Von der Speisekarte gestrichen
In China ist der Verzehr von Hunden nichts Ungewöhnliches. Aber aus Rücksicht vor den ausländischen Gästen sollen in den offiziellen Olympiarestaurants während der Spiele keine Hunde verspeist werden. – Über kulinarische Eigenheiten aus dem Reich der Mitte berichtet der chinesische Schriftsteller Shi Ming.
Jürgen König: In Europa sind Hund und Katze die beliebtesten Haustiere. Insofern ist man hier sehr schnell sehr empört bei der Vorstellung, dass diese Tiere gegessen werden. Vergessen wir aber nicht, dass es zum Beispiel für einen Muslim mindestens so empörend ist, wenn Europäer ein Schwein verspeisen, in Indien sind die Kühe heilig. Nun ja. Die Pekinger Behörde für Lebensmittelsicherheit hat jetzt in 112 offiziellen Olympiarestaurants in Peking verboten, während der Olympischen Spiele Hundefleisch auf die Speisekarte zu setzen. Wie dieses Hundefleisch da überhaupt raufgekommen ist auf die Speisekarte, das soll unser Thema sein. Zu Gast der chinesische Schriftsteller Shi Ming. Hallo, guten Tag.
Shi Ming: Guten Tag.
König: Sie sind in China groß geworden. Haben Sie auch Hunde gehabt?
Ming: Ja, ich hatte zwei große Hunde gehabt als ich auf dem Land war. Damals während der Kulturrevolution wurde ich geschickt zu meinem Vater in die sogenannte ideologische Umerziehung. Ich lebte also bei den Bauern und hütete Schafe. Da hatte ich also zwei Hunde.
König: Was ist aus den Hunden geworden?
Ming: Ich wusste nicht, zumindest als ich das Dorf verließ, lebten die Hunde noch, aber, wie ich hörte, wurde einer der Hunde auch geschlachtet und gegessen, obwohl man den Hund, so wie ich damals ja auch, innig geliebt haben. Es ist eben nicht so, dass man den Hund deshalb nicht isst, weil man ihn liebt. Es ist fast schon so, dass man ihn deshalb isst, weil man ihn liebt.
König: Also, Chinesen essen ihre Tiere, weil sie sie lieben? Nur die Tiere werden gegessen, zu denen die Menschen ein gutes Verhältnis haben? Kann man das so sagen?
Ming: Man kann das zwar nicht verallgemeinern, es gibt auch Tiere, von denen man nicht sehr viel Ahnung hat. Aber dann isst man diese Tiere aus einer anderen Glaubensansatz. Zum Beispiel an dem wundersamen Glaubensansatz. Also, bestimmte Tiere, so glaubte man, hätten diese oder jene Heilwirkung. Da muss man sie nicht lieben, da muss man sie auch noch nicht mal richtig kennen, aber man nutzt dann dieses Tierfleisch, um sich dann diese Heilwirkung in dem eigenen Körper vorzustellen. Schildkröte zum Beispiel ist eine sehr gern gegessene Speise, weil man ja davon immer erhofft, weil Schildkröte so lange lebt, und wenn man sie verspeist, vielleicht lebt man genauso lang.
König: Aber ich meine, das Schlachten und Verzehren von Tieren ist ja nun auch etwas Brutales. Wie kann man das tun angesichts eines Tieres, das man liebt?
Ming: Ja, das hat natürlich mit dieser Symbiose zwischen Menschen und Tieren in dem Überlebenskampf zu tun. Wir sollen nicht vergessen, dass China eine der ausgeprägtesten Agrarkulturen dieser Welt ist, seit 5000 Jahren fast ohne große Unterbrechung. In dieser Agrarkultur leben Menschen normal mit Haustieren, insbesondere in der Agrarkultur. Das ist noch mal als zum Beispiel bei Jägern, bei Sammlern und bei späteren kommerziellen Zivilisation ist es erst recht anders. Aber bei den Bauern, bei Agrarkultur ist es ja prägend, dass Menschen mit Haustieren zusammenleben, und die Haustiere und die Hühner, Enten, die dienen von vornherein als Nahrungsquellen. Und diese Nahrungsquellen sind ja so wertvoll neben ohnehin spärlich zu bekommendem Getreide. Da bekommen natürlich die Würdeträger, also die älteren Menschen zum Beispiel, eher das Fleisch zu essen von den Tieren. Und wenn man schon so viel Wert auf tierisches Eiweiß, diese Quelle, legen muss, dann überträgt sich natürlich auch eine gewisse Aufmerksamkeit auf ein positives Gefühl, das man später dann Liebe nennt.
König: Ich meine, in Deutschland gilt ein Hund, und ja nicht nur hier, aber bleiben wir mal in Deutschland, gilt ja ein Hund als edles Tier, als inniger Freund des Menschen, für manche wie ein Lebenspartner in der Wohnung lebend. Warum ist das in China anders? Ist es anders?
Ming: Das wird jetzt anders. Es wird vor allen Dingen in den Städten anders, in Peking, Shanghai und in anderen Ballungszentren. Da gibt es also diese städtische Mittelschicht, die sich sehr stark am amerikanischen Lebensstil orientiert. Und da lernt man sehr schnell kennen, das, was Sie gesagt haben, über das edle Tier Hunde, über die Menschenfreunde Pferde, usw. Auch, übrigens in einer sich ansetzenden Christianisierung unter den Intellektuellen, trägt er auch noch dazu bei, die Tiere, die Haustiere anders, mit anderen Augen zu sehen. Wer es sich leisten kann, leistet sich heute zum Beispiel einen Dackelhund. Da will man natürlich auch nicht mehr den Dackelhund auch noch verspeisen, weil eben dieser agrarkulturelle Hintergrund nicht mehr vorhanden ist, weil man eben urban lebt und weil eben dieser westliche, vor allen Dingen amerikanistisch bestimmte Lebensorientierung langsam um sich greift. Insofern gibt es zum Beispiel in diesen Städten auch Hundekrankenhäuser, also Hundehospitale, Hundeschule, Hundeclubs. Also, alles was im Westen gibt, gibt es dort auch.
König: Also schlägt es sogar in das ganze Gegenteil um.
Ming: Das schlägt radikal in das Gegenteil um. Und Sie haben ja eingangs dieses Verbot erwähnt. Dieses Verbot hat man deswegen verhängt, mit Blick auf die ausländischen Gäste, aber auch mit dem Blick auf diese sich sehr nobel fühlende Mittelschicht, die ja gerne mit den europäischen Langnasen gleichmachen wollen, wenn sie dann ihre europäisch-amerikanischen Freunde in diesen Restaurants begegnen, wollen sie sich nicht als Barbaren outen, indem sie also lauthals einen Teller Hundefleisch bestellen. Wer das also aus böser Sicht betreiben wollte, der bekommt die Möglichkeit nicht mehr, weil eben allgemein ein Verbot jetzt verhängt wurde.
König: Wird dieses Verbot durchsetzbar sein?
Ming: Die Anzahl der Restaurants ist ja so begrenzt. Insofern lässt sich das natürlich gut durchsetzen. 112 Restaurants aber machen nichts. Also, man kann ja, wir haben ja so viele Arbeitslose, vor jedes Restaurant kann man zwei Arbeitslose hinsetzen, die da auch aufpassen, wer da also mit böser Sicht antanzen, der wird da auch schon ferngehalten. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist vielmehr, dass heute des Verzehr von Haustieren generell ein Problem wird. Auch zwischen Land und Stadt. Auf dem Lande wird also weiterhin die traditionelle Art und Weise des Verzehrs praktiziert. In der Stadt gibt es eben diese Veränderungen. Aber, was nicht gebrochen ist, ist der Glaube an das Wundersame. Auch Hundefleisch zum Beispiel ist nicht allein als Fleisch zum Verzehr da, von Hundefleisch verspricht man sich eine gewisse spezielle Wärme, die zum Beispiel die Nieren ein bisschen anwärmt. Und wer Diabetes hat oder wer Nierenprobleme hat, sollte er irgendwo doch auch ein bisschen Hundefleisch essen. Das gehört auch noch zu der Medizin. Das heißt also, die Schiene führt in verschiedenen Richtungen. Wenn man in eine Richtung diese Schiene kappt, heißt das noch lange nicht, dass andere Schienen ebenso gekappt sind.
König: Welche Hunde werden gegessen auf dem Land?
Ming: Och, das sind ja eigentlich sehr unterschiedliche. Also, ich habe ja damals einen deutschen Schäferhund gehabt, der da, wie ich hörte, dann geschlachtet wurde. Aber da macht man keinen großen Unterschied. Es gibt jetzt auch in, nicht in Peking, aber in anderen Städten regelrechte Hundeschlachten. Das heißt also, es gibt Hunde, die aufgegeben worden sind, die da so durch die Straßen dreuen, da gibt es also Kommandos, die diese Hunde sammeln und dann schlachten und das Fleisch auch anbieten. Da macht man auch keine Unterschiede, welcher Sorten oder welcher Rassen die Hunde sind. Tierheime in dem Sinne gibt es nur vereinzelt.
König: In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift des Bundes gegen den Missbrauch der Tiere habe ich gelesen, dass in Restaurants die Köche auf Hackbrettern lebende Hunde zerteilen sollen. Muss das sein?
Ming: Das muss nicht sein, aber es gibt diese Praxis in der Tat. Nicht nur bei den Hunden, sondern auch bei anderen Tieren, wo man wahrscheinlich noch größeren Schreck bekommt. Das hat aber auch mit diesem wundersamen Glauben zu tun. Je frischer, je lebendiger die Tiere verspeist werden könnten, desto vitaler wirkte das Fleisch.
König: Ich glaube, wenn ich das in einem solchen Restaurant erleben würde, ich würde das für barbarisch halten.
Ming: Ja, das empfinden übrigens auch feine Mittelschichtler in China genauso. Und es gibt einen, na, Witz ist es nicht, aber eine Wortdefinition, „petite bourgeois“. Und junge Menschen ringen sich darum, zu „petite bourgeois“ zu gehören.
König: Also, Kleinbürgertum, oder was meinen Sie damit?
Ming: Ja, ja, genau. Kleinbürgertum. Aber das ist nicht negativ besetzt, sondern sehr positiv. Wer also „petite bourgeois“ sein will, muss wirklich eine Empfindsamkeit gegenüber Tieren aufweisen. Ob er nun davon überzeugt ist, ist eine andere Sache. Der muss das zur Schau stellen. Also, der muss wirklich ein entsetztes „Aua“ herausstoßen, wenn er das sähe, dass ein Koch ein lebendiges Tier nicht zerteilt, aber einfach erschlägt. Das gehört sich schon heute nicht mehr für die Augen, für die Sinne dieser „petite bourgeois“. Andere machen sich wiederum lustig über diese „petite bourgeois“. Und es ist ja bezeichnend, dass das Gegenteil für das Wort „petite bourgeois“ Bauerntum heißt.
König: Wie bereitet man Hund zu?
Ming: Das sind sehr unterschiedliche. Also, eine sehr beliebte Art ist, Hundefleisch schmoren mit gewissen Kräutern, medizinische Heilkräutern oder auch allgemeine Kräutern. Und das verspeist man gerne im Winter, weil man, wie gesagt, davon eben diese wundersame Wärme für die Nieren und wahrscheinlich auch noch ein bisschen für die männliche Potenz erhofft. Das wird aber übrigens nicht überall in China gegessen, sondern zum Beispiel in Nordostchina an der Grenze zu Korea. Übrigens ist Korea das Land des Hundeessens schlechthin.
König: Wonach schmeckt Hund?
Ming: Das kommt darauf an. Also, also, ich habe nicht sehr viel probiert, aber man sagte mir, dass Schäferhund zum Beispiel nicht so sonderlich gut schmeckt. Aber kleinere Hunde, konnte ich mir auch vorstellen, dass das Fleisch etwas zarter ist, oder eben auch die Zierhunde. Also nicht die Jagdhunde, weil die Muskeln dann etwas härter sind usw. Aber so viel probiert habe ich das auch nicht.
König: Die Pekinger Behörde für Lebensmittelsicherheit hat in offiziellen Olympiarestaurants verboten, während der Spiele Hundefleisch auf die Speisekarte zu setzen. Ein Gespräch darüber mit dem chinesischen Schriftsteller Shi Ming. Vielen Dank. Und noch ein Trost für alle, die zu den Spielen nach Peking reisen und dabei auf exotische Kost nicht verzichten wollen: Gekochte Schildkröte, Schlangen, Skorpione und Vogelnester stehen weiterhin auf der Speisekarte.
Shi Ming: Guten Tag.
König: Sie sind in China groß geworden. Haben Sie auch Hunde gehabt?
Ming: Ja, ich hatte zwei große Hunde gehabt als ich auf dem Land war. Damals während der Kulturrevolution wurde ich geschickt zu meinem Vater in die sogenannte ideologische Umerziehung. Ich lebte also bei den Bauern und hütete Schafe. Da hatte ich also zwei Hunde.
König: Was ist aus den Hunden geworden?
Ming: Ich wusste nicht, zumindest als ich das Dorf verließ, lebten die Hunde noch, aber, wie ich hörte, wurde einer der Hunde auch geschlachtet und gegessen, obwohl man den Hund, so wie ich damals ja auch, innig geliebt haben. Es ist eben nicht so, dass man den Hund deshalb nicht isst, weil man ihn liebt. Es ist fast schon so, dass man ihn deshalb isst, weil man ihn liebt.
König: Also, Chinesen essen ihre Tiere, weil sie sie lieben? Nur die Tiere werden gegessen, zu denen die Menschen ein gutes Verhältnis haben? Kann man das so sagen?
Ming: Man kann das zwar nicht verallgemeinern, es gibt auch Tiere, von denen man nicht sehr viel Ahnung hat. Aber dann isst man diese Tiere aus einer anderen Glaubensansatz. Zum Beispiel an dem wundersamen Glaubensansatz. Also, bestimmte Tiere, so glaubte man, hätten diese oder jene Heilwirkung. Da muss man sie nicht lieben, da muss man sie auch noch nicht mal richtig kennen, aber man nutzt dann dieses Tierfleisch, um sich dann diese Heilwirkung in dem eigenen Körper vorzustellen. Schildkröte zum Beispiel ist eine sehr gern gegessene Speise, weil man ja davon immer erhofft, weil Schildkröte so lange lebt, und wenn man sie verspeist, vielleicht lebt man genauso lang.
König: Aber ich meine, das Schlachten und Verzehren von Tieren ist ja nun auch etwas Brutales. Wie kann man das tun angesichts eines Tieres, das man liebt?
Ming: Ja, das hat natürlich mit dieser Symbiose zwischen Menschen und Tieren in dem Überlebenskampf zu tun. Wir sollen nicht vergessen, dass China eine der ausgeprägtesten Agrarkulturen dieser Welt ist, seit 5000 Jahren fast ohne große Unterbrechung. In dieser Agrarkultur leben Menschen normal mit Haustieren, insbesondere in der Agrarkultur. Das ist noch mal als zum Beispiel bei Jägern, bei Sammlern und bei späteren kommerziellen Zivilisation ist es erst recht anders. Aber bei den Bauern, bei Agrarkultur ist es ja prägend, dass Menschen mit Haustieren zusammenleben, und die Haustiere und die Hühner, Enten, die dienen von vornherein als Nahrungsquellen. Und diese Nahrungsquellen sind ja so wertvoll neben ohnehin spärlich zu bekommendem Getreide. Da bekommen natürlich die Würdeträger, also die älteren Menschen zum Beispiel, eher das Fleisch zu essen von den Tieren. Und wenn man schon so viel Wert auf tierisches Eiweiß, diese Quelle, legen muss, dann überträgt sich natürlich auch eine gewisse Aufmerksamkeit auf ein positives Gefühl, das man später dann Liebe nennt.
König: Ich meine, in Deutschland gilt ein Hund, und ja nicht nur hier, aber bleiben wir mal in Deutschland, gilt ja ein Hund als edles Tier, als inniger Freund des Menschen, für manche wie ein Lebenspartner in der Wohnung lebend. Warum ist das in China anders? Ist es anders?
Ming: Das wird jetzt anders. Es wird vor allen Dingen in den Städten anders, in Peking, Shanghai und in anderen Ballungszentren. Da gibt es also diese städtische Mittelschicht, die sich sehr stark am amerikanischen Lebensstil orientiert. Und da lernt man sehr schnell kennen, das, was Sie gesagt haben, über das edle Tier Hunde, über die Menschenfreunde Pferde, usw. Auch, übrigens in einer sich ansetzenden Christianisierung unter den Intellektuellen, trägt er auch noch dazu bei, die Tiere, die Haustiere anders, mit anderen Augen zu sehen. Wer es sich leisten kann, leistet sich heute zum Beispiel einen Dackelhund. Da will man natürlich auch nicht mehr den Dackelhund auch noch verspeisen, weil eben dieser agrarkulturelle Hintergrund nicht mehr vorhanden ist, weil man eben urban lebt und weil eben dieser westliche, vor allen Dingen amerikanistisch bestimmte Lebensorientierung langsam um sich greift. Insofern gibt es zum Beispiel in diesen Städten auch Hundekrankenhäuser, also Hundehospitale, Hundeschule, Hundeclubs. Also, alles was im Westen gibt, gibt es dort auch.
König: Also schlägt es sogar in das ganze Gegenteil um.
Ming: Das schlägt radikal in das Gegenteil um. Und Sie haben ja eingangs dieses Verbot erwähnt. Dieses Verbot hat man deswegen verhängt, mit Blick auf die ausländischen Gäste, aber auch mit dem Blick auf diese sich sehr nobel fühlende Mittelschicht, die ja gerne mit den europäischen Langnasen gleichmachen wollen, wenn sie dann ihre europäisch-amerikanischen Freunde in diesen Restaurants begegnen, wollen sie sich nicht als Barbaren outen, indem sie also lauthals einen Teller Hundefleisch bestellen. Wer das also aus böser Sicht betreiben wollte, der bekommt die Möglichkeit nicht mehr, weil eben allgemein ein Verbot jetzt verhängt wurde.
König: Wird dieses Verbot durchsetzbar sein?
Ming: Die Anzahl der Restaurants ist ja so begrenzt. Insofern lässt sich das natürlich gut durchsetzen. 112 Restaurants aber machen nichts. Also, man kann ja, wir haben ja so viele Arbeitslose, vor jedes Restaurant kann man zwei Arbeitslose hinsetzen, die da auch aufpassen, wer da also mit böser Sicht antanzen, der wird da auch schon ferngehalten. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist vielmehr, dass heute des Verzehr von Haustieren generell ein Problem wird. Auch zwischen Land und Stadt. Auf dem Lande wird also weiterhin die traditionelle Art und Weise des Verzehrs praktiziert. In der Stadt gibt es eben diese Veränderungen. Aber, was nicht gebrochen ist, ist der Glaube an das Wundersame. Auch Hundefleisch zum Beispiel ist nicht allein als Fleisch zum Verzehr da, von Hundefleisch verspricht man sich eine gewisse spezielle Wärme, die zum Beispiel die Nieren ein bisschen anwärmt. Und wer Diabetes hat oder wer Nierenprobleme hat, sollte er irgendwo doch auch ein bisschen Hundefleisch essen. Das gehört auch noch zu der Medizin. Das heißt also, die Schiene führt in verschiedenen Richtungen. Wenn man in eine Richtung diese Schiene kappt, heißt das noch lange nicht, dass andere Schienen ebenso gekappt sind.
König: Welche Hunde werden gegessen auf dem Land?
Ming: Och, das sind ja eigentlich sehr unterschiedliche. Also, ich habe ja damals einen deutschen Schäferhund gehabt, der da, wie ich hörte, dann geschlachtet wurde. Aber da macht man keinen großen Unterschied. Es gibt jetzt auch in, nicht in Peking, aber in anderen Städten regelrechte Hundeschlachten. Das heißt also, es gibt Hunde, die aufgegeben worden sind, die da so durch die Straßen dreuen, da gibt es also Kommandos, die diese Hunde sammeln und dann schlachten und das Fleisch auch anbieten. Da macht man auch keine Unterschiede, welcher Sorten oder welcher Rassen die Hunde sind. Tierheime in dem Sinne gibt es nur vereinzelt.
König: In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift des Bundes gegen den Missbrauch der Tiere habe ich gelesen, dass in Restaurants die Köche auf Hackbrettern lebende Hunde zerteilen sollen. Muss das sein?
Ming: Das muss nicht sein, aber es gibt diese Praxis in der Tat. Nicht nur bei den Hunden, sondern auch bei anderen Tieren, wo man wahrscheinlich noch größeren Schreck bekommt. Das hat aber auch mit diesem wundersamen Glauben zu tun. Je frischer, je lebendiger die Tiere verspeist werden könnten, desto vitaler wirkte das Fleisch.
König: Ich glaube, wenn ich das in einem solchen Restaurant erleben würde, ich würde das für barbarisch halten.
Ming: Ja, das empfinden übrigens auch feine Mittelschichtler in China genauso. Und es gibt einen, na, Witz ist es nicht, aber eine Wortdefinition, „petite bourgeois“. Und junge Menschen ringen sich darum, zu „petite bourgeois“ zu gehören.
König: Also, Kleinbürgertum, oder was meinen Sie damit?
Ming: Ja, ja, genau. Kleinbürgertum. Aber das ist nicht negativ besetzt, sondern sehr positiv. Wer also „petite bourgeois“ sein will, muss wirklich eine Empfindsamkeit gegenüber Tieren aufweisen. Ob er nun davon überzeugt ist, ist eine andere Sache. Der muss das zur Schau stellen. Also, der muss wirklich ein entsetztes „Aua“ herausstoßen, wenn er das sähe, dass ein Koch ein lebendiges Tier nicht zerteilt, aber einfach erschlägt. Das gehört sich schon heute nicht mehr für die Augen, für die Sinne dieser „petite bourgeois“. Andere machen sich wiederum lustig über diese „petite bourgeois“. Und es ist ja bezeichnend, dass das Gegenteil für das Wort „petite bourgeois“ Bauerntum heißt.
König: Wie bereitet man Hund zu?
Ming: Das sind sehr unterschiedliche. Also, eine sehr beliebte Art ist, Hundefleisch schmoren mit gewissen Kräutern, medizinische Heilkräutern oder auch allgemeine Kräutern. Und das verspeist man gerne im Winter, weil man, wie gesagt, davon eben diese wundersame Wärme für die Nieren und wahrscheinlich auch noch ein bisschen für die männliche Potenz erhofft. Das wird aber übrigens nicht überall in China gegessen, sondern zum Beispiel in Nordostchina an der Grenze zu Korea. Übrigens ist Korea das Land des Hundeessens schlechthin.
König: Wonach schmeckt Hund?
Ming: Das kommt darauf an. Also, also, ich habe nicht sehr viel probiert, aber man sagte mir, dass Schäferhund zum Beispiel nicht so sonderlich gut schmeckt. Aber kleinere Hunde, konnte ich mir auch vorstellen, dass das Fleisch etwas zarter ist, oder eben auch die Zierhunde. Also nicht die Jagdhunde, weil die Muskeln dann etwas härter sind usw. Aber so viel probiert habe ich das auch nicht.
König: Die Pekinger Behörde für Lebensmittelsicherheit hat in offiziellen Olympiarestaurants verboten, während der Spiele Hundefleisch auf die Speisekarte zu setzen. Ein Gespräch darüber mit dem chinesischen Schriftsteller Shi Ming. Vielen Dank. Und noch ein Trost für alle, die zu den Spielen nach Peking reisen und dabei auf exotische Kost nicht verzichten wollen: Gekochte Schildkröte, Schlangen, Skorpione und Vogelnester stehen weiterhin auf der Speisekarte.