Von deutschen und russischen Klischees

Als pünktlich und staatsgläubig schätzen Russen Deutsche ein. Diese sehen Russland als ein Land mit starkem Machtbewusstsein. Dass die Produktion von Zerrbildern maßgeblich durch Kriege verursacht wurde, davon zeugen die Karikaturen und Fotografien dieses Buches, das eine gleichnamige Ausstellung in Berlin begleitet.
Nichts ist hartnäckiger als das Klischee. Auch bei der gegenseitigen Wahrnehmung von Völkern dominiert das Schablonenhafte: Nachzulesen in dem Buch "Unsere Russen. Unsere Deutschen. Bilder vom Anderen", das als Begleitband zu einer Ausstellung erschien, die bis zum 2. März im Berliner Schloss Charlottenburg zu sehen ist.

Zu deren Eröffnung hatte das Meinungsforschungsinstitut Forsa eine Studie präsentiert. Danach sehen Deutsche Russland als "weites Land" voller "sozialer Ungleichheit" und mit überaus hohem Machtbewusstsein. Russen hingegen halten Deutsche für pünktlich, gebildet, verlässlich und – staatsgläubig. Das Klischee lässt grüßen.

" "Die Vorstellungen über Russland und die Russen bei den Deutschen sind auch lange nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch immer in hohem Maße von Vorurteilen oder überholten Stereotypen geprägt", " kommentierte Forsa-Chef Manfred Güllner.

Einen bildhaften Eindruck von diesen Klischees und ihren Ursachen bekommt, wer in dem Band über "Unsere Russen. Unsere Deutschen" blättert und liest.

Während wir gegenwärtigen Deutschen vor allem im 2. Weltkrieg die Ursache heutiger Vorbehalte vermuten, öffnet das Buch einen weiteren historischen Horizont: Er reicht bis zum Untergang der Napoleonischen Truppen vor Moskau 1812, bei dem auch hunderttausend deutsche Soldaten (aus den verbündeten Rheinbundstaaten) den Tod gefunden hatten. Karikaturen zeigen den propagandistisch ausgebeuteten russischen Hass auf die Deutschen, nachdem sie im 1. Weltkrieg Giftgas an der Front eingesetzt hatten. Der Krieg ist gewiss nicht – gemäß dem vielzitierten Satz des griechischen Philosophen Heraklit - der "Vater aller Dinge", aber die Produktion propagandistischer Zerrbilder ist maßgeblich durch Kriege verursacht worden.

Davon zeugen die Karikaturen und Fotografien dieses Buches. So wurde der deutsche Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion im 2. Weltkrieg begleitet von üblen Propagandabildern "bolschewistischer Untermenschen". Solche Zerrbilder dienten der psychologischen Kriegführung, um die Hemmschwelle vor der Vernichtung des Gegners zu beseitigen. In den Köpfen blieben sie aber auch, nachdem der Krieg beendet war. Plötzlich tauchen alte Vorbehalte in neuem Gewand wieder auf: wenn etwa die neuen Herrscher über Gas und Öl plötzlich zuhauf an Urlaubstränden auftauchen, die einst als Lieblingsorte der Deutschen galten. Spielen bei den Vorbehalten gegen die neuen Urlaubsgäste unterschwellig noch die Bilder von "russischen Untermenschen" eine Rolle?

Es gibt in dem Buch etwa doppelt so viele Bilder und Objekte, Fotos, Zeitungsseiten und Karikaturen, die deutsche Propaganda(Zerr-)Bilder von "den Russen" zeigen als umgekehrt russische Klischeebilder von "den Deutschen". Neben jeder Abbildung steht ein knapper Text, der das Bild oder Objekt in den konkreten historischen Kontext einordnet, erklärt und wertet.

Besonders hilfreich sind die Einführungstexte, verfasst von deutschen wie russischen Historikern: Dadurch wird der Band zum anschaulichen, knappen und lehrreichen Überblick über deutsch-russische Historie, zu der eben auch die Geschichte der wechselhaften, gegenseitigen Klischees gehört.

Rezensiert von Liane von Billerbeck

"Unsere Russen. Unsere Deutschen. Bilder vom Anderen 1800 bis 2000",
Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst (Hg.),
255 Seiten, Ch. Links Verlag 2007, 29,90 EUR