Verbreitung. Die Texter waren bei der Wortwahl nicht zimperlich. Die Wut der Unterdrückten war groß. Die Zeiten waren nicht danach zu glauben, dass die Verhältnisse mit Feinsinn verändert werden könnten. Freie Wahlen waren Zukunftsmusik. Und die Herrschenden waren bereit, ihre Macht mit aller Gewalt zu verteidigen.
Der Herzog Karl von Braunschweig,
Der ist auch fortgejagt,
Der hat ja Land und Leute
Lang hart genug geplagt.
Die Steine wütend flogen
Es gab einen großen Alarm;
Der Herzog flog zum Schlosse,
Es ward ihm schwul und warm.

Erst die Bauernlieder, dann die Arbeiterlieder

Die Welt änderte sich. Landarbeiter gingen in die Städte und wurden zu Lohnarbeitern in Werkstätten und Fabriken. Das Proletariat erstarkte. Die Bauernlieder wurden abgelöst durch Arbeiter- und Kampflieder.
Dem Morgenrot entgegen,
ihr Kampfgenossen all!
Bald siegt ihr allerwegen,
bald weicht der Feinde Wall!
Mit Macht heran und haltet Schritt!
Arbeiterjugend, will sie mit?
Wir sind die junge Garde
des Proletariats.
Dieser Text konnte im kaiserlichen Deutschland nur unter Pseudonym veröffentlicht werden – das geschah 1910 in der Zeitschrift "Arbeiterjugend". Nach dem Ersten Weltkrieg verbreitete sich das Lied rasant – auch über Deutschlands Grenzen hinaus.
***
In der Weimarer Republik wagten Agitproptruppen die Verbindung zwischen Musik und Klassenkampf. Agitprop ist ein Kunstwort aus den Begriffen Agitation und Propaganda, geprägt vom kommunistischen Jugendverband, der es seinerseits aus Russland übernommen hatte. Ein Lied wurde damals besonders populär: "Roter Wedding".
Berlin 1929. In der Stadt gilt ein Demonstrationsverbot, dass der sozialdemokratische Polizeipräsident auch zum 1. Mai nicht aufheben will. Die KPD ruft zu Massenprotesten auf. Die Polizei schießt wild um sich. Die Folge: 33 Tote. Der Begriff "Blutmai" entsteht und prägt die Auseinandersetzung der folgenden Jahre.
Wir gedenken des ersten Mai.
Der herrschenden Klasse blut`ges Gesicht.
Der rote Wedding vergisst es nicht
Und die Schande der SPD.
Erich Weinert, der Autor des Liedes wird angeklagt:
"Aufreizung zum Klassenhass, Gotteslästerung und Verächtlichmachung der republikanischen Staatsform."
Das Urteil: Weinert wird wegen Verjährung freigesprochen, sein Verleger muss 100 Mark Geldstrafe zahlen. Wenn sich Musik und Politik treffen, ist manchmal die Justiz nicht weit.

Die Erfindung des Politsongs in deutscher Sprache

Der Sänger und Schauspieler Ernst Busch in einer historischen Aufnahme.
Der Sänger und Schauspieler Ernst Busch in einer historischen Aufnahme.© picture alliance / dpa
Einer der Interpreten des Liedes "Roter Wedding" war übrigens Ernst Busch.
Voit: "Für mich als Historiker gibt es Zäsuren, Momente, wo die mediale Aufmerksamkeit plötzlich da ist, zum Beispiel 1930 als der Tonfilm aufkam und mit dem Tonfilm auch der Tonfilmschlager. Da kam eben auch Ernst Busch ins Spiel mit seinem Stempellied, dem Lied der Arbeitslosen und der Ballade vom Nigger Jim, einem antirassistischen Song aus dieser Zeit. Oder dem Lied von den Baumwollpflückern, einem antikapitalistischen Song. Das ist dann die Erfindung des Politsongs in deutscher Sprache."
Ernst Busch - Stempellied
Keenen Sechser in der Tasche,
bloß 'n Stempelschein.
Durch die Löcher der Kledaasche
kiekt die Sonne rein.
Mensch, so stehste vor der Umwelt
jänzlich ohne was;
wenn dein Leichnam plötzlich umfällt,
wird keen Ooge nass.
Ernst Busch war Schauspieler und Sänger. Er war berühmt in den Zeiten der Weimarer Republik. Den Nazis war er verhasst. In der DDR und später bei den Westlinken wurde er noch einmal populär. Seine Lieder aus dem Spanischen Bürgerkrieg waren Stoff im Musikunterricht der sozialistischen Schulen. Der spanische Bürgerkrieg wurde als ein gerechter Krieg gelehrt.
Busch-Biograf Jochen Voit: "Ernst Busch spielte dabei die Rolle des Vorsängers, der singend die Erinnerung wach rief, die Mundharmonika zückte und auf der Bühne, während die Augen im Saal dann feucht wurden, sang: 'Spaniens Himmel breitet seine Sterne, über unsere Schützengräben aus'.
Und das war natürlich für Kinder, vor allem für Kinder wirkte das wie aus der Zeit gefallen. Was für Schützengräben? Wieso Spanien jetzt plötzlich? Ich würde fast sagen, dass das die politische Antwort auf andere Fernweh-Hymnen wurde - wie die Capri-Fischer. Es ist übrigens auch in vergleichsweise hoher Stückzahl produziert worden. Das ist der einzige wirkliche Longseller, den Ernst Busch auf die Reihe gebracht hat. Ein Lied, das sich auch in den Köpfen der Leute festgesetzt hat."
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Radikalität und Kunst müssen sich nicht ausschließen

Manche politischen Lieder werden zu Hymnen ihrer Zeit. Doch wie kunstvoll darf eigentlich politisches Liedgut sein?
Klaus, der Geiger: "Und denk ich mir: Was ist das für ne‘ Scheiße hier? Da haust de dich durchs Leben und kriegst nichts für..."
Achim Bergmann vom Münchner Trikont-Verlag: "Es gab richtiggehend einen Streit Anfang der 70er-Jahre; als Klaus der Geiger aus Köln, ein Straßenmusiker, der seit 40 Jahren jetzt Straßenmusiker ist und der studiert hatte - Geige beim Stockhausen - und dann in Amerika Musik gelernt hat undsoweiter. Der war der Meinung, dass das nicht zu uns gehört, zu dem Blick auf die Welt, auf das Leben und daraus auch Radikalität zu entwickeln."
Radikalität und Kunst müssen sich nicht ausschließen.
Der Straßenmusiker Klaus Wrochem spielt auf seiner Geige vor einem Schaufenster auf der Kölner Domplatte.
Straßenkünstler Klaus Wrochem alias "Klaus, der Geiger" auf der Kölner Domplatte.© Deutschlandradio / Moritz Küpper
Franz-Josef-Degenhardt, Hannes Wader, Konstantin Wecker, Hans-Dieter Hüsch, Dietrich Kittner, Walter Moßmann, Dieter Süverkrüp, Zupfgeigenhansel, Biermösel Blosn, Floh de Cologne, Wolf Biermann.
Einige politische Liedermacher und Gruppen der Bundesrepublik sind prominent geworden: Sie waren im Fernsehen und auf Protestmärschen präsent. Ihre Kunst verbanden sie mit gesellschaftlichen Belangen. Achim Bergmann findet, dass einer noch darüber hinausging: das bayerische Phänomen Hanns Söllner:
"Der Konstantin Wecker hat ja auch was mit Drogen zu tun gehabt und der ist damit so umgegangen, dass er sich endlos entschuldigt hat. Während Söllner hat immer offensiv geredet, dass er aus einer Säuferfamilie kommt und dass er nicht gesoffen hat und nicht saufen wollte und dann irgendwann entdeckt hat – Marihuana – und dass er mit diesem Bedürfnis offensiv umgegangen ist. Hat unendlich viele Prozesse gehabt und auch von Politikern, die er dabei gleichzeitig noch in die Schusslinie gebracht hat. Das sind Glaubwürdigkeitssachen, die haben nichts mit dem Bildungsbürger zu tun."
Hanns Söllner - Hey Staat:
Hey Staat, hey Staat, hey Staat, hey Staat, hey Staat, hey Staat. Heit sog' da I amoi, wos I ois moch für di. Hey Staat, hey Staat, hey Staat und dann sag' du mir moi, was du ois machst für mi. Hey Staat, hey Staat, hey Staat...
Bergmann: "Die erste Platte, die wir mit ihm gemacht haben, die hieß 'Hey Staat' und da waren Formulierungen und Erkenntnisse über den Kapitalismus, den Staat und das Leben und so weiter drin, da habe ich immer gedacht: 'Herrgott, was sagen dann die Leute da unten?' Aber die haben ihn das wirklich auch aus der Hand genommen, weil sie wussten, der ist kein Schwätzer, der die nächste Stufe seiner Karriere startet."
Hans Söllner eckte an, wurde von diversen Politikern wegen Beleidigung und Ehrverletzung angezeigt. Die Justiz ermittelte mehrfach.
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Männer mit Gitarren und politischen Anliegen sind selten geworden auf großen Bühnen. Nur wenige von ihnen schaffen es noch, große Hallen zu füllen. Doch: Die politischen Liedermacher, egal, wie erfolgreich sie waren, wurden vom Verkaufserfolg immer von jenen übertroffen, die keine politischen Anliegen hatten.
Ernst Busch, der "Barrikaden-Tauber", verkaufte immer weniger Platten als der Tenor Richard Tauber. Heute scheint es, dass die Popmusik das Engagement der politischen Liedermacher übernommen hat. Doch das ist ein oberflächlicher Eindruck. Sozialkritik findet sich schon bei Elvis Presley, den Beatles und Udo Jürgens.

Unbequemes wird nicht populär

Manchmal wirkt Popmusik von heute engagiert und meinungsfreudig. Doch provokante politische Botschaften transportiert sie eher selten. Unbequemes hat kaum eine Chance, musikalisch aufgegriffen und populär zu werden.
Der Typus des politischen Liedermachers, der das klare Ziel einer besseren Welt vor Augen hat, scheint auszusterben. Christian Höppner vom Deutschen Musikrat sieht das anders:
"Ich glaube, dass es nicht ausstirbt, ich glaube, dass es tatsächlich im Kühlschrank liegt, dieses Genre. Ich glaube, dass aufgrund des veränderten Rezeptionsverhaltens einerseits und andererseits der Weiterentwicklung, – wenn Sie nur daran denken, wie Komponisten heute weltweit übers Internet agieren, dem Suchen nach neuen Ausdrucksformen … –, dass es derzeit nicht das Gefäß gibt, wo sich das politische Lied tatsächlich noch mal in der Kraft abbildet, wie es in der Vergangenheit war."
Doch das Provokante kehrt immer wieder. Um die Jahrtausendwende eroberte ein neuer Trend die Massenmedien - der aggressive Hip-Hop. Populär gemacht auch durch das unabhängige Plattenlabel Aggro Berlin.
Specter: "Wir haben ja nicht ficken gesagt, um ficken zu sagen, sondern das war eine Vokabular-Frage. Die Texte wurden so gerappt, wie gesprochen wurde. Und dann haben sich alle echauffiert, so was kann man doch nicht sagen. Aber dass das Achtjährige auf dem Schulhof zu dem Zeitpunkt sich so unterhalten haben - unsere Politik wollte das nicht wissen."

Die Unterschicht wird komplett ignoriert

Es klingt nach Provokation. Es ist Provokation. Doch ohne Provokation ist es schwer, Gehör zu finden. Und deshalb ist es auch Politik. Das sagt Specter, ehemaliger Graffitikünstler, einer der Gründer von Aggro Berlin und heutiger Werbefilmer.
Specter: "Seitdem wir diesen Rap machen, ist es auch okay in Deutschland, über Ghetto zu reden. Als wir anfingen in den ersten Interviews, wurden wir eines Besseren belehrt. Da hat sich der Herr Journalist hingesetzt, ich weiß noch, Süddeutsche, um mal zu sagen, Jungs, jetzt mal Butter bei die Fische, Ghetto in Deutschland, das gibt es ja nicht. Das war furchtbar zu erleben, wie Deutschland das total ignoriert – diesen Bereich der Unterschicht. Und der wird ja nicht kleiner, der wird eher größer. Das wurde komplett ignoriert."
Deutsche Rapper erhitzten die Gemüter – und wurden populär. Die Politik wurde aufmerksam. Manches was die Rapper von sich gaben, konnte tatsächlich missverstanden werden – oder vielleicht genau so, wie es gemeint war. Die aggressive Attitüde ging nicht immer mit Verantwortung einher. Aber wird ein zahmer Rapper ernstgenommen?
Die Jugendzeitschrift Bravo arrangierte ein Gespräch zwischen Specter und Monika Griefahn, damals SPD-Bundestagsabgeordnete und Fachpolitikerin für Kultur und Medien.
Specter: "Sie hat einfach Aggro Berlin und Sido angegriffen und gedisst und so Sachen gesagt, die gar nicht gestimmt haben. Da ging es um den Arschficksong und so, und dann hat sie Textzeilen aus dem Arschficksong zitiert, die gar nicht drin standen. Die hat das auch nie gehört, die hat einfach nur so Sachen vorgelesen aus ihrem Pressestab. Uns hat das dann so..., wir fühlten uns ungerecht behandelt. Und dann sind wir eigentlich in so eine Wahlkampfpressenummer reingerutscht – wie ein Spielball, ohne es zu merken. Da hatte 'Bravo' mehr von, da hatten alle was von, wir nicht so richtig."
Eines hat sich verändert. Nicht jede Provokation verursacht noch die fest eingeplante mediale Aufregung. Und so kommt es vor, dass Bushido einen Bambi erhält - einen Integrationsbambi. Und nur Heino protestiert. Ist das nun Politik? Oder Marketing?

"Rap ist aktiver Kulturbeitrag von unserer Emigrantengeneration"

Noch etwas hat sich verändert: Deutscher Rap wird plötzlich auch von jenen gehört, die vorher nie im Leben Musik aus deutschen Landen gehört hätten.
Specter: "Da sind viele geile Kämpfe. Da ist ein ganz starker Integrationskampf, den die Leute gar nicht erkennen. Wie viele Ausländer, Kanaken-Rapper, sind das beste Zeichen für Integration? Das ist richtig bombastisch. Egal, wo die herkommen - und die haben auf einmal einen Stift und Papier in der Hand und schreiben deutsche Poesie. Das ist, was los ist. Für mich ist das voll krass. Das ist aktiver Kulturbeitrag von unserer Emigrantengeneration – Jackpot. Das geht nur wegen Rap, nur weil die Typen Aussicht haben auf Coolness, Weiber, Kohle. Fangen die an, Texte zu schreiben. Das ist doch geil."
Der Provokation folgen Inhalte.
Antilopen Gang – Beate Zschäpe hört U2:
In jedem Provinznest gibt es ein paar Kneipen, die irgendwas mit "Deutsch", "Adler" oder "Heimat" heißen... Du musst ein Deutscher sein, wenn du in diese Kneipen gehst. Und immerzu betonen, dass es den Deutschen scheiße geht.
Spätestens mit ihrem Song "Beate Zschäpe hört U2" ist klar: Für die Antilopen Gang ist Politik auch ein Thema.
Danger Dan (Antilopengang): "Es geht uns nicht darum, Leute explizit zu agitieren. Das das doch passieren kann, dass wir doch in Biographien von Leuten mit unserer Musik vielleicht Einfluss nehmen darauf, die die sich auch politisch entwickeln können, gerade bei jungen Leuten, die die Lieder hören, wie 'Atombombe auf Deutschland'. Ich kenne das ja auch aus meinem Leben, dass ich so Slime-Texte gehörte habe und das so total geil fand und mich auch über Musik mit Sicherheit ein Stück politisiert habe. Ich glaube, dass wir als Antilopen Gang bestimmt auch machen, aber wir machen das nicht bewusst bzw. wir machen das nicht gezielt, sondern das passiert einfach."
Ein anderer Titel der Antilopen Gang heißt "Tindermatch". Darin sinnieren sie darüber, dass sich Denis Cuspert, der ehemalige Rapper, der sich nach einem Gefängnisaufenthalt in Berlin der Terrororganisation Islamischer Staat anschloss, und der Gründer der Pegida-Bewegung, Lutz Bachmann, doch eigentlich ganz gut verstehen müssten.
Tindermatch:
Man hörte ihn jetzt immer über Islamisten fluchen
Doch genau wie die mag Lutz keine Schwulen, keine Juden
Ich wette, Lutz und Denis hängen die ganze Zeit im Internet
Bei all den Parallelen sind die beiden bald ein Tindermatch
Immerhin: Musik kann Hoffnung geben. Vielleicht ist die politische Musik dann gut, wenn sie nicht als vertontes Parteiprogramm daherkommt, sondern im Ungefähren bleibt und Interpretationsspielraum lässt.
Der Sänger Hannes Wader steht  mit Gitarre bei der Echo Preisverleihung am 21.3.2013 in Berlin auf der Bühne.
Der Sänger Hannes Wader bei seinem Auftritt beim Echo 2013 in Berlin© picture-alliance / dpa / Britta Pedersen
Voit: "Die Moorsoldaten, die haben natürlich immer Bestand. 'Die Moorsoldaten' sind ein ganz ergreifendes Zeugnis der Leiden im Konzentrationslager. Das wird bleiben – gerade in seiner Schlichtheit. Da ist ja gar keine direkte politische Aussage drin, sondern es ist eine Beschreibung einer Landschaft und eines traurigen Gefühls. Das macht dieses Lied ja so groß und universell."
"Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit den Spaten ins Moor.
Doch für uns gibt es kein Klagen. Ewig kann 's nicht Winter sein.
Einmal werden froh wir sagen: Heimat, du bist wieder mein!"

(huc)
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