Von Dohnanyi: Angela Merkel wird die Verantwortung mobilisieren

Moderation: Hanns Ostermann |
Der frühere Bürgermeister von Hamburg und ehemalige Vorsitzende des Arbeitskreises Ost, Klaus von Dohnanyi (SPD), gibt der großen Koalition gute Chancen bei der Problemlösung in Deutschland.
Er traue der neuen Kanzlerin Angela Merkel eine Menge zu, sagte von Dohnanyi am Mittwoch im Deutschlandradio Kultur.

Ostermann: Wer will es ihr verdenken? Angela Merkel war ganz einfach nur "glücklich", als sie zur ersten Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde. Viel Zeit, diesen Moment zu genießen, bleibt ihr allerdings nicht. Die große Koalition steht vor riesigen Herausforderungen und – da muss man kein Prophet sein – vor entsprechenden Zerreißproben. Heikle Themen, etwa die Gesundheitsreform, wurden in den Koalitionsvereinbarungen ausgeklammert. Und trotzdem: Jetzt geht es los, die konkrete Arbeit beginnt. Am Telefon von Deutschlandradio Kultur begrüße ich Klaus von Dohnanyi von der SPD. Er war einst Staatssekretär in der Großen Koalition unter dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller, später Erster Bürgermeister in Hamburg und Vorsitzender des Arbeitskreises Ost unter Rot-Grün. Norbert Lammert verwies gestern darauf, dass ihre Wahl ein starkes Signal für die Frauen in Deutschland sei, für viele Männer sicherlich auch, so der Bundestagspräsident. Rechnen Sie mit einem anderen Stil des Regierens?

von Dohnanyi: Also das ist ganz sicher sogar. Der Ansatz von Frau Merkel zur Politik ist, glaube ich, sehr stark geprägt durch ihre Ausbildung. Sie ist schließlich promovierte Physikerin, ihr Mann ist Professor für Chemie. Sie lebt in einem naturwissenschaftlichen Umfeld und sie kann es, so wie ich sie kenne, überhaupt nicht leiden, wenn man über Dinge nicht versucht, in der Sache so zu sprechen, bis sie geklärt sind.

Ostermann: Es gab Gegenstimmen aus dem eigenen Lager für Angela Merkel. Wie stabil ist das Fundament, auf dem die Koalition steht?

von Dohnanyi: Nun, also wenn es eine vier vorne gewesen wäre ... Da fehlten nur drei Stimmen. Es war zu erwarten und, ich glaube, wurde auch von allen erwartet, dass es aus beiden Fraktionen Personen gibt – was übrigens sonst auch eigentlich immer stattgefunden hat –, die nicht ganz einverstanden sind und die auch vielleicht dokumentieren wollen: Nehmt es nicht zu selbstverständlich, dass hier Euch alle immer folgen; wir in der Fraktion haben auch was zu sagen. Also, ich würde sagen, der Anfang ist sehr stabil. Die Stabilität wird davon abhängen, dass es beiden Seiten gelingt, sich gegenseitig zu verstehen. Also sich auszusprechen und zu verstehen.

Ostermann: Nun stellt man im Osten Deutschlands fest, dass die 100 größten Firmen riesig gewachsen sind in den letzten Jahren. Der Gesamtumsatz stieg um 11,8 Prozent und trotzdem: Mehr Arbeitsplätze gibt es nicht, das Gegenteil ist der Fall.

von Dohnanyi: Das ist doch ganz klar, denn in Ostdeutschland bleibt die Produktivität im Allgemeinen noch etwa um 15 bis 20 Prozent zurück hinter der westdeutschen oder – sage ich mal – der klassischen westeuropäischen. Und wenn Sie einen solchen Spielraum von 20 Prozent haben, dann können Sie 20 Prozent mehr Umsatz machen und noch immer keine Person einstellen. Außerdem haben wir natürlich ein gleichzeitig laufendes Rationalisierungstempo, nicht nur in Deutschland, in der ganzen Welt – gilt übrigens auch für die USA. Und aus der Industrie, aus der Fertigung, gehen immer mehr Arbeitsplätze verloren, weil dort immer mehr technisch, mit Robotern und so weiter gearbeitet wird. Und da liegt eine große Aufgabe: Wieder zu zeigen, dass auch menschliche Arbeit in diesen Bereichen durch eine vernünftige Lohnstruktur, eine vernünftige Arbeitszeitstruktur erhaltbar sind. Und das ist, glaube ich, die Aufgabe, die vor uns liegt.

Ostermann: Enthalten denn da die Koalitionsvereinbarungen die richtigen Ansätze, die insbesondere dem Osten helfen? Oder, andersherum: Hätten Sie sich mehr Flexibilität bei Lohn und Arbeitszeiten gewünscht?

von Dohnanyi: Also ich glaube, dass zwei Parteien, die von so unterschiedlichen Positionen in der Frage der Instrumente – nicht in der Frage des Verständnisses der Schwierigkeit der Lage, aber der Instrumente, was man tun soll –, von so unterschiedlichen Positionen ausgehen, tun am besten, wenn sie hinter verschlossenen Türen – und das ist ein Kabinett – in Ruhe über ihre Gründe unterschiedlicher Instrumente reden. Und ich verspreche mir sehr viel dabei vom Sachverstand, von der Sachlichkeit und auch von der Vermittlungsfähigkeit von Frau Merkel.

Ostermann: Aber noch einmal gefragt: Mehr Flexibilität bei Lohn und Arbeitszeiten?

von Dohnanyi: Das wird kommen. Das wird kommen. Aber es konnte nicht kommen mit einem großen ersten Schritt. Hierzu wird man sowohl in den Fraktionen wie auch im Kabinett gegenseitig lernen müssen, warum die andere Seite bestimmte Dinge entweder glaubt, dass sie nicht wirken, oder aber glaubt, dass sie sie nicht durchsetzen kann in den eigenen Reihen. Und diesen Dialog zu führen, nicht mehr konfrontativ sozusagen vom Rednerpult gegenüber der Opposition, sondern hinter verschlossenen Türen mit Intelligenz und Sachverstand, das ist eine große Chance für Deutschland. Und da gebe ich allen Seiten – übrigens auch Herrn Müntefering und Herrn Steinbrück und anderen auf der SPD-Seite – sehr viel Kredit, sehr viel Vorschuss, weil ich glaube, dass diese Menschen auch wissen, dass man sich eben über diese Fragen sachlich unterhalten muss.

Ostermann: Auf viel Kritik stößt insbesondere die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer. Sie haben vor einigen Wochen sogar für eine Anhebung auf 20,5 Prozent plädiert.

von Dohnanyi: Ich war damit nicht alleine. Ich habe, ich vertrete diese These seit vielen, vielen Jahren. Man kann doch nicht in einem Land, das gezwungen ist, so hohe Investitionen, wie wir sie in Ostdeutschland gemacht haben, sagen: Das machen wir alles auf Kredit. Da ist doch irgendwo ein Ende. Wenn man es über die Einkommenssteuer macht, stößt man auf die Wettbewerbslage zwischen den Ländern. Also zum Beispiel in Bayern, zwischen Österreich und Bayern. Also muss es am Ende - wie in der Familie auch – über den Konsum finanziert werden. Das geht gar nicht anders. Und das wird auch am Ende jeder einsehen. Wann man das macht und wie man das macht, das ist eine zweite Frage. Aber dass es sein muss, daran habe ich keinen Zweifel.

Ostermann: Herr von Dohnanyi, unter dem Strich: Sie glauben, dass die große Koalition durchaus eine Chance hat?

von Dohnanyi: Ich glaube durchaus, dass sie eine Chance hat. Ich glaube, dass die Personen, die dort zusammen sind, hoch verantwortliche Personen sind. Und dass die Kanzlerin in der Lage sein wird, diese Verantwortung zu mobilisieren. Und insofern hoffe ich mir, dass diese besonders schwierige deutsche Lage, in der wir leben, die mit der Vereinigung und der Globalisierung zu tun hat, dass diese einen Schritt vorankommt. Eine Lösung im Sinne Vollbeschäftigung in vier Jahren ist undenkbar.