Von Deutschland nach Ljubljana
Anfang des Jahres sorgte das schmale Taschenbuch "Nahe Jedenew" aus dem Suhrkamp Verlag für Begeisterung unter Kritikern. Es war der erste Roman des jungen Autors Kevin Vennemann. Seine Geschichten spielen in Osteuropa während des Zweiten Weltkriegs. Für seinen zweiten Roman führt ihn ein Stipendium in das slowenische Ljubljana.
Vennemann: " Die Zeit vor 22 habe ich vergessen. "
Kevin Vennemann spricht nicht über seine Kindheit und Jugend, die er im nordrhein-westfälischen Dorsten verbracht hat. Was seine Eltern machen, ob er Geschwister hat, nein darüber möchte er nicht reden. Er lächelt. Verlegen. Warum er nicht von früher erzählen will, sagt er auch nicht – das überrascht – gilt Vennemann doch in der Literaturszene als junge Stimme der Vergangenheitsbewältigung.
Der 29-Jährige hat kurz geschorene dunkle Haare, sehr dunkle Augen, ein auffallend ebenmäßiges Gesicht, trägt einen dunklen Kapuzenpullover und Jeans. Er mag, wie er sagt, "minimalistischen, dreckigen HipHop" ebenso wie Schönbergs Zwölftonmusik. Hat er denn schon immer viel gelesen?
Kevin Vennemann: " Also, Literatur hat mich gar nicht interessiert. Ich hatte meinen "Fänger im Roggen", den ich natürlich toll fand, und solche Sachen und gar nichts sonst. "
Das klingt trotzig, provozierend, aber Kevin Vennemann zeigt dabei wieder dieses schüchterne Lächeln, so als sei er peinlich berührt. Nach dem Abitur schrieb sich Kevin Vennemann an der Kölner Universität für Neuere Geschichte, Literaturwissenschaften und Judaistik ein.
" Ich war, glaube ich, so ein bisschen orientierungslos, und darum habe ich an der Uni Köln alles angekreuzt, was es an Studiengängen gab, und das ist es dann geworden. "
Damals fing er an, sehr viel zu lesen – Romane, Geschichtsbücher, Bücher über politische Theorien - und er schrieb seine ersten eigenen Texte.
" Es waren am Anfang leicht märchenhafter Gestus und sich ausdenken und wuchern lassen, das war ganz am Anfang und sehr wenig Bindung zu irgendwelchen realen Ereignissen oder Figuren oder Settings, also die Geschichte abseits dessen, was so mein Alltag ist, das hat damals eine ganz große Rolle gespielt. "
2002 kam Kevin Vennemanns erstes Buch mit neun Erzählungen heraus, damals noch in einem kleinen Verlag: "Wolfskinderringe". Melancholisch-skurrile Stimmungsbilder. So eigenwillig geschrieben, dass sie den jungen Autor in der Literaturszene zum Hoffnungsträger machten.
Drei Jahre später erschien im Suhrkamp Verlag sein erster Roman "Nahe Jedenew". Die Geschichte spielt irgendwo in einem polnischen Dorf in den dreißiger, vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Eine wohl jüdische Großfamilie ist auf der Flucht vor den Bauern, mit denen sie über Jahre friedlich zusammengelebt hat. Kevin Vennemann hat sich intensiv mit jüdischer Geschichte beschäftigt. Und stieß bei seinen Studien immer wieder auf dasselbe "Phänomen", wie er es nennt:
" Vertreibungsbewegungen, Fluchtbewegungen aufgrund von Vorurteilen, immer das schlagartige Zerbrechen von Kontexten, mit denen man sich mehr oder weniger hat arrangieren können, die auch mehr oder weniger freundlich waren oder mehr oder weniger gefährlich dauerhaft, aber immer so'ner subtilen Gefährdung ausgesetzt gewesen sind. "
Früher hat sich Kevin Vennemann in politischen Gruppen gegen Antisemitismus und Rassismus engagiert. Heute hat er dazu keine Zeit mehr, weil er schreibt - manchmal 16 Stunden am Tag.
Zitat aus "Jedenew": "Wir atmen nicht. Der Ort ist nahe Jedenew, wir hören die Jedenewer Bauern singen, grölen, Klarinette, Akkordeon spielen und hören ihre Lieder seit Stunden bereits, alte Partisanenlieder, sie spielen und singen und grölen auf wundersame Weise melodiös. Seit Stunden sitzen die Jedenewer Bauern im Wald hinterm Haus und trinken und lachen und singen und spielen, und nach Stunden erst, endlich, hören wir sie aus dem Wald heraustreten und lauthals singend über den Wall in den Garten marschieren."
So beginnt der Roman "Nahe Jedenew", es gibt darin keine klare Abfolge der Geschehnisse, die Zeitebenen wechseln, manchmal sogar innerhalb eines Satzes, die Charaktere bleiben unscharf. Bewusst, sagt der Autor.
" Mir ging es halt eher um das Phänomen und um so ganz klare Nicht-Stereotypen, aber um Schablonen, was die Figuren und deren Perspektive angeht, also blasse, eindimensionale Gestalten, die man so als Paradigma verstehen kann, oder auch nicht. "
Kevin Vennemann führt seine Hand zum Mund, als erschrecke er vor seinen eigenen Worten und scheue davor zurück, sein eigenes Buch zu interpretieren. Er redet offensichtlich genau so ungern über seine Texte wie über sich.
Kevin Vennemanns Geschichten spielen in Osteuropa. Das kennt er vor allem aus Büchern:
" Das dreht wahrscheinlich den Slawisten den Magen um, wenn ich sage, dass ich den Haupteindruck aus Büchern habe, die mir natürlich ein archaisches Bild vermitteln. "
Diese "Archaik" brauche er zum Erzählen, sagt er noch.
Kevin Vennemanns Bild von Osteuropa könnte bald durch authentische Eindrücke überlagert werden, denn derzeit hat ihn ein Arbeitsstipendium in das slowenische Ljubljana geführt. Er schreibt dort an seinem zweiten Roman. Diesmal geht es um die slowenische Minderheit in Österreich und das Erinnern an die Aktivitäten der Partisanen im Zweiten Weltkrieg. Und wieder schreibt da also jemand über Gedächtnis und Erinnerung, der sich selber nicht mal an seine eigene Kindheit erinnern will.
Kevin Vennemann spricht nicht über seine Kindheit und Jugend, die er im nordrhein-westfälischen Dorsten verbracht hat. Was seine Eltern machen, ob er Geschwister hat, nein darüber möchte er nicht reden. Er lächelt. Verlegen. Warum er nicht von früher erzählen will, sagt er auch nicht – das überrascht – gilt Vennemann doch in der Literaturszene als junge Stimme der Vergangenheitsbewältigung.
Der 29-Jährige hat kurz geschorene dunkle Haare, sehr dunkle Augen, ein auffallend ebenmäßiges Gesicht, trägt einen dunklen Kapuzenpullover und Jeans. Er mag, wie er sagt, "minimalistischen, dreckigen HipHop" ebenso wie Schönbergs Zwölftonmusik. Hat er denn schon immer viel gelesen?
Kevin Vennemann: " Also, Literatur hat mich gar nicht interessiert. Ich hatte meinen "Fänger im Roggen", den ich natürlich toll fand, und solche Sachen und gar nichts sonst. "
Das klingt trotzig, provozierend, aber Kevin Vennemann zeigt dabei wieder dieses schüchterne Lächeln, so als sei er peinlich berührt. Nach dem Abitur schrieb sich Kevin Vennemann an der Kölner Universität für Neuere Geschichte, Literaturwissenschaften und Judaistik ein.
" Ich war, glaube ich, so ein bisschen orientierungslos, und darum habe ich an der Uni Köln alles angekreuzt, was es an Studiengängen gab, und das ist es dann geworden. "
Damals fing er an, sehr viel zu lesen – Romane, Geschichtsbücher, Bücher über politische Theorien - und er schrieb seine ersten eigenen Texte.
" Es waren am Anfang leicht märchenhafter Gestus und sich ausdenken und wuchern lassen, das war ganz am Anfang und sehr wenig Bindung zu irgendwelchen realen Ereignissen oder Figuren oder Settings, also die Geschichte abseits dessen, was so mein Alltag ist, das hat damals eine ganz große Rolle gespielt. "
2002 kam Kevin Vennemanns erstes Buch mit neun Erzählungen heraus, damals noch in einem kleinen Verlag: "Wolfskinderringe". Melancholisch-skurrile Stimmungsbilder. So eigenwillig geschrieben, dass sie den jungen Autor in der Literaturszene zum Hoffnungsträger machten.
Drei Jahre später erschien im Suhrkamp Verlag sein erster Roman "Nahe Jedenew". Die Geschichte spielt irgendwo in einem polnischen Dorf in den dreißiger, vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Eine wohl jüdische Großfamilie ist auf der Flucht vor den Bauern, mit denen sie über Jahre friedlich zusammengelebt hat. Kevin Vennemann hat sich intensiv mit jüdischer Geschichte beschäftigt. Und stieß bei seinen Studien immer wieder auf dasselbe "Phänomen", wie er es nennt:
" Vertreibungsbewegungen, Fluchtbewegungen aufgrund von Vorurteilen, immer das schlagartige Zerbrechen von Kontexten, mit denen man sich mehr oder weniger hat arrangieren können, die auch mehr oder weniger freundlich waren oder mehr oder weniger gefährlich dauerhaft, aber immer so'ner subtilen Gefährdung ausgesetzt gewesen sind. "
Früher hat sich Kevin Vennemann in politischen Gruppen gegen Antisemitismus und Rassismus engagiert. Heute hat er dazu keine Zeit mehr, weil er schreibt - manchmal 16 Stunden am Tag.
Zitat aus "Jedenew": "Wir atmen nicht. Der Ort ist nahe Jedenew, wir hören die Jedenewer Bauern singen, grölen, Klarinette, Akkordeon spielen und hören ihre Lieder seit Stunden bereits, alte Partisanenlieder, sie spielen und singen und grölen auf wundersame Weise melodiös. Seit Stunden sitzen die Jedenewer Bauern im Wald hinterm Haus und trinken und lachen und singen und spielen, und nach Stunden erst, endlich, hören wir sie aus dem Wald heraustreten und lauthals singend über den Wall in den Garten marschieren."
So beginnt der Roman "Nahe Jedenew", es gibt darin keine klare Abfolge der Geschehnisse, die Zeitebenen wechseln, manchmal sogar innerhalb eines Satzes, die Charaktere bleiben unscharf. Bewusst, sagt der Autor.
" Mir ging es halt eher um das Phänomen und um so ganz klare Nicht-Stereotypen, aber um Schablonen, was die Figuren und deren Perspektive angeht, also blasse, eindimensionale Gestalten, die man so als Paradigma verstehen kann, oder auch nicht. "
Kevin Vennemann führt seine Hand zum Mund, als erschrecke er vor seinen eigenen Worten und scheue davor zurück, sein eigenes Buch zu interpretieren. Er redet offensichtlich genau so ungern über seine Texte wie über sich.
Kevin Vennemanns Geschichten spielen in Osteuropa. Das kennt er vor allem aus Büchern:
" Das dreht wahrscheinlich den Slawisten den Magen um, wenn ich sage, dass ich den Haupteindruck aus Büchern habe, die mir natürlich ein archaisches Bild vermitteln. "
Diese "Archaik" brauche er zum Erzählen, sagt er noch.
Kevin Vennemanns Bild von Osteuropa könnte bald durch authentische Eindrücke überlagert werden, denn derzeit hat ihn ein Arbeitsstipendium in das slowenische Ljubljana geführt. Er schreibt dort an seinem zweiten Roman. Diesmal geht es um die slowenische Minderheit in Österreich und das Erinnern an die Aktivitäten der Partisanen im Zweiten Weltkrieg. Und wieder schreibt da also jemand über Gedächtnis und Erinnerung, der sich selber nicht mal an seine eigene Kindheit erinnern will.