Von der Traufe in den Regen

Von Ruth Reichstein · 15.01.2013
In Griechenland liegen zurzeit rund 50.000 Asylanträge unbearbeitet bei den Behörden. Viele Flüchtlinge warten seit Jahren auf eine Antwort. Aus Verzweiflung wollen nun viele von ihnen zurück in ihre Heimatländer. Und ihnen wird bereitwillig geholfen: Die griechische Regierung hat zusammen mit der Europäischen Union die Internationale Organisation für Migration mit einem Rückkehrerprogramm beauftragt.
Der Empfangsraum der Internationalen Organisation für Migration - kurz IOM - in Athen wirkt wie eine Bahnhofshalle. Mindestens 50 Männer drängen sich in dem Raum. Viele haben Reisetaschen dabei. Alle warten sie auf die letzten Informationen für ihren Rückflug nach Pakistan, dem Land, aus dem sie vor Jahren, manchmal gar Jahrzehnten, geflohen sind.

"Ich bin so aufgeregt, in mein Land zurück zu gehen. Ich kann endlich meine Eltern, meine Schwestern und Brüder wieder sehen. Hier in Griechenland habe ich keine Perspektive. Ich habe so oft Asyl beantragt, aber nie eine Antwort erhalten. Sie behandeln uns hier nicht wie Menschen."

... sagt Mohammed Farooq, ein kleiner, rundlicher Mann Anfang 30, der sich einen Platz auf einer Holzbank an der Wand gesucht hat. Er ist, erzählt er, vor fünf Jahren aus der Nähe von Lahore im Osten von Pakistan nach Griechenland gekommen. Fünf Monate war er damals unterwegs - meistens zu Fuß - mit nur einem Ziel vor Augen: Europa. Jetzt soll er mit dem Flugzeug zurückkehren. Das dauert nur ein paar Stunden.

Einzeln werden die Flüchtlinge aufgerufen. Eine IOM-Mitarbeiterin überprüft noch einmal ihren Pass, gibt ihnen dann ein Blatt Papier mit der Abflugzeit am nächsten Tag. Mohammed Farooq hält es fest in der Hand. Nach fünf Jahren in Griechenland will er nur noch zurück nach Hause. Sein Asylantrag wurde nie abgelehnt, aber eben auch nicht beantwortet. Deshalb hat er sich schließlich bei der UN-Organisation registrieren lassen - genauso wie Hunderte andere Flüchtlinge aus Pakistan, dem Irak, afrikanischen Ländern, sogar aus Afghanistan.

"Die Flüchtlinge sind hier in Griechenland gestrandet - ohne jede Zukunft. Sie haben keine Hoffnung. Und sie haben nur eine einzige Möglichkeit: Die Rückkehr nach Hause."

sagt Daniel Esdras, der Chef des Rückkehrerprogramms. Er sitzt im ersten Stock über dem Empfangsraum an seinem Schreibtisch. Wenn er spricht, kneift er die Augen zusammen. Er selbst sei, sagt er, erstaunt gewesen über den Andrang der Flüchtlinge. Seit knapp einem Jahr hat seine Organisation bereits über 6000 Menschen zurückgebracht. Sie bekommen das Flugticket und 300 Euro für den Neuanfang - bezahlt von der griechischen Regierung und der Europäischen Union. Zehn Millionen Euro kostet das Programm pro Jahr.

Daniel Esdras streicht sich über den Bauch. Er hat kein Problem damit, dass er Flüchtlinge in Länder zurückschickt, die alles andere als sicher sind. Im Gegenteil: Er will sie zu Botschaftern machen im Kampf gegen irreguläre Einwanderung:

"Wir brauchen Kampagnen direkt in den Herkunftsländern. Wir müssen denen Original-Bilder von hier zeigen: Die toten Flüchtlinge von der Grenze zur Türkei im Evros-Tal. Die Wohnungen, in denen 50 Flüchtlinge in einem Zimmer hausen. Die Obdachlosen. All diese schlechten Dinge, die hier passieren, damit sie verstehen, dass das kein Spiel ist."

In den Ohren von Mohammed Akiber klingen solche Sätze zynisch. Er sitzt einen Stock tiefer und lässt sich für den Rückflug nach Afghanistan registrieren. Freiwillig tue ich das nicht, sagt er.

"Ich fühle mich furchtbar. Die Leute zu Hause erwarten, dass ich als reicher Mann zurückkomme. Viele haben mir Geld geliehen für die Flucht. Aber ich kann es nicht zurückzahlen. In meiner Region, im Norden von Afghanistan, herrschen die Taliban. Deshalb bin ich damals geflohen. Jetzt werde ich meine Flucht erklären müssen. Ich habe Angst um mein Leben."
Er geht zurück ins Nichts. Obwohl sein Asylantrag unter normalen Umständen gute Chancen auf Anerkennung gehabt hätte - nur eben nicht in Griechenland. Das räumt auch Daniel Esdras ein Stockwerk höher ein.

"Wir haben hier jemanden vom UN-Flüchtlingskommissariat. Der klärt die Rückkehrer noch einmal über ihre Recht auf, sagt ihnen, wenn sie eine Chance auf Asyl haben. Aber wenn sich jemand einmal für die Rückkehr entschieden hat, dann ändert er seine Meinung in der Regel nicht mehr."
Das gilt auch für Mohammed Farooq aus Pakistan. Er will nicht an die Probleme denken, die ihn zu Hause erwarten, sagt er, als er ein letztes Mal in der Athener Innenstadt unterwegs ist. Von der IOM hat er eine weiße Plastiktüte mit dem blauen UN-Logo bekommen. Die hat er einen Tag vor seinem Abflug immer dabei.

"Ich habe mich ständig vor der Polizei gefürchtet. Jetzt habe ich diese Tüte dabei. Die ist besser als jeder Pass. Sie beschützt mich."

Mohammed Farooq bleibt vor einem Stand mit Schokolade und Bonbons stehen. Von dem wenigen Geld, das ihm geblieben ist, will er Mitbringsel für seine Familie kaufen. Andenken an Europa. Für zwei Euro bekommt er zehn Karamellbonbons.

Selbst solche Kleinigkeiten kann sich Mohammed Akiber aus Afghanistan nicht leisten. Er wartet seit fünf Jahren auf eine Antwort auf seinen Asylantrag. Zuhause hat er zwei Kinder - sechs und acht Jahre alt. Auch die wollte er vor der Gewalt in seinem Land beschützen, sie nachholen, erzählt er in seinem Zimmer. Aber daran ist in Griechenland nicht zu denken.

Der 33-Jährige wohnt in einem Verschlag zusammen mit drei anderen Flüchtlingen. Ein Zimmer neben der Küche. Ohne Fenster. Keinen Cent hat er bekommen. Keine Unterkunft. Keine Arbeitserlaubnis.

"Es ist einfach unerträglich hier. Ich habe keine Arbeit, kein Geld. Keine Papiere. Im vergangenen Monat konnten wir den Strom nicht bezahlen. Da war es hier stockdunkel. Das ist einfach kein Leben."

Er habe seine Würde verloren, sagt der Afghane, steht auf und geht in die Küche. Im Schrank ist nur Pulverkaffee. Den brüht er mit heißem Leitungswasser auf. Essen gibt es nur an guten Tagen. Zu Hause hat er wenigstens seine Familie und ein Dach über dem Kopf. Aber wie lange er dort in Afghanistan in Frieden leben wird, weiß - vor allem nach dem geplanten Abzug der internationalen Truppen im kommenden Jahr - keiner.