Von der Repräsentation zur Lust

Seit Jahrhunderten zeigen Frauen mithilfe modischer Kleidung, wer sie sind - und wer sie gerne sein möchten. Anhand von Werken berühmter Maler sowie Mode-Illustrationen beschreibt die Kulturwissenschaftlerin Gertrud Lehnert in ihrem Buch, wie sich die weiblichen Selbstentwürfe im Laufe der Zeit verändert haben.
Eine "Modistin" eilt im Korsettkleid über den Pariser Champs-Elysées, eine "Femme Fatale" posiert im tief dekolletierten Abendkleid, eine sportliche "Garconne" beobachtet im Tennis-Dress ein Turnier – stilsichere Frauen sind bis heute ein beliebtes Sujet der Malerei. Gertrud Lehnert verfolgt die Darstellung modisch gekleideter Frauen in Gemälden aus dem 18. bis 20. Jahrhundert:

"Im 18. Jahrhundert wandelte sich Mode von einer vorwiegend repräsentativen Verpflichtung bei Adel und Großbürgertum zu jener Lust, sich selbst als besonders und einzigartig zu fühlen, und das modisch zur Geltung zu bringen",

schreibt Lehnert in ihrem Vorwort.

Dieser Wandel von der Repräsentation zur Lust bestimme unseren Umgang mit Mode bis heute. Wer sich modisch kleidet, schlüpft dabei auch in verschiedene Identitäten - die ersten Modelle von Charles Frederick Worth, der Mitte des 19. Jahrhunderts die Haute Couture erfand, entwarfen ein anderes Frauenbild als Coco Chanels klassisch-reduziertes Design zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

In vier Kapiteln erzählt Gertrud Lehnert, welche weiblichen "Identitäten" in Gemälden und Modezeichnungen zum Ausdruck kommen. Beginnend mit Bildern über den intimen "Blick in den Spiegel" verfolgt die Autorin die "Suche nach dem schönsten Kleid" in den Kaufhäusern und Konsumtempeln des 19. Jahrhunderts, die zum Beispiel Félix Vallottons Holzschnitte aus dem Pariser Warenhaus "Bon Marché" zeigen.

Das Kapitel "Müßige Momente" widmet sich der Erfindung des Sports als Freizeitbeschäftigung oder der städtischen Promenade, die Frauen erstmals die Gelegenheit gab, ohne männliche Begleitung im öffentlichen Raum aufzutreten. Das dynamische Bild "Les Dames Goldsmith au Bois de Boulogne en 1897 sur une voiturette" des amerikanischen Malers Julius Le Blanc Stewart etwa zeigt zwei Frauen in sportlichen Kostümen hinter dem Steuer eines der ersten Automobile bei einer Spritztour.

Höhepunkt und Abschluss des Buchs bilden die "Großen Auftritte", die Frauen in aufwendigen Abendkleidern und kostbaren Garderoben zeigen.

Gertrud Lehnerts "Frauen mit Stil" lebt von den vielen Abbildungen, die allesamt in Farbe abgedruckt sind. Die Gemälde, Holzschnitte, Lithographien und Modezeichnungen erzählen die Geschichte der weiblichen Mode, die auch eine Geschichte der weiblichen Emanzipation ist.

Leider zieht die Autorin die Bilder heran, ohne den jeweiligen kunstgeschichtlichen Kontext zu hinterfragen. So wirkt es, als wären die Kunstwerke "wahrheitsgetreue" Abbildungen der Mode; zeitgebundene Konventionen der Darstellung bleiben außen vor.

Trotzdem: Durch ihre gelungene Auswahl der Werke erzählt Gertrud Lehnert eine überzeugend stimmige Geschichte der Mode, die eine Vielzahl weiblicher Identitäten hervorgebracht hat – im Ergebnis ein farbenprächtiges Schmuckstück für den Couchtisch.

Besprochen von Tabea Grzeszyk

Gertrud Lehnert: Frauen mit Stil. Modeträume aus drei Jahrhunderten.
Elisabeth Sandmann-Verlag, München 2012, 160 Seiten, 24,95 Euro


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