Von "Eißherbergen" und "Waldeseln"
Das Original des Buches, vor knapp 500 Jahren erschienen, trug den Titel "Meerkarte und Beschreibung der Länder des Nordens sowie der in ihnen anzutreffenden Wunderdinge". Die Karte war eine echte Pionierarbeit. Das Buch benennt in der vorliegenden Fassung vor allem die Kuriositäten der Nordländer. Die beiden Herausgeber haben eine Pretiose erschlossen.
Das Buch ist silbern, sein Umschlag erinnert an Aluminium oder an ein zugefrorenes Meer oder einen Gletscher, mitgeliefert ist die Reproduktion einer alten Karte, auf der man Nordeuropa erkennt. Das Original trug den Titel "Meerkarte und Beschreibung der Länder des Nordens sowie der in ihnen anzutreffenden Wunderdinge, auf das sorgfältigste ausgearbeitet im Jahre des Herrn 1539", es war 1,25 Meter mal 1,70 Meter groß und galt 300 Jahre lang als verschollen.
1886 dann fand ein Forscher die schon mythisch gewordene Karte, von der die Fachleute wussten, die aber keiner gesehen hatte, in der Kartenabteilung der bayerischen Hof- und Staatsbibliothek in München, und zwar unter den skandinavischen Karten - wo sie ja im Grunde auch hingehörte.
Sie war eine echte Pionierarbeit, zum ersten Mal war der Norden Europas, der zur damaligen Zeit, also vor knapp 500 Jahren, in den deutschen und italienischen Geistes- und Wissenschaftszentren so gut wie unbekannt war, in Umrissen gezeichnet, die der Wirklichkeit einigermaßen nahe kamen. Gleichzeitig ist die Karte ein Wunderwerk der Phantasie, sie wimmelt von Seeungeheuern, Meerschlangen, Fabelwesen und Naturwundern, die aber beinahe glaubhaft erscheinen. So glaubhaft wie die ebenfalls abgebildeten mythischen Orte, beispielsweise die Insel Thule oder der Magnetberg und der Mahlstrom, deren sich später auch Edgar Allan Poe in seinen Erzählungen bediente. So glaubhaft auch wie die merkwürdigen Alltagsszenen aus der frühen Geschichte der Länder an Nord- und Ostsee.
Der Schöpfer der Karte war der schwedische Bischof Olaus Magnus, dessen erstaunliches Leben die beiden Herausgeber Elena Balzano und Reinhard Kaiser in ihren reichen und spannenden Kommentaren ausbreiten. Magnus wurde 1490 geboren, hat sich als Gehilfe eines römischen Ablaßhändlers schon früh auf Reisen begeben, die ihn bis nach Norwegen und Lappland führten, doch dann kamen die ketzerischen Reformationsgedanken Martin Luthers, und es kam ein neuer König in Schweden, Gustav Wasa nämlich, der aus politischen und wirtschaftlichen Gründen mit den Protestanten hielt.
Olaus Magnus, der treue Katholik, ging ins Exil, zunächst ins weltoffene Danzig, dann nach Venedig, wo er 1555 auf lateinisch seine "Beschreibung der Völker des Nordens" veröffentlichte. Das Buch benennt in der vorliegenden (schon kurz nach Magnus’ Tod von Cornelius Scribonius radikal revidierten) Fassung vor allem die Kuriositäten der Nordländer, seien es "Eißherbergen, die man für den Wanderer auff dem Eiß auffschlägt", sei es der "Gebrauch, den die wilden Lappen halten, wann sie Hochzeit machen und ihre Kinder verheirathen", seien es die "Waldesel", mit denen Elche gemeint waren, oder der Bär, der eine Jungfrau entführt und mit ihr "einen starcken Mann gezeuget hat".
Die beiden Herausgeber haben eine Pretiose für uns erschlossen, sie verbindet Phantastik mit enzyklopädischem Wissen, exakte Beschreibung der Arbeitswelt mit sagenhaften Legenden. Das Ergebnis: ein verblüffendes Panorama spätmittelalterlichen Lebens in einer winterlichen Weltengegend.
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Olaus Magnus: Die Wunder des Nordens
Erschlossen von Elena Balzamo & Reinhard Kaiser.
Mit 174 Abbildungen und einem Nachdruck der Carta marina von 1539 als Beigabe.
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2006
383 Seiten, 32 Euro
1886 dann fand ein Forscher die schon mythisch gewordene Karte, von der die Fachleute wussten, die aber keiner gesehen hatte, in der Kartenabteilung der bayerischen Hof- und Staatsbibliothek in München, und zwar unter den skandinavischen Karten - wo sie ja im Grunde auch hingehörte.
Sie war eine echte Pionierarbeit, zum ersten Mal war der Norden Europas, der zur damaligen Zeit, also vor knapp 500 Jahren, in den deutschen und italienischen Geistes- und Wissenschaftszentren so gut wie unbekannt war, in Umrissen gezeichnet, die der Wirklichkeit einigermaßen nahe kamen. Gleichzeitig ist die Karte ein Wunderwerk der Phantasie, sie wimmelt von Seeungeheuern, Meerschlangen, Fabelwesen und Naturwundern, die aber beinahe glaubhaft erscheinen. So glaubhaft wie die ebenfalls abgebildeten mythischen Orte, beispielsweise die Insel Thule oder der Magnetberg und der Mahlstrom, deren sich später auch Edgar Allan Poe in seinen Erzählungen bediente. So glaubhaft auch wie die merkwürdigen Alltagsszenen aus der frühen Geschichte der Länder an Nord- und Ostsee.
Der Schöpfer der Karte war der schwedische Bischof Olaus Magnus, dessen erstaunliches Leben die beiden Herausgeber Elena Balzano und Reinhard Kaiser in ihren reichen und spannenden Kommentaren ausbreiten. Magnus wurde 1490 geboren, hat sich als Gehilfe eines römischen Ablaßhändlers schon früh auf Reisen begeben, die ihn bis nach Norwegen und Lappland führten, doch dann kamen die ketzerischen Reformationsgedanken Martin Luthers, und es kam ein neuer König in Schweden, Gustav Wasa nämlich, der aus politischen und wirtschaftlichen Gründen mit den Protestanten hielt.
Olaus Magnus, der treue Katholik, ging ins Exil, zunächst ins weltoffene Danzig, dann nach Venedig, wo er 1555 auf lateinisch seine "Beschreibung der Völker des Nordens" veröffentlichte. Das Buch benennt in der vorliegenden (schon kurz nach Magnus’ Tod von Cornelius Scribonius radikal revidierten) Fassung vor allem die Kuriositäten der Nordländer, seien es "Eißherbergen, die man für den Wanderer auff dem Eiß auffschlägt", sei es der "Gebrauch, den die wilden Lappen halten, wann sie Hochzeit machen und ihre Kinder verheirathen", seien es die "Waldesel", mit denen Elche gemeint waren, oder der Bär, der eine Jungfrau entführt und mit ihr "einen starcken Mann gezeuget hat".
Die beiden Herausgeber haben eine Pretiose für uns erschlossen, sie verbindet Phantastik mit enzyklopädischem Wissen, exakte Beschreibung der Arbeitswelt mit sagenhaften Legenden. Das Ergebnis: ein verblüffendes Panorama spätmittelalterlichen Lebens in einer winterlichen Weltengegend.
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Olaus Magnus: Die Wunder des Nordens
Erschlossen von Elena Balzamo & Reinhard Kaiser.
Mit 174 Abbildungen und einem Nachdruck der Carta marina von 1539 als Beigabe.
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2006
383 Seiten, 32 Euro