Von der Wiege bis zum Grabe

Der Name ist bekannt, die Musik dahinter kaum. Im Jahr seines 200. Geburtstages ist Franz Liszt neu zu entdecken. Das musikfest berlin lädt ein, Liszts Spur zu folgen – gemeinsam mit dem flämischen Dirigenten, Pianisten und Musikforscher Jos van Immerseel und seinem Orchester Anima Eterna Brugge.
Hunderte Werke hat Franz Liszt komponiert – viele davon in unterschiedlichen Versionen. Aber nur wenige von ihnen werden gespielt, am ehesten in Klavierabenden. Gegen Liszts hochambitionierte Orchestermusik wird eingewandt, der Komponist habe jenseits von oberflächlichen Knalleffekten nicht instrumentieren können. Seine sinfonische Dichtung "Les Préludes" scheint dieses Vorurteil zu bestätigen, wurde ihre Fanfare doch von den Nationalsozialisten für Siegesmeldungen der Wehrmacht missbraucht. Dass dazu eine entstellende Bearbeitung und eine Verdrängung des Entstehungshintergrundes nötig war, steht auf einem anderen Blatt.

Jos van Immerseel ist einer der wenigen einflussreichen Musiker, der Liszt für einen genialen Komponisten von Orchesterwerken hält – und der muss es wissen, schließlich ist Immerseel von Hause aus Pianist und mit den klavieristischen Glanzstücken Liszts groß geworden. Immerseel möchte mit diesem fast reinen Liszt-Programm nicht nur eine Lanze für den unterschätzen Komponisten brechen, sondern auch nachweisen, dass wir uns an ein falsches Klangbild dieser Musik gewöhnt haben. Denn zur Liszt-Zeit wurden andere Instrumente gespielt – sie waren leiser und klangfarbenreicher, und die Orchester waren damals kleiner besetzt als die heutigen Sinfonieorchester.

Also tritt Immerseel mit seinem (nach ihm benannten) Orchester Anima Eterna in der Berliner Philharmonie auf und zeigt Liszts Musik auf zeitgenössischen Instrumenten im originalen Klanggewand. Frühe Stücke wie der "Totentanz" für Klavier und Orchester (gespielt auf einem alten Érard-Flügel) wechseln sich ab mit Werken aus der mittleren Schaffensperiode; der programmatische Bogen reicht bis zur kargen Tondichtung "Von der Wiege bis zum Grabe" aus den späten Jahren. Eine weitere Entdeckung: Goethe-Lieder Hugo Wolfs, vom Komponisten selbst orchestriert. Der Meister des intimen Klavierlieds als Beherrscher Wagnerscher Klanggewalten: Ein Abend voller seltener Gelegenheiten.


musikfest berlin
Philharmonie Berlin
Aufzeichnung vom 7.9.11


Franz Liszt
Ungarische Rhapsodie Nr. 3 D-Dur (Fassung für Orchester)
"La notte" nach Michelangelo aus den "Trois odes funèbres" für Orchester

Hugo Wolf
Vier Lieder nach Goethe für Stimme und Orchester

Franz Liszt
"Deux Légendes" (Fassung für Orchester)
1. "Saint François d’Assise. La prédication aux oiseaux"
2. "Saint François de Paule marchant sur les flots"

ca. 21:10 Uhr Konzertpause mit Nachrichten

Franz Liszt
"Les préludes (d’après Lamartine)", Sinfonische Dichtung
"Von der Wiege bis zum Grabe", Sinfonische Dichtung
"Totentanz", Paraphrase über "Dies irae" für Klavier und Orchester


Thomas Bauer, Bariton
Pascal Amoyel, Fortepiano (Érard 1886)
Anima Eterna Brugge
Leitung: Jos van Immerseel