Von der Schmuddelbranche zum Kulturgut - Computerspiele

Computerspiele werden immer beliebter. Jeder dritte Deutsche spielt regelmäßig digitale Spiele auf PC, Konsole oder Handy, bei den 14- bis 29-Jährigen sind es sogar 57 Prozent. Die Branche hat eine wundersame Wandlung durchgemacht: Wurden Computerspiele noch vor wenigen Jahren als Gewalt verherrlichend und gefährdend beäugt, haben sie mittlerweile die Karriereleiter bis hin zum "Kulturgut" erklommen.
Nach zähen Verhandlungen wurde der Bundesverband der Entwickler von Computerspielen G.A.M.E vor kurzem als Mitglied in den Deutschen Kulturrat aufgenommen. Die Computerspielbranche ist zusammen mit der Filmindustrie der umsatzstärkste Zweig der Kulturindustrie, im vergangenen Jahr wurden 2,3 Milliarden Euro umgesetzt.

Für Stephan Reichart sind Computerspiele längst im Medienalltag und damit auch in der Kultur angekommen. Der Geschäftsführer von G.A.M.E leitet selbst eine Firma, die Computerspiele herstellt. Zudem organisiert er regelmäßig Konferenzen rund um das Thema Computerspiele.

"Für mich sind sie deshalb ein Kulturgut, weil wir darin alle Elemente wiederfinden, die wir auch in den klassischen Medien finden können. Wie im Film zum Beispiel die Erzählperspektive, die Technik. Tatsächlich arbeiten sogar die gleichen Menschen an Filmen und an Spielen. Zum Beispiel bei ´Der Herr der Ringe`, das ist eins zu eins gleich. Da ist ein richtig großes Orchester, das die Musik eingespielt hat. Das ist ein Kulturerlebnis!"

Ob man es wolle oder nicht, Computerspiele wie Counterstrike oder auch World of Warcraft hätten eine große gesellschaftliche Bedeutung. "Counterstrike ist ein Kulturgut, weil es eine große Kultur um das Spiel herum gibt. Das ist wie bei der Popkultur, die gab es, weil sich viele dafür interessierten. Oder das Moorhuhn: Ist Moorhuhn Kultur? Ja, denn es gibt Moorhuhn-Meisterschaften, Veranstaltungen jeglicher Art, jede Menge Gimmicks. Counterstrike ist eine Plattform – da muss Aktion ergriffen werden. Für viele ist es trotzdem ein Baller- und Shooterspiel. Aber der französische Autorenfilm wird vielen auch immer verschlossen bleiben. Man darf nur eines nicht vermischen Kunst und Kultur. Kunst gibt es nur wenig."

Für Stephan Reichart gibt es längst die "Generation Game", eine Generation, für die Computerspiele zum Alltag gehören. Er sieht aber auch eine Kluft zwischen den Generationen, die es zu schließen gilt. Die Kinder seien den Eltern technisch meist haushoch überlegen:

"Das ist das Schwierige im Verhältnis von Eltern und Kindern: Das Kind erlebt, ich bin derjenige, der die Technik beherrscht, dass ich den Eltern helfen kann. 20 Jahre reichen heute aus, um enorme technische Unterschiede auszumachen. Die Kiddies können einfach mehr und das ist extrem bestärkend. Das andere ist aber, dass die Eltern nicht vor der Technologie kapitulieren dürfen. Sie lassen die Kinder oft mit Dingen allein, die sie nicht begreifen und beherrschen können. Man kann Menschen nicht zwingen, Spaß am Computer zu haben, aber ein Verständnis sollte schon da sein, für das, was die Kinder da machen. Und es sollte nicht diese Koketterie geben – davon verstehe ich eh` nichts. Spielerisch zu lernen, mit Technik umzugehen, hilft auch, andere Dinge zu lernen, mit Programmen umzugehen."

Wie können wir diese digitale Kluft zwischen den Generationen schließen?

Diese Frage beschäftigt auch Prof. Dr. Winfred Kaminski. Der Direktor des Instituts für Medienforschung- und Medienpädagogik leitet seit 2006 den "Spielraum" an der Fachhochschule Köln. Hier können sich Lehrer, Erzieher, aber auch Eltern rund um das Thema Computer- und Videospiele informieren.

Seine Beobachtung: "Man kann in der heutigen Generation sehen, dass sie von Eltern stammen, die in ihrer Kindheit zum ersten Mal mit Computerspielen umgegangen sind, diese Kinder haben die Spielsozialisation von ihren Eltern übernommen. Aber es gibt auch immer noch die älteren Eltern, die dem Thema mit Erstaunen, Entfremdung und Ablehnung gegenüberstehen. Sie kennen keine Verlage, keine Heroes. Nur, so kann man nicht erziehen, man muss mit Anerkenntnis erziehen, nicht mit dem Gefühl von Gefährdung und Gefahr."

Er plädiert für einen offenen Umgang mit den neuen Medien – sowohl im Privaten, als auch in der Schule: "Man muss die Spiele ernst nehmen und darf nicht in eine Abwehrhaltung verfallen. Immerhin bringen die Jugendlichen eine ungeheuere Zeit auf, die Spielwelten aufrechtzuerhalten. Das kann man schulisch nutzen. Die verbreitete Position ist jedoch nach wie vor die einer Vorbehaltlichkeit und Ängstlichkeit, aus Nichtwissen heraus. Die heutige Kinderkulturwelt ist eine Medienwelt, darin machen die Computerspiele ein Element aus."

Der "Spielraum" präsentiert sich derzeit auch auf der "Games Convention" in Leipzig, der größten europäischen Messe für interaktive Unterhaltung. Direkt aus der gläsernen Messehalle wird sich auch Stephan Reichart an unserem Gespräch beteiligen.

"Von der Schmuddelbranche zum Kulturgut – Computerspiele" - darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit dem Computerpiel-Experten Stephan Reichart und dem Medienforscher Winfred Kaminski. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/2254-2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet:
Über den "Spielraum": www1.fh-koeln.de/spielraum
Über Stephan Reichart: www.game-bundesverband.de