Von der Logik der Neurose

Gnadenlos seziert sie ihre Protagonisten im Kampf gegen die Widrigkeiten des Lebens - ihre kleinen und großen Neurosen - und trifft damit einen Nerv: Miranda Julys neues Buch "Zehn Wahrheiten" gewinnt der Verzweiflung ihre komischen und der Sehnsucht ihre bizarren Seiten ab.
Miranda July ist überall: Als Künstlerin, als Filmemacherin und nun auch als Autorin wird sie international mit Lob überschüttet. Die 33-Jährige mit den großen kindlichen Augen trifft offenkundig einen Nerv, wenn sie die Herausforderungen, die das Leben für reflektierte Neurotiker bereithält künstlerisch bearbeitet - in welchem Medium auch immer.

In ihrem Kunstprojekt "Learning to Love You More" tut sie dies sogar mit einem offensiv therapeutischen Ansatz, der einerseits naiv, andererseits völlig absurd und ironisch übermittelt wird. Auch in ihren - inzwischen auf deutsch erschienenen - Short Stories werden verschiedene an sich selbst zweifelnde Ichs und deren fragiles Verhältnis zu Welt und Mitmenschen vorgestellt.

Was einen als Leser dabei vor allem in den Bann schlägt, ist die schräge Selbstachtung ihrer Figuren, ihre existenzielle Tapferkeit angesichts der Widrigkeiten, die ein glückliches Leben verhindern.

Da ist eine Frau, die ihre Sexualität nur aus zweiter Hand lebt, indem sie sich von ihrer Schwester deren - mutmaßlich imaginäre - Erlebnisse erzählen lässt. Gegenstand der Erzählung ist ihr erster Schritt in die richtige Richtung; aber den macht sie so ungeschickt, als wünsche sie gar keinen Erfolg. Diese Logik der Neurose, die Selffulfilling Prophecy des Untergangs zelebriert July in fast all ihren Geschichten. Und trotzdem wird man als Leser nicht von Melancholie ergriffen, sondern von einer großen Lust zu lachen. Selten liest sich Verzweiflung so komisch, selten Sehnsucht so bizarr.

Miranda July seziert die Dynamik von Selbsthilfegruppen und nächtlichen Schlafstörungen mit gnadenlosem Realismus; aber dahinter steht das ganz und gar nicht realistische Erleben ihrer in steter Selbstbeobachtung befangenen Figuren. Sie fängt Situationen, Gefühle, Personen mit Worten ein, die so wenig elegant sind wie die Mädchenkleider, in denen sie selbst sich gerne in der Öffentlichkeit präsentiert.

Aber die Worte sind treffend, funkelnd vor Selbstironie. Manchmal fühlt man sich an die selige Jane Bowles erinnert, die originellste Erzählerin fehlgegangener weiblicher Liebes- und Lebensgeschichten, die Amerika je hatte.

Da ist eine Person, der das Großartigste im Leben passiert: eine Ehrung, ein Fest, der Wendepunkt im Leben, sie wird von allen geliebt. Und was tut sie? Sie fährt nach Hause, um ihre E-Mails zu checken.

Rezensiert von Katharina Döbler

Miranda July: Zehn Wahrheiten. Stories
Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann
Diogenes Verlag, Zürich 2008
272 Seiten, 18,90 Euro