Von der Schönheit der Mathematik
Archimedes hat drei Kodizes zur Mathematik verfasst. Alle drei galten als verschollen – bis zum Jahre 1998. Da tauchte eines der Bücher wieder auf. Was dieser Fund für die Wissenschaft bedeutet, das erklären Reviel Netz und William Noel in ihrem Buch „Der Kodex des Archimedes“.
Es waren die Meister der Renaissance, da Vinci und Galilei, die haben die moderne Wissenschaftswelt mit Archimedes bekannt gemacht. Aus deren Aufzeichnungen geht nämlich hervor, dass sie zwei von den drei mathematischen Werken des antiken Genius gekannt haben müssen. Die ältesten Exemplare der mathematischen Werke des Archimedes, genannt „Kodex A, B und C“, wurden bis 1204 in Konstantinopel aufbewahrt. Dann haben Kreuzritter die Stadt geplündert und ihre literarischen Schätze nach Mitteleuropa entführt. Vom Kodex C hatte man seitdem nichts mehr gehört. Kodex A und B wurden zunächst in Abschriften verbreitet, sind aber im 16. Jahrhundert aus italienischen Bibliotheken verschwunden.
Am 29. Oktober 1998, so erzählt uns das vorliegende Buch, wurde bei Christie’s in New York ein kleines Wunder offenbar. Der Kodex C des Archimedes ist wieder aufgetaucht! Nach beinah 800 Jahren. Er wurde an diesem Tag für 2,2 Millionen Dollar versteigert. Der neue Eigentümer ist ein Herr, der unbekannt bleiben möchte. Er brachte das Buch zu William Noel, dem Kurator des Walters Kunstmuseum in Baltimore. Dort wird Archimedes’ Werk jetzt aufbewahrt und konserviert. Noel ist der Autor des vorliegenden Buches, sein Co-Autor ist Reviel Netz, Professor für antike Wissenschaft an der Stanford University, ein Archimedes-Spezialist.
Das 2,2 Millionen teure Buch ist ein schimmliger Wälzer mit Brandlöchern und Wasserflecken. Außerdem handelt es sich um ein Palimpsest, das heißt die Pergament-Seiten dieses Buches sind mindestens zweimal beschrieben worden, zuletzt mit Gebetstexten aus dem 13. Jahrhundert. Vermutlich haben Mönche, wie in mittelalterlichen Schreibstuben üblich, den ursprünglichen Text heruntergeschabt, um das Pergament neu beschreiben zu können. Was die fleißigen Mönche da „entsorgt“ haben, war der Kodex C des Archimedes, zumindest Teile davon.
Zurzeit ist das Wissenschaftler-Team unter der Leitung von Reviel Netz damit beschäftigt, einen Text zu entschlüsseln, der nur noch in schwachen Abdrücken vorhanden ist. Ohne modernste Technik wäre Archimedes nicht zu retten, deshalb arbeiten in Baltimore nicht nur Altphilologen, sondern auch Computer-Experten der NASA und der US Navy.
Netz und Noel behaupten, nach vollständiger Rekonstruktion der vorliegenden Archimedes-Schriften müsse die Geschichte der Wissenschaften und der Mathematik neu geschrieben werden. Das ist sicher etwas euphorisch formuliert, ihre Argumente kann der Leser aber nachvollziehen. Zum Beispiel findet sich im Kodex C des Archimedes ein Text, den er über das „Stomachion“ geschrieben hat, ein Puzzle-Spiel aus der Antike. Es besteht aus vierzehn Teilen verschiedener Form, die zu einem Quadrat zusammengefügt werden müssen: eine knifflige Aufgabe bis heute.
Archimedes’ Fragestellung lautet: Wie viele verschiedene Möglichkeiten gibt es, diese Puzzle-Teile zu einem Quadrat zu arrangieren? Lässt sich die Anzahl dieser Möglichkeiten berechnen? – Das ist eine Aufgabe aus dem Bereich der Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Bisher glaubte man, Fermat und Pascal seien die ersten gewesen, die sich mit solcherlei Fragen beschäftigt haben: zwei französische Denker aus dem 17. Jahrhundert.
Dieses Buch handelt von der Odyssee eines Buches, sie ist so spannend erzählt wie ein Krimi: nach einer glänzenden Dramaturgie. Dieses Buch handelt aber auch von der Schönheit der Mathematik. Da packt einen die Lust am Knobeln, selbst wenn Mathe nicht eben unser Lieblingsfach in der Schule gewesen ist. Ein leichtfüßiger Stil, eine glänzende Übersetzung – man kann dieses Buch nur empfehlen.
Rezensiert von Susanne Mack
Reviel Netz/William Noel: Der Kodex des Archimedes. Das berühmteste Palimpsest der Welt wird entschlüsselt
Übersetzt von Thomas Filk
C.H. Beck Verlag 2007
302 Seiten, 19,90 Euro
Am 29. Oktober 1998, so erzählt uns das vorliegende Buch, wurde bei Christie’s in New York ein kleines Wunder offenbar. Der Kodex C des Archimedes ist wieder aufgetaucht! Nach beinah 800 Jahren. Er wurde an diesem Tag für 2,2 Millionen Dollar versteigert. Der neue Eigentümer ist ein Herr, der unbekannt bleiben möchte. Er brachte das Buch zu William Noel, dem Kurator des Walters Kunstmuseum in Baltimore. Dort wird Archimedes’ Werk jetzt aufbewahrt und konserviert. Noel ist der Autor des vorliegenden Buches, sein Co-Autor ist Reviel Netz, Professor für antike Wissenschaft an der Stanford University, ein Archimedes-Spezialist.
Das 2,2 Millionen teure Buch ist ein schimmliger Wälzer mit Brandlöchern und Wasserflecken. Außerdem handelt es sich um ein Palimpsest, das heißt die Pergament-Seiten dieses Buches sind mindestens zweimal beschrieben worden, zuletzt mit Gebetstexten aus dem 13. Jahrhundert. Vermutlich haben Mönche, wie in mittelalterlichen Schreibstuben üblich, den ursprünglichen Text heruntergeschabt, um das Pergament neu beschreiben zu können. Was die fleißigen Mönche da „entsorgt“ haben, war der Kodex C des Archimedes, zumindest Teile davon.
Zurzeit ist das Wissenschaftler-Team unter der Leitung von Reviel Netz damit beschäftigt, einen Text zu entschlüsseln, der nur noch in schwachen Abdrücken vorhanden ist. Ohne modernste Technik wäre Archimedes nicht zu retten, deshalb arbeiten in Baltimore nicht nur Altphilologen, sondern auch Computer-Experten der NASA und der US Navy.
Netz und Noel behaupten, nach vollständiger Rekonstruktion der vorliegenden Archimedes-Schriften müsse die Geschichte der Wissenschaften und der Mathematik neu geschrieben werden. Das ist sicher etwas euphorisch formuliert, ihre Argumente kann der Leser aber nachvollziehen. Zum Beispiel findet sich im Kodex C des Archimedes ein Text, den er über das „Stomachion“ geschrieben hat, ein Puzzle-Spiel aus der Antike. Es besteht aus vierzehn Teilen verschiedener Form, die zu einem Quadrat zusammengefügt werden müssen: eine knifflige Aufgabe bis heute.
Archimedes’ Fragestellung lautet: Wie viele verschiedene Möglichkeiten gibt es, diese Puzzle-Teile zu einem Quadrat zu arrangieren? Lässt sich die Anzahl dieser Möglichkeiten berechnen? – Das ist eine Aufgabe aus dem Bereich der Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Bisher glaubte man, Fermat und Pascal seien die ersten gewesen, die sich mit solcherlei Fragen beschäftigt haben: zwei französische Denker aus dem 17. Jahrhundert.
Dieses Buch handelt von der Odyssee eines Buches, sie ist so spannend erzählt wie ein Krimi: nach einer glänzenden Dramaturgie. Dieses Buch handelt aber auch von der Schönheit der Mathematik. Da packt einen die Lust am Knobeln, selbst wenn Mathe nicht eben unser Lieblingsfach in der Schule gewesen ist. Ein leichtfüßiger Stil, eine glänzende Übersetzung – man kann dieses Buch nur empfehlen.
Rezensiert von Susanne Mack
Reviel Netz/William Noel: Der Kodex des Archimedes. Das berühmteste Palimpsest der Welt wird entschlüsselt
Übersetzt von Thomas Filk
C.H. Beck Verlag 2007
302 Seiten, 19,90 Euro