Von der Leyen will Rechte von Kindern stärken
Bundesfamilieministerin Ursula von der Leyen (CDU) sieht in der laufenden Legislaturperiode eine Chance zur Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung. Zugleich räumte sie ein: "Ich kann aber nicht voraussagen, ob wir diese Chance ergreifen werden." Es gebe auf Seiten der Befürworter und Gegner gute Argumente.
Deutschlandradio Kultur: Sie singen gerne, Frau von der Leyen, ich habe gelesen, besonders gern Mozarts Ave veum. Singen Sie auch mit, wenn Sie im Radio Grönemeyers Song "Kinder an die Macht" hören?
Ursula von der Leyen: Ich weiß nicht, ob ich diese Tonlage von Herrn Grönemeyer, der ja eine ganz prägnante Stimme hat, so ohne Weiteres treffen würde. Aber in der Tat, ich singe gerne.
Deutschlandradio Kultur: Er singt von "Kinder an die Macht". Das ist ein Thema, das demnächst auch bei Ihnen im Ministerium sicherlich von Bedeutung sein wird. Die Diskussion um Kinderrechte ins Grundgesetz läuft heiß. Der SPD-Parteichef macht Vorschläge. Die FDP macht welche, die Linke, die SPD im Ganzen, Sie sind da etwas zögerlicher. Wann setzen Sie sich vorn auf den Zug und sagen, wir machen da mit?
von der Leyen: Meine Position ist, glaube ich, seit Langem bekannt. Ich habe sie mehrfach auch öffentlich geäußert, nämlich dass ich sehr wohl Sympathie für diesen Gedanken habe. Ich weiß, dass es da unterschiedliche Meinungen der Juristen gibt. Juristen sagen, Kinder sind Menschen und deshalb haben sie die vollen Menschenrechte. Klar, das ist richtig. Aber ein Menschenrecht ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Ich denke, dass Kinder ganz spezifische Bedürfnisse und damit auch Rechte haben müssen, die ihnen überhaupt erst die Möglichkeit geben, später ihre Persönlichkeit frei zu entfalten und am Leben teilzuhaben. Zwei Dinge sind mir ganz wichtig. Das ist die frühe Förderung, also der Zugang zu Bildung, und eine liebevolle Erziehung, also gewaltfrei. Wenn Kinder in der Kindheit keine Bildung hatten und Gewalt erlebt haben, ist es sehr schwer, wenn sie erwachsen sind, ihre freie Persönlichkeit zu entfalten und wirklich teilzuhaben am Leben.
Deutschlandradio Kultur: Wenn es Kinderrechte geben würde als Grundrecht, wäre das mehr als Symbolik?
von der Leyen: Nun, das Grundgesetz ist deutlich mehr als Symbolik, denn das Entscheidende am Grundgesetz ist, es sind die großen entscheidenden Leitplanken dessen, was wir wollen und was wir für richtig halten. Und es strahlt ganz stark auf die anderen Rechtsgebiete aus. Das ist der entscheidende Punkt wiederum für Juristen, nämlich das Ausstrahlen dessen, was man im Grundgesetz verankert hat, auf die vielen anderen Rechtsgebiete, die sich dann im Detail mit den Themen beschäftigen.
Deutschlandradio Kultur: Um diese Grundgesetzänderung hinzubekommen, braucht man eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Sehen Sie die Möglichkeit, dass es das in der laufenden Legislaturperiode noch geben wird?
von der Leyen: Ich glaube, die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben zu recht eine so hohe Hürde zur Veränderung des Grundgesetzes aufgebaut. Das heißt, man muss ganz viele mitnehmen, eine breite Mehrheit haben. Deshalb ist es, glaube ich, auch gute Kultur, unaufgeregt zu werben für die eine oder andere Haltung. Man darf nicht polarisieren, man darf nicht spalten, man darf niemanden in die Ecke stellen. Es gibt gute Argumente auf beiden Seiten. Es gibt eine Chance in dieser Legislatur. Ich kann Ihnen nicht voraussagen, ob wir diese Chance ergreifen werden und ob das möglich ist. Denn das ist ein Prozess, hinter den sich viele stellen müssen.
Deutschlandradio Kultur: Wir reden ja im Moment verstärkt über dieses Thema wegen der Häufung von Kindstötungen in den letzten Wochen und vor allem auch immer mehr Fällen von Kindesmisshandlungen, die bekannt werden aus unterschiedlichen Gründen. In der kommenden Woche soll ein Kindernotgipfel stattfinden unter der Leitung der Bundeskanzlerin. Welche Vorschläge für die Verbesserung der Situation kommen aus Ihrem Ministerium?
von der Leyen: Ich möchte vielleicht vorweg stellen, was mich irritiert an der Diskussion über die Kinderrechte ist immer die Vermischung mit der Kindstötung der letzten Wochen. Wenn wir von Kinderrechten sprechen, sprechen wir von allen Kindern und allen Eltern. Die Kinderrechte stellen auch niemals die enge, wichtige Beziehung von Kind und Eltern infrage. Sie sind nicht gegen die Eltern gerichtet. Deshalb trenne ich auch die Diskussion des Kinderschutzes, den wir heute ganz konkret vor Ort machen müssen, in die Familien hineingehen, von der Frage des Grundgesetzes.
Auf Ihre Frage, was müssen wir tun: Wir sehen, dass Kinder Verwahrlosung und Vernachlässigung ausgesetzt sind, wenn bestimmte Risiken in den Familien da sind. Die Kindstötungen haben nicht zugenommen, aber sie sind die Spitze des Eisberges. Dahinter verbirgt sich Verwahrlosung, Misshandlung, Vernachlässigung. Überzufällig häufig finden wir diese Phänomene in Familien, wo es eine bestimmte Summe von Risiken gibt. Das beginnt bei psychiatrischen Erkrankungen der Eltern, also Wahnvorstellungen oder Depressionen. Das geht weiter mit schweren sozialen Problemen, von der Armut, insbesondere Bildungsarmut über Isolation von Familien, langer Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfeabhängigkeit. Das geht weiter über das Thema innerfamiliäre Gewalt. Das ist ein ganz wichtiges Thema. Oft misshandeln Eltern ihre Kinder, die selber als Kinder misshandelt worden sind. Also, sie können gar nicht liebevoll mit den Kindern umgehen, weil sie selber niemals Liebe erfahren haben. Es gibt Themen wie Sucht, Alkohol- und Drogenabhängigkeit. Teenager-Schwangerschaften sind hoch gefährdet. Das heißt, diese Zeichen früh erkennen und dann auch handeln, idealerweise bei Schwangerschaft oder bei der Geburt eines Kindes schon, und diese Familien nicht aus den Augen lassen. Denn wir wissen, dass typischerweise aus diesen Problemen, wenn die Eltern hoch überfordert sind, die Spirale von Isolation und dann Gewalt gegen das Kind wächst.
Der zweite Punkt ist: Wie können wir sie begleiten? Da ist wichtig, dass unsere gut funktionierenden Systeme wie Gesundheitswesen und Jugendhilfe viel enger miteinander zusammenarbeiten. das Gesundheitswesen mit seinem Blick auf die gesunde Entwicklung des Kindes, aber die Jugendhilfe mit ihrem Blick auf die vor allen Dingen auch psychische Entwicklung des Kindes, die Interaktion in der Familie. Beide müssen sich zusammensetzen und Daten untereinander austauschen, über Familien sprechen, damit sichergestellt ist: Wer schaut morgen nach dem Kind?
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, das Netz der Kontrolle muss vielleicht enger werden.
von der Leyen: Ich würde es nicht gern Netz der Kontrolle, sondern Netz der Hilfe nennen.
Deutschlandradio Kultur: Kann man das auch über Pflichtuntersuchungen machen. Das fordert z.B. die CSU: Wir machen das regelmäßig, dann wissen wir, was mit diesen Kindern passiert. Das wissen Sie als Ärztin wahrscheinlich auch. Und dann machen wir das, über Jahre begleitet, können wir Gefahren erkennen. Das unterstützen Sie doch nicht aus vollem Herzen, soweit ich das richtig verstanden habe.
von der Leyen: Wir haben einen juristischen Streit darüber gehabt. Wo muss das verankert werden? Ganz klar ist, da bin ich hocherfreut, dass jetzt die meisten Bundesländer diesen Weg gegangen sind, der Schlüssel zur Lösung – in den Ländern nämlich, dass ein verbindliches Einladewesen eingeführt wird, das ganz einfach sagt: Wir laden alle Eltern zu Vorsorgeuntersuchungen ein. Man muss hier auch ganz deutlich sagen, die überwiegende Mehrzahl, 90 %, kommt, und zwar gerne. Wer nicht kommt, das kann man ganz leicht im Melderegister abgleichen, da wird ein zweites Mal aufgefordert. Und dann geht das Jugendamt hin und guckt nach. Die Erfahrung haben wir jetzt im Saarland seit einiger Zeit. Mir sagen die Saarländer: Von den Nachzüglern kommen bei der zweiten Aufforderung 90 % sofort und sagen, oh Gott, ich war in Urlaub, ich hab's vergessen, danke, dass Sie mich benachrichtigt haben. Bei den restlichen 10 % ist es gut, dass das Jugendamt sofort in der Familie ist, denn die brauchen deutlich mehr Hilfe.
Deshalb will ich sagen: Die Vorsorgeuntersuchungen sind ein ganz wichtiger Baustein, aber sie sollten uns auch nicht in falscher Sicherheit wiegen. Denn zwischen den Vorsorgeuntersuchungen liegen Hunderte von Tagen. Und in diesen Tagen muss man sich auch kümmern. Also, nur das Thema Vorsorgeuntersuchung und damit wäre das Problem gelöst, so einfach geht es nicht.
Deutschlandradio Kultur: Die Bundesjustizministerin plant jetzt neue Möglichkeiten für Familiengerichte. Dazu gehört z.B., dass Sie sagt: Wer nicht zu diesen Vorsorgeuntersuchungen geht, muss mit einem Eingriff des Familiengerichtes in das Sorgerecht rechnen. Geht Ihnen das dann zu weit? Das ist ja eine Sanktion.
von der Leyen: Na, das ist aber die Kaskade, die wir für richtig halten. Noch mal: Die überwiegende Mehrheit ist sogar froh über die Vorsorgeuntersuchungen. Diejenigen, die wirklich notorisch nicht hingehen – und da ist dann eben auch ein Grund, warum sie nicht hingehen, weil sie ganz wenig Fürsorgeverhalten für die Kinder haben, oft auch verdecken wollen, dass es den Kindern nicht gut geht. Da ist es dann schon gerechtfertigt, dass der Staat auch sein Wächteramt ausübt, die Gesellschaft sich kümmert. Und dazu gehört – von der Jugendhilfe bis hin zum Familiengericht – das, was wir auch als Wächteramt des Staates eingerichtet haben.
Deutschlandradio Kultur: Schaffen wir das mit dem Personal, das wir im Moment haben? Brauchen wir nur die bessere Vernetzung? Oder brauchen Sie auch zusätzlich Geld und Personal, um diese Sicherheit auch haben zu können?
von der Leyen: Wir brauchen in der Tat ein gut funktionierendes Gesundheitswesen – Kinderärzte, Hebammen, Geburtshelfer. Wir brauchen ein gut ausgestattetes Jugendhilfewesen. Dies ist nun eine sehr spezielle Frage für die Jugendhilfe, die rein kommunal organisiert ist. Ich beobachte, dass ein Umdenken in der Jugendhilfe in den Kommunen stattfindet, nämlich dass immer mehr auch die Überzeugung wächst: Wenn wir am Anfang auch personal-, zeit- und kostenintensiv die Kinder schützen und sie wachsen heran zu starken Kindern, dann zahlt sich das um ein Vielfaches in der Kommune aus. Mal anders rum übersetzt: Wenn wir das nämlich nicht tun, dann zahlen wir später richtig drauf, entweder durch die Heimeinweisung, die steigende Jugendkriminalität, die Schulabbrecher mit all den Konsequenzen der jugendlichen Arbeitslosen. Und das wird für eine Kommune auch viel, viel teurer. Es wird vor allen Dingen schmerzlich für eine Gesellschaft. Insofern, diese frühe Investition ist richtig.
Ich will allerdings auch sagen, nur Geld allein ändert nichts. Sondern wir müssen uns auch fragen, wo waren bisher die Fehler? Die Fehler waren, die Risiken nicht früh genug erkennen und zweitens die Netze zwischen den Professionen nicht dicht genug knüpfen.
Deutschlandradio Kultur: Ihre Partei, die CDU, Frau von oder Leyen, hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten ein neues Familienbild erarbeitet, gegeben, wie immer man das sagen will. Krista Sager von den Grünen sagt, Sie hätten eine Modernisierungsblockade in der Union gelöst. Ist die Union sozusagen jetzt in der Realität angekommen?
von der Leyen: Also, ich habe einen faszinierenden Prozess, auch sehr begleitet von ganz vielen Mitgliedern an der Basis, erlebt, dass wir in der Regierungsverantwortung diese Kraft entwickelt haben zu sagen, lasst uns schauen, was die Wirklichkeit ist. Lasst uns fragen, warum immer weniger Kinder geboren werden. Meine Antwort ist, weil die jungen Menschen nicht die Perspektive mit den Kindern gesehen haben. Und lasst uns die Hürden abbauen, die diese jungen Menschen haben.
Erste Hürde war: Was passiert, wenn ein Kind geboren ist? Dann bricht als erstes mein Einkommen weg. Das haben wir geändert durch das Elterngeld. Zweite wichtige Hürde ist: Wenn ich zurück in den Beruf möchte, dann brauche ich gute Kinderbetreuung. Wenn ich nirgends etwas finde, sondern ellenlange Wartelisten habe für mein Zweijähriges, dann habe ich keine Chance mehr im Beruf. Auch diese Hürde bauen wir jetzt ab. Das heißt, ganz pragmatisch und lebensnah, die Hürden und Probleme abbauen, die sich für junge Menschen stellen, wenn sie das Beste tun wollen, was eigentlich diesem Land passieren kann, nämlich Kinder in die Welt setzen und sich verantwortlich um diese Kinder auch kümmern, das heißt auch, langfristig das gesicherte Einkommen für diese Familien verdienen.
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie das so beschreiben, hört sich das so an, als ob die CDU, die gesamte Partei, mit wehenden Fahnen hinter Ihnen hergelaufen wäre. So ist es nicht ganz. Beispielsweise sagt Stefan Mappus, das ist der CDU-Fraktionsvorsitzende im baden-württembergischen Landtag, Sie würden die Fundamente der CDU wegreißen.
Es gibt also einen konservativen Flügel, und der ist beträchtlich, der nicht unbedingt Ihren Vorstellungen von Familienpolitik folgt. Lassen Sie den einfach rechts, links, wo auch immer liegen und sagen: Nein, wir brauchen neue Ziele. Oder wie nehmen Sie die mit?
von der Leyen: Ich habe gespürt in der Tat in den letzten Wochen und Monaten, dass zum Teil auch Verunsicherung da war, weil sich so viele Bewegung, Dynamik, Veränderung zeigte, allerdings muss man auch sagen, mit einem großen Rückhalt in der Bevölkerung, wir haben ganz hohe Zustimmungswerte. Mich hat immer fasziniert, dass die Bevölkerung weiter ist als die Politik und eigentlich die Haltung hatte, ja, macht doch, wir brauchen es doch!
Aber ich weiß auch, dass meine Aufgabe ist zu überzeugen, dass wir verändern und modernisieren müssen, gerade wenn wir konservative Werte erhalten wollen, nämlich die Werte, an denen uns liegt – Familienwerte, Verantwortung für andere übernehmen, verlässlich sein, sich zwischen den Generationen füreinander einsetzen. Das sind ganz klassische tradierte Werte, aber sie brauchen einen ganz modernen Rahmen, dass Menschen sich aufmachen, diese Werte auch weiterhin zu leben.
Deutschlandradio Kultur: Aber was ist denn das christdemokratische Salz in der Suppe? Das könnte doch auch sozialdemokratische Politik sein?
von der Leyen: Ich mag es immer nicht so gerne, wenn wir Familien auch noch nach Parteien einteilen.
Deutschlandradio Kultur: Nicht die Familien, sondern die Familienpolitik.
von der Leyen: Ja, nur moderne Familienpolitik fragt zunächst einmal danach, was die Menschen brauchen. Und das ist ja auch das Spannende an Parteien. Parteien sind ja auch keine starren Gebilde, sondern die bewegen sich ja weiter. Und man kann es jetzt gerade in der Union sehen. Die Union hat einen Riesenschritt vorangemacht und es steht im Grundsatzprogramm. Also, eine ganze Partei steht jetzt dahinter. Diese Veränderungsprozesse sind notwendig. Ich merke interessanterweise, dass ich im älteren Teil der Union, also 60-Jährige, ganz hohen Zuspruch habe. Wenn sie, diese 60-Jährigen, Töchter und Söhne haben, die um die 30 sind, dann sagen die mir: Wissen Sie, wir haben anders gelebt, meine Frau und ich, als wir jung waren. Aber ich sehe meinen Sohn. Ich sehe meine Tochter. Die haben tolle Berufe. Wir wünschen uns Enkelkinder. Ja, wie soll’s denn gehen? Sie sind auf dem richtigen Weg. Und diesen Pragmatismus, diese Lebenswirklichkeit auch in das Handeln von Parteien hineinzubringen, das sind diese spannenden Prozesse, die vor allem in der Regierung gehen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben eine Familie, das ist auch die Partei neben Ihrer privaten Familie, und die muss mitziehen. Innerhalb der Fraktion hört man zumindest ab und zu Stimmen, die sagen: Die reitet zu schnell voran. Man weiß nicht, wo sie hin will. Sie kommuniziert schlecht. Oder wir verstehen nicht so genau, wo sie hin will.
Gibt es ein Kommunikationsproblem zwischen Ihnen, der Quereinsteigerin, und der Partei?
von der Leyen: Ich glaube, ich habe am Anfang nicht viel Zeit gehabt, einfach weil ich in der Tat relativ neu in dieser Partei auch bin, lange schon Parteimitglied, aber aktiv jetzt relativ neu erst. Aber eigentlich kann man, weil Sie eben das Familienbild auch brachten von Parteien, es mit diesem Familienbild auch beantworten. In jeder Familie ist es so, dass die jüngere Generation verändert. Da gibt’s Reibungen und Diskussionen und Auseinandersetzungen. Aber das schafft ja auch den Zusammenhalt von Familien, wenn es ihnen gelingt, gemeinsam immer wieder den Karren voranzuziehen. Jeder, der zum Beispiel einen Hof hat oder einen Betrieb, wenn der in die nächste Generation übergeht, dann gibt es natürlich Veränderungen. Aber das Ziel muss das gleiche sein, dass man alle mitnimmt. Und das ist im Augenblick meine Aufgabe.
Deutschlandradio Kultur: Aber der Fraktion könnten Sie im Grunde ja auch sagen: Guckt euch das an, der Erfolg gibt mir recht. Sie sind ja wahrscheinlich die einzige Ministerin, die sich freut, dass sie ihren Etat überzogen hat.
von der Leyen: Wenn Sie jetzt das Elterngeld ansprechen, dann – in der Tat – muss ich sagen, das ist das Beste, was diesem Land, was übrigens auch dem Finanzminister und mir passieren konnte, dass das Elterngeld, in diesem Jahr neu eingeführt, nicht reicht. Denn es reicht nicht, weil die jungen Menschen mehr Kinder gekriegt haben, als wir vorausberechnet haben, und vor allem, weil die jungen Väter sich mehr Zeit für ihre Neugeborenen nehmen. Und das ist ein fantastisches Signal eigentlich auch der jungen Väter, dass sie bereit sind Verantwortung zu übernehmen. Wir sehen, dass in der Vergangenheit auch viele junge Männer auf Kinder verzichtet haben, weil sie sagten, wenn ich keine Zeit für mein Kind habe neben dem Beruf, dann will ich gar kein Kind, bevor ich ein schlechter Vater bin. Dieses zu verändern, das hat das Elterngeld mit sich gebracht. Und offensichtlich war das wie ein Ventil auch für die jungen Menschen, darauf zu reagieren.
Deutschlandradio Kultur: Das sind die erfreulichen Schlagzeilen der letzten Tage und Wochen. Es gibt aber immer wieder diese negativen, dass die Zahl der Kinderarmut trotz Aufschwung in den letzten Jahren immer größer wird. Mittlerweile reden wir von 2,5 Mio. Kindern, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Vernünftige und verantwortliche Familienpolitik müsste hier ganz schnell massiv eingreifen. Was können Sie als Familienministerin tun, damit dieses Elend zumindest etwas abgemildert werden kann?
von der Leyen: Kinderarmut hat zwei oder drei große Gründe. Der erste Grund ist, nicht Kinder selber machen arm, sondern Kinder leben in Armut, wenn ihre Eltern keine Arbeit haben. Das betrifft vor allem die große Gruppe der Alleinerziehenden, die in Hartz IV z.B. sind, weil sie keine Chance haben ein Arbeitsangebot anzunehmen, weil keine Kinderbetreuung da ist. Wir haben 75.000 Alleinerziehende mit Kindern unter drei Jahren, von denen 60.000 arbeiten wollen und auch arbeiten könnten, weil sie ein Angebot haben, aber sie finden keine Kinderbetreuung. Deshalb wird so deutlich, wie richtig und hilfreich es ist, Kinderbetreuung jetzt auszubauen, und zwar schneller, mit kräftigen Schritten.
Dann gibt es eine zweite Gruppe der armen Kinder, die leiden an vererbter Armut – Bildungsarmut ist da. Da ist über Generationen die Familie abhängig von Sozialhilfe. Diesen Kindern hilft vor allem, früh die Tür zu öffnen zu Bildung, zu Sprache, Teilhaben an der Gesellschaft. Das ist der einzige Weg raus, dass sie selber eine gute Schullaufbahn haben, einen Beruf finden, ergreifen können und in der nächsten Generation ihre Kinder selbst ernähren können, also, dass dieser Teufelskreis der Armut durch Bildungsarmut durchbrochen wird.
Deutschlandradio Kultur: Und wie schaffen Sie das?
von der Leyen: Ich glaube, da ist eben auch ganz entscheidend der Ausbau der Kinderbetreuung, den wir so leidenschaftlich diskutiert haben dieses Jahr. Der ist nicht nur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Er ist auch große Chance für Kinder, die mehr Förderung brauchen. Wenn Plätze, und zwar qualitativ gute, da sind, dann kann man eben früher und häufiger sagen: Dieses Kind muss tagsüber mit anderen Kindern spielen, sprechen, die Welt erforschen, nicht vorm Fernseher geparkt werden.
Deutschlandradio Kultur: Das spricht aber auch gegen das Betreuungsgeld.
von der Leyen: Ja, wir können gleich übers Betreuungsgeld sprechen. Ich möchte den dritten Punkt der Kinderarmut sagen, weil der mir wichtig ist. Es gibt eine dritte Gruppe. Das ist die kinderreiche Familie. Auch wenn Vater und Mutter fleißig arbeiten, weil so viele Köpfe da sind, reicht auch das Einkommen nicht. Hier gibt es zwei Instrumente, die wir im Augenblick bearbeiten, wo wir also ganz konkret auch noch besser werden müssen. Das erste ist der Kinderzuschlag für diejenigen, die ihr Einkommen für sich als Vater und Mutter verdienen können, aber wo es für die Kinder nicht mehr reicht, da einen Kinderzuschlag, damit sie gut weiterarbeiten, das ist ein gutes Vorbild auch für die Kinder, aber nicht mehr zusätzlich Hartz IV beziehen müssen. Oder für diejenigen, die mehrere Kinder haben, ein gestaffeltes höheres Kindergeld. Das stützt die, die viele Kinder haben und kleine Einkommen.
Deutschlandradio Kultur: Was Sie eben unter Punkt 2 genannt haben, widerspricht eigentlich dem Betreuungsgeld.
von der Leyen: Wir haben klare Schritte für das Betreuungsgeld verabredet. Jetzt kommt das Wichtigste zuerst, nämlich Ausbau der Kinderbetreuung, wo wir Riesennachholbedarf haben auch international. Bis zum Jahr 2013 wird das geschafft sein. Im Jahr 2013: Einführung eines Rechtsanspruchs für die Kinderbetreuung. Dann soll auch ein Betreuungsgeld kommen. Dann werden wir diskutieren, wie es gelingen kann, einerseits Erziehungsleistung von Eltern wertzuschätzen, aber andererseits auch dafür zu sorgen, dass gerade die Kinder, die dringend unsere Unterstützung brauchen, also, die profitieren, die wirklich gewinnen und aufblühen in einem Kindergarten, dass die auch in den Kindergarten kommen. Dies ist aber eine Diskussion für das Jahr 2012/ 2013. Und dann ist es auch an der Zeit sich anzuschauen, wie die Welt ist.
Deutschlandradio Kultur: Wenn wir von Kinderzuschlägen reden, also von mehr Geld für Familien, für starke Familien, dann können Sie das finanzieren, wenn Sie gute Einnahmen haben im Staat, wenn die Konjunktur läuft, wenn Herr Steinbrück Ihnen Geld gibt. Das kann nicht immer so sein. Möglicherweise ist auch mal die Zeit gegeben, wo Sie umschichten möchten und müssen, damit Sie diese Familien fördern können. Wie machen Sie das dann? Wollen Sie das Ehegattensplitting aufgeben? Wollen Sie die Witwen vielleicht etwas begrenzen, das Geld dahin verteilen, wo Sie glauben, dass es vielleicht sinnvoller angelegt ist? Irgendjemandem wegnehmen, damit es den anderen besser geht?
von der Leyen: Nun, ich habe mich mit Kraft gewehrt in den Anfangsmonaten dieses Jahres, dass z.B. die Kinderbetreuung ausgebaut wird auf Kosten z.B. vom Ehegattensplitting oder durch Kürzung des Kindergeldes, weil ich der festen Überzeugung bin, es kann nicht der allererste Schritt sein, dass – wenn etwas notwendig ist, wie Ausbau der Kinderbetreuung, von der Gesellschaft gemeinschaftlich geschaffen werden soll – Familien dafür zahlen müssen, also, linke Tasche, rechte Tasche.
Deutschlandradio Kultur: Aber Gegenfinanzieren.
von der Leyen: Ja, das ist genau der Punkt. Wir haben sehr viel größere Einnahmen und Etats, als dass man nur gucken muss, wenn etwas Sinnvolles für Familie gemacht wird. Also, z.B. Ausbau der Kinderbetreuung: Da können wir doch nicht sagen, da nehmen wir z.B. Eltern mit Schulkindern Geld weg über eine Senkung des Kindergeldes und stecken es in Kinderbetreuung. Nein, mein Anspruch als Familienministerin ist auch zu sagen: Gesellschaft, wenn uns diese Kinder etwas wert sind, dann muss es uns auch etwas kosten und wir müssen erst mal gucken im großen Allgemeinbudget. Und da, muss ich auch sagen, habe ich eine sehr beeindruckende Unterstützung des Finanzministers dann auch gefunden. Es wäre nie alleine gegangen, sondern es war die gesamte Regierung und dann auch Länder und Kommunen, die zusammengestanden haben und wo sich die Überzeugung durchgesetzt hat, das ist richtig. Wenn wir notwendigerweise jetzt die Kinderbetreuung ausbauen wollen, sollen wir nicht in einen Kleinkrieg verfallen, dass einer gegen den anderen ausgespielt wird, insbesondere Familien gegeneinander, sondern wir investieren real frisches Geld.
Zu Ihrer anderen Frage mit dem Kinderzuschlag: Auch dies ist geklärt. 200 Mio. Euro stehen zur Verfügung zur Verbesserung des Kinderzuschlages. In diesen Schritten sind wir gerade drin.
Deutschlandradio Kultur: Das geht aber wirklich nur in guten Zeiten. Manche in der Opposition sagen, Sie brauchen auch für schlechte Zeiten eine gute Gegenfinanzierung, Vermögenssteuer, irgendwas.
von der Leyen: Aber diese Rechnung ist eine absolute Milchmädchenrechnung. Denn was tue ich mit der Familienpolitik? Ich stärke die Selbständigkeit der Familie, alleine ihr Einkommen zu verdienen. Und durch das selbständige Einkommenverdienen, also, wenn man z.B. Kinderbetreuung hat und man kann selbständig arbeiten, ist als Alleinerziehende nicht mehr auf Hartz IV angewiesen, entlastet es die Sozialsysteme und stärkt die Familie. Und mehr noch: Diese Familien zahlen über Sozialversicherung und Steuern auch wieder in das Allgemeinsystem ein. Das heißt, die richtige fördernde Politik ist, die Familien befähigen, selbständig, unabhängig vom Staat zu arbeiten. Und daraus entsteht Innovation. Daraus entsteht Wohlstand. Das sind die Grundsteine für eine längerfristig bessere Konjunkturentwicklung, die ich im Augenblick versuche zu legen.
Deutschlandradio Kultur: Im Sommer haben Sie alle überrascht mit Ihren Reitkünsten, Frau von der Leyen. Dressur-Olympiasiegerin Isabell Werth hat damals ganz begeistert gesagt: Zur Not könnten Sie auch umsatteln, wenn die Politik Ihnen mal keinen Spaß mehr macht. Nun haben wir bald Weihnachten. Darum die Frage: Macht es noch Spaß oder steht ein Pferd auf dem Wunschzettel?
von der Leyen: Es macht noch Riesenspaß. Obwohl, über so ein kleines Pony könnte ich mich immer noch freuen. Ich weiß, dass Isabell Werth sehr charmant gewesen ist mit ihrer Beurteilung. Nein, es ist eine faszinierende Aufgabe und wie immer bei faszinierenden Aufgaben: Je tiefer ich hinein komme, desto mehr wächst die Leidenschaft eigentlich für das Thema.
Deutschlandradio Kultur: Frau Ministerin, wir danken ganz herzlich für das Gespräch.
von der Leyen: Danke Ihnen.
Ursula von der Leyen: Ich weiß nicht, ob ich diese Tonlage von Herrn Grönemeyer, der ja eine ganz prägnante Stimme hat, so ohne Weiteres treffen würde. Aber in der Tat, ich singe gerne.
Deutschlandradio Kultur: Er singt von "Kinder an die Macht". Das ist ein Thema, das demnächst auch bei Ihnen im Ministerium sicherlich von Bedeutung sein wird. Die Diskussion um Kinderrechte ins Grundgesetz läuft heiß. Der SPD-Parteichef macht Vorschläge. Die FDP macht welche, die Linke, die SPD im Ganzen, Sie sind da etwas zögerlicher. Wann setzen Sie sich vorn auf den Zug und sagen, wir machen da mit?
von der Leyen: Meine Position ist, glaube ich, seit Langem bekannt. Ich habe sie mehrfach auch öffentlich geäußert, nämlich dass ich sehr wohl Sympathie für diesen Gedanken habe. Ich weiß, dass es da unterschiedliche Meinungen der Juristen gibt. Juristen sagen, Kinder sind Menschen und deshalb haben sie die vollen Menschenrechte. Klar, das ist richtig. Aber ein Menschenrecht ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Ich denke, dass Kinder ganz spezifische Bedürfnisse und damit auch Rechte haben müssen, die ihnen überhaupt erst die Möglichkeit geben, später ihre Persönlichkeit frei zu entfalten und am Leben teilzuhaben. Zwei Dinge sind mir ganz wichtig. Das ist die frühe Förderung, also der Zugang zu Bildung, und eine liebevolle Erziehung, also gewaltfrei. Wenn Kinder in der Kindheit keine Bildung hatten und Gewalt erlebt haben, ist es sehr schwer, wenn sie erwachsen sind, ihre freie Persönlichkeit zu entfalten und wirklich teilzuhaben am Leben.
Deutschlandradio Kultur: Wenn es Kinderrechte geben würde als Grundrecht, wäre das mehr als Symbolik?
von der Leyen: Nun, das Grundgesetz ist deutlich mehr als Symbolik, denn das Entscheidende am Grundgesetz ist, es sind die großen entscheidenden Leitplanken dessen, was wir wollen und was wir für richtig halten. Und es strahlt ganz stark auf die anderen Rechtsgebiete aus. Das ist der entscheidende Punkt wiederum für Juristen, nämlich das Ausstrahlen dessen, was man im Grundgesetz verankert hat, auf die vielen anderen Rechtsgebiete, die sich dann im Detail mit den Themen beschäftigen.
Deutschlandradio Kultur: Um diese Grundgesetzänderung hinzubekommen, braucht man eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Sehen Sie die Möglichkeit, dass es das in der laufenden Legislaturperiode noch geben wird?
von der Leyen: Ich glaube, die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben zu recht eine so hohe Hürde zur Veränderung des Grundgesetzes aufgebaut. Das heißt, man muss ganz viele mitnehmen, eine breite Mehrheit haben. Deshalb ist es, glaube ich, auch gute Kultur, unaufgeregt zu werben für die eine oder andere Haltung. Man darf nicht polarisieren, man darf nicht spalten, man darf niemanden in die Ecke stellen. Es gibt gute Argumente auf beiden Seiten. Es gibt eine Chance in dieser Legislatur. Ich kann Ihnen nicht voraussagen, ob wir diese Chance ergreifen werden und ob das möglich ist. Denn das ist ein Prozess, hinter den sich viele stellen müssen.
Deutschlandradio Kultur: Wir reden ja im Moment verstärkt über dieses Thema wegen der Häufung von Kindstötungen in den letzten Wochen und vor allem auch immer mehr Fällen von Kindesmisshandlungen, die bekannt werden aus unterschiedlichen Gründen. In der kommenden Woche soll ein Kindernotgipfel stattfinden unter der Leitung der Bundeskanzlerin. Welche Vorschläge für die Verbesserung der Situation kommen aus Ihrem Ministerium?
von der Leyen: Ich möchte vielleicht vorweg stellen, was mich irritiert an der Diskussion über die Kinderrechte ist immer die Vermischung mit der Kindstötung der letzten Wochen. Wenn wir von Kinderrechten sprechen, sprechen wir von allen Kindern und allen Eltern. Die Kinderrechte stellen auch niemals die enge, wichtige Beziehung von Kind und Eltern infrage. Sie sind nicht gegen die Eltern gerichtet. Deshalb trenne ich auch die Diskussion des Kinderschutzes, den wir heute ganz konkret vor Ort machen müssen, in die Familien hineingehen, von der Frage des Grundgesetzes.
Auf Ihre Frage, was müssen wir tun: Wir sehen, dass Kinder Verwahrlosung und Vernachlässigung ausgesetzt sind, wenn bestimmte Risiken in den Familien da sind. Die Kindstötungen haben nicht zugenommen, aber sie sind die Spitze des Eisberges. Dahinter verbirgt sich Verwahrlosung, Misshandlung, Vernachlässigung. Überzufällig häufig finden wir diese Phänomene in Familien, wo es eine bestimmte Summe von Risiken gibt. Das beginnt bei psychiatrischen Erkrankungen der Eltern, also Wahnvorstellungen oder Depressionen. Das geht weiter mit schweren sozialen Problemen, von der Armut, insbesondere Bildungsarmut über Isolation von Familien, langer Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfeabhängigkeit. Das geht weiter über das Thema innerfamiliäre Gewalt. Das ist ein ganz wichtiges Thema. Oft misshandeln Eltern ihre Kinder, die selber als Kinder misshandelt worden sind. Also, sie können gar nicht liebevoll mit den Kindern umgehen, weil sie selber niemals Liebe erfahren haben. Es gibt Themen wie Sucht, Alkohol- und Drogenabhängigkeit. Teenager-Schwangerschaften sind hoch gefährdet. Das heißt, diese Zeichen früh erkennen und dann auch handeln, idealerweise bei Schwangerschaft oder bei der Geburt eines Kindes schon, und diese Familien nicht aus den Augen lassen. Denn wir wissen, dass typischerweise aus diesen Problemen, wenn die Eltern hoch überfordert sind, die Spirale von Isolation und dann Gewalt gegen das Kind wächst.
Der zweite Punkt ist: Wie können wir sie begleiten? Da ist wichtig, dass unsere gut funktionierenden Systeme wie Gesundheitswesen und Jugendhilfe viel enger miteinander zusammenarbeiten. das Gesundheitswesen mit seinem Blick auf die gesunde Entwicklung des Kindes, aber die Jugendhilfe mit ihrem Blick auf die vor allen Dingen auch psychische Entwicklung des Kindes, die Interaktion in der Familie. Beide müssen sich zusammensetzen und Daten untereinander austauschen, über Familien sprechen, damit sichergestellt ist: Wer schaut morgen nach dem Kind?
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, das Netz der Kontrolle muss vielleicht enger werden.
von der Leyen: Ich würde es nicht gern Netz der Kontrolle, sondern Netz der Hilfe nennen.
Deutschlandradio Kultur: Kann man das auch über Pflichtuntersuchungen machen. Das fordert z.B. die CSU: Wir machen das regelmäßig, dann wissen wir, was mit diesen Kindern passiert. Das wissen Sie als Ärztin wahrscheinlich auch. Und dann machen wir das, über Jahre begleitet, können wir Gefahren erkennen. Das unterstützen Sie doch nicht aus vollem Herzen, soweit ich das richtig verstanden habe.
von der Leyen: Wir haben einen juristischen Streit darüber gehabt. Wo muss das verankert werden? Ganz klar ist, da bin ich hocherfreut, dass jetzt die meisten Bundesländer diesen Weg gegangen sind, der Schlüssel zur Lösung – in den Ländern nämlich, dass ein verbindliches Einladewesen eingeführt wird, das ganz einfach sagt: Wir laden alle Eltern zu Vorsorgeuntersuchungen ein. Man muss hier auch ganz deutlich sagen, die überwiegende Mehrzahl, 90 %, kommt, und zwar gerne. Wer nicht kommt, das kann man ganz leicht im Melderegister abgleichen, da wird ein zweites Mal aufgefordert. Und dann geht das Jugendamt hin und guckt nach. Die Erfahrung haben wir jetzt im Saarland seit einiger Zeit. Mir sagen die Saarländer: Von den Nachzüglern kommen bei der zweiten Aufforderung 90 % sofort und sagen, oh Gott, ich war in Urlaub, ich hab's vergessen, danke, dass Sie mich benachrichtigt haben. Bei den restlichen 10 % ist es gut, dass das Jugendamt sofort in der Familie ist, denn die brauchen deutlich mehr Hilfe.
Deshalb will ich sagen: Die Vorsorgeuntersuchungen sind ein ganz wichtiger Baustein, aber sie sollten uns auch nicht in falscher Sicherheit wiegen. Denn zwischen den Vorsorgeuntersuchungen liegen Hunderte von Tagen. Und in diesen Tagen muss man sich auch kümmern. Also, nur das Thema Vorsorgeuntersuchung und damit wäre das Problem gelöst, so einfach geht es nicht.
Deutschlandradio Kultur: Die Bundesjustizministerin plant jetzt neue Möglichkeiten für Familiengerichte. Dazu gehört z.B., dass Sie sagt: Wer nicht zu diesen Vorsorgeuntersuchungen geht, muss mit einem Eingriff des Familiengerichtes in das Sorgerecht rechnen. Geht Ihnen das dann zu weit? Das ist ja eine Sanktion.
von der Leyen: Na, das ist aber die Kaskade, die wir für richtig halten. Noch mal: Die überwiegende Mehrheit ist sogar froh über die Vorsorgeuntersuchungen. Diejenigen, die wirklich notorisch nicht hingehen – und da ist dann eben auch ein Grund, warum sie nicht hingehen, weil sie ganz wenig Fürsorgeverhalten für die Kinder haben, oft auch verdecken wollen, dass es den Kindern nicht gut geht. Da ist es dann schon gerechtfertigt, dass der Staat auch sein Wächteramt ausübt, die Gesellschaft sich kümmert. Und dazu gehört – von der Jugendhilfe bis hin zum Familiengericht – das, was wir auch als Wächteramt des Staates eingerichtet haben.
Deutschlandradio Kultur: Schaffen wir das mit dem Personal, das wir im Moment haben? Brauchen wir nur die bessere Vernetzung? Oder brauchen Sie auch zusätzlich Geld und Personal, um diese Sicherheit auch haben zu können?
von der Leyen: Wir brauchen in der Tat ein gut funktionierendes Gesundheitswesen – Kinderärzte, Hebammen, Geburtshelfer. Wir brauchen ein gut ausgestattetes Jugendhilfewesen. Dies ist nun eine sehr spezielle Frage für die Jugendhilfe, die rein kommunal organisiert ist. Ich beobachte, dass ein Umdenken in der Jugendhilfe in den Kommunen stattfindet, nämlich dass immer mehr auch die Überzeugung wächst: Wenn wir am Anfang auch personal-, zeit- und kostenintensiv die Kinder schützen und sie wachsen heran zu starken Kindern, dann zahlt sich das um ein Vielfaches in der Kommune aus. Mal anders rum übersetzt: Wenn wir das nämlich nicht tun, dann zahlen wir später richtig drauf, entweder durch die Heimeinweisung, die steigende Jugendkriminalität, die Schulabbrecher mit all den Konsequenzen der jugendlichen Arbeitslosen. Und das wird für eine Kommune auch viel, viel teurer. Es wird vor allen Dingen schmerzlich für eine Gesellschaft. Insofern, diese frühe Investition ist richtig.
Ich will allerdings auch sagen, nur Geld allein ändert nichts. Sondern wir müssen uns auch fragen, wo waren bisher die Fehler? Die Fehler waren, die Risiken nicht früh genug erkennen und zweitens die Netze zwischen den Professionen nicht dicht genug knüpfen.
Deutschlandradio Kultur: Ihre Partei, die CDU, Frau von oder Leyen, hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten ein neues Familienbild erarbeitet, gegeben, wie immer man das sagen will. Krista Sager von den Grünen sagt, Sie hätten eine Modernisierungsblockade in der Union gelöst. Ist die Union sozusagen jetzt in der Realität angekommen?
von der Leyen: Also, ich habe einen faszinierenden Prozess, auch sehr begleitet von ganz vielen Mitgliedern an der Basis, erlebt, dass wir in der Regierungsverantwortung diese Kraft entwickelt haben zu sagen, lasst uns schauen, was die Wirklichkeit ist. Lasst uns fragen, warum immer weniger Kinder geboren werden. Meine Antwort ist, weil die jungen Menschen nicht die Perspektive mit den Kindern gesehen haben. Und lasst uns die Hürden abbauen, die diese jungen Menschen haben.
Erste Hürde war: Was passiert, wenn ein Kind geboren ist? Dann bricht als erstes mein Einkommen weg. Das haben wir geändert durch das Elterngeld. Zweite wichtige Hürde ist: Wenn ich zurück in den Beruf möchte, dann brauche ich gute Kinderbetreuung. Wenn ich nirgends etwas finde, sondern ellenlange Wartelisten habe für mein Zweijähriges, dann habe ich keine Chance mehr im Beruf. Auch diese Hürde bauen wir jetzt ab. Das heißt, ganz pragmatisch und lebensnah, die Hürden und Probleme abbauen, die sich für junge Menschen stellen, wenn sie das Beste tun wollen, was eigentlich diesem Land passieren kann, nämlich Kinder in die Welt setzen und sich verantwortlich um diese Kinder auch kümmern, das heißt auch, langfristig das gesicherte Einkommen für diese Familien verdienen.
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie das so beschreiben, hört sich das so an, als ob die CDU, die gesamte Partei, mit wehenden Fahnen hinter Ihnen hergelaufen wäre. So ist es nicht ganz. Beispielsweise sagt Stefan Mappus, das ist der CDU-Fraktionsvorsitzende im baden-württembergischen Landtag, Sie würden die Fundamente der CDU wegreißen.
Es gibt also einen konservativen Flügel, und der ist beträchtlich, der nicht unbedingt Ihren Vorstellungen von Familienpolitik folgt. Lassen Sie den einfach rechts, links, wo auch immer liegen und sagen: Nein, wir brauchen neue Ziele. Oder wie nehmen Sie die mit?
von der Leyen: Ich habe gespürt in der Tat in den letzten Wochen und Monaten, dass zum Teil auch Verunsicherung da war, weil sich so viele Bewegung, Dynamik, Veränderung zeigte, allerdings muss man auch sagen, mit einem großen Rückhalt in der Bevölkerung, wir haben ganz hohe Zustimmungswerte. Mich hat immer fasziniert, dass die Bevölkerung weiter ist als die Politik und eigentlich die Haltung hatte, ja, macht doch, wir brauchen es doch!
Aber ich weiß auch, dass meine Aufgabe ist zu überzeugen, dass wir verändern und modernisieren müssen, gerade wenn wir konservative Werte erhalten wollen, nämlich die Werte, an denen uns liegt – Familienwerte, Verantwortung für andere übernehmen, verlässlich sein, sich zwischen den Generationen füreinander einsetzen. Das sind ganz klassische tradierte Werte, aber sie brauchen einen ganz modernen Rahmen, dass Menschen sich aufmachen, diese Werte auch weiterhin zu leben.
Deutschlandradio Kultur: Aber was ist denn das christdemokratische Salz in der Suppe? Das könnte doch auch sozialdemokratische Politik sein?
von der Leyen: Ich mag es immer nicht so gerne, wenn wir Familien auch noch nach Parteien einteilen.
Deutschlandradio Kultur: Nicht die Familien, sondern die Familienpolitik.
von der Leyen: Ja, nur moderne Familienpolitik fragt zunächst einmal danach, was die Menschen brauchen. Und das ist ja auch das Spannende an Parteien. Parteien sind ja auch keine starren Gebilde, sondern die bewegen sich ja weiter. Und man kann es jetzt gerade in der Union sehen. Die Union hat einen Riesenschritt vorangemacht und es steht im Grundsatzprogramm. Also, eine ganze Partei steht jetzt dahinter. Diese Veränderungsprozesse sind notwendig. Ich merke interessanterweise, dass ich im älteren Teil der Union, also 60-Jährige, ganz hohen Zuspruch habe. Wenn sie, diese 60-Jährigen, Töchter und Söhne haben, die um die 30 sind, dann sagen die mir: Wissen Sie, wir haben anders gelebt, meine Frau und ich, als wir jung waren. Aber ich sehe meinen Sohn. Ich sehe meine Tochter. Die haben tolle Berufe. Wir wünschen uns Enkelkinder. Ja, wie soll’s denn gehen? Sie sind auf dem richtigen Weg. Und diesen Pragmatismus, diese Lebenswirklichkeit auch in das Handeln von Parteien hineinzubringen, das sind diese spannenden Prozesse, die vor allem in der Regierung gehen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben eine Familie, das ist auch die Partei neben Ihrer privaten Familie, und die muss mitziehen. Innerhalb der Fraktion hört man zumindest ab und zu Stimmen, die sagen: Die reitet zu schnell voran. Man weiß nicht, wo sie hin will. Sie kommuniziert schlecht. Oder wir verstehen nicht so genau, wo sie hin will.
Gibt es ein Kommunikationsproblem zwischen Ihnen, der Quereinsteigerin, und der Partei?
von der Leyen: Ich glaube, ich habe am Anfang nicht viel Zeit gehabt, einfach weil ich in der Tat relativ neu in dieser Partei auch bin, lange schon Parteimitglied, aber aktiv jetzt relativ neu erst. Aber eigentlich kann man, weil Sie eben das Familienbild auch brachten von Parteien, es mit diesem Familienbild auch beantworten. In jeder Familie ist es so, dass die jüngere Generation verändert. Da gibt’s Reibungen und Diskussionen und Auseinandersetzungen. Aber das schafft ja auch den Zusammenhalt von Familien, wenn es ihnen gelingt, gemeinsam immer wieder den Karren voranzuziehen. Jeder, der zum Beispiel einen Hof hat oder einen Betrieb, wenn der in die nächste Generation übergeht, dann gibt es natürlich Veränderungen. Aber das Ziel muss das gleiche sein, dass man alle mitnimmt. Und das ist im Augenblick meine Aufgabe.
Deutschlandradio Kultur: Aber der Fraktion könnten Sie im Grunde ja auch sagen: Guckt euch das an, der Erfolg gibt mir recht. Sie sind ja wahrscheinlich die einzige Ministerin, die sich freut, dass sie ihren Etat überzogen hat.
von der Leyen: Wenn Sie jetzt das Elterngeld ansprechen, dann – in der Tat – muss ich sagen, das ist das Beste, was diesem Land, was übrigens auch dem Finanzminister und mir passieren konnte, dass das Elterngeld, in diesem Jahr neu eingeführt, nicht reicht. Denn es reicht nicht, weil die jungen Menschen mehr Kinder gekriegt haben, als wir vorausberechnet haben, und vor allem, weil die jungen Väter sich mehr Zeit für ihre Neugeborenen nehmen. Und das ist ein fantastisches Signal eigentlich auch der jungen Väter, dass sie bereit sind Verantwortung zu übernehmen. Wir sehen, dass in der Vergangenheit auch viele junge Männer auf Kinder verzichtet haben, weil sie sagten, wenn ich keine Zeit für mein Kind habe neben dem Beruf, dann will ich gar kein Kind, bevor ich ein schlechter Vater bin. Dieses zu verändern, das hat das Elterngeld mit sich gebracht. Und offensichtlich war das wie ein Ventil auch für die jungen Menschen, darauf zu reagieren.
Deutschlandradio Kultur: Das sind die erfreulichen Schlagzeilen der letzten Tage und Wochen. Es gibt aber immer wieder diese negativen, dass die Zahl der Kinderarmut trotz Aufschwung in den letzten Jahren immer größer wird. Mittlerweile reden wir von 2,5 Mio. Kindern, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Vernünftige und verantwortliche Familienpolitik müsste hier ganz schnell massiv eingreifen. Was können Sie als Familienministerin tun, damit dieses Elend zumindest etwas abgemildert werden kann?
von der Leyen: Kinderarmut hat zwei oder drei große Gründe. Der erste Grund ist, nicht Kinder selber machen arm, sondern Kinder leben in Armut, wenn ihre Eltern keine Arbeit haben. Das betrifft vor allem die große Gruppe der Alleinerziehenden, die in Hartz IV z.B. sind, weil sie keine Chance haben ein Arbeitsangebot anzunehmen, weil keine Kinderbetreuung da ist. Wir haben 75.000 Alleinerziehende mit Kindern unter drei Jahren, von denen 60.000 arbeiten wollen und auch arbeiten könnten, weil sie ein Angebot haben, aber sie finden keine Kinderbetreuung. Deshalb wird so deutlich, wie richtig und hilfreich es ist, Kinderbetreuung jetzt auszubauen, und zwar schneller, mit kräftigen Schritten.
Dann gibt es eine zweite Gruppe der armen Kinder, die leiden an vererbter Armut – Bildungsarmut ist da. Da ist über Generationen die Familie abhängig von Sozialhilfe. Diesen Kindern hilft vor allem, früh die Tür zu öffnen zu Bildung, zu Sprache, Teilhaben an der Gesellschaft. Das ist der einzige Weg raus, dass sie selber eine gute Schullaufbahn haben, einen Beruf finden, ergreifen können und in der nächsten Generation ihre Kinder selbst ernähren können, also, dass dieser Teufelskreis der Armut durch Bildungsarmut durchbrochen wird.
Deutschlandradio Kultur: Und wie schaffen Sie das?
von der Leyen: Ich glaube, da ist eben auch ganz entscheidend der Ausbau der Kinderbetreuung, den wir so leidenschaftlich diskutiert haben dieses Jahr. Der ist nicht nur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Er ist auch große Chance für Kinder, die mehr Förderung brauchen. Wenn Plätze, und zwar qualitativ gute, da sind, dann kann man eben früher und häufiger sagen: Dieses Kind muss tagsüber mit anderen Kindern spielen, sprechen, die Welt erforschen, nicht vorm Fernseher geparkt werden.
Deutschlandradio Kultur: Das spricht aber auch gegen das Betreuungsgeld.
von der Leyen: Ja, wir können gleich übers Betreuungsgeld sprechen. Ich möchte den dritten Punkt der Kinderarmut sagen, weil der mir wichtig ist. Es gibt eine dritte Gruppe. Das ist die kinderreiche Familie. Auch wenn Vater und Mutter fleißig arbeiten, weil so viele Köpfe da sind, reicht auch das Einkommen nicht. Hier gibt es zwei Instrumente, die wir im Augenblick bearbeiten, wo wir also ganz konkret auch noch besser werden müssen. Das erste ist der Kinderzuschlag für diejenigen, die ihr Einkommen für sich als Vater und Mutter verdienen können, aber wo es für die Kinder nicht mehr reicht, da einen Kinderzuschlag, damit sie gut weiterarbeiten, das ist ein gutes Vorbild auch für die Kinder, aber nicht mehr zusätzlich Hartz IV beziehen müssen. Oder für diejenigen, die mehrere Kinder haben, ein gestaffeltes höheres Kindergeld. Das stützt die, die viele Kinder haben und kleine Einkommen.
Deutschlandradio Kultur: Was Sie eben unter Punkt 2 genannt haben, widerspricht eigentlich dem Betreuungsgeld.
von der Leyen: Wir haben klare Schritte für das Betreuungsgeld verabredet. Jetzt kommt das Wichtigste zuerst, nämlich Ausbau der Kinderbetreuung, wo wir Riesennachholbedarf haben auch international. Bis zum Jahr 2013 wird das geschafft sein. Im Jahr 2013: Einführung eines Rechtsanspruchs für die Kinderbetreuung. Dann soll auch ein Betreuungsgeld kommen. Dann werden wir diskutieren, wie es gelingen kann, einerseits Erziehungsleistung von Eltern wertzuschätzen, aber andererseits auch dafür zu sorgen, dass gerade die Kinder, die dringend unsere Unterstützung brauchen, also, die profitieren, die wirklich gewinnen und aufblühen in einem Kindergarten, dass die auch in den Kindergarten kommen. Dies ist aber eine Diskussion für das Jahr 2012/ 2013. Und dann ist es auch an der Zeit sich anzuschauen, wie die Welt ist.
Deutschlandradio Kultur: Wenn wir von Kinderzuschlägen reden, also von mehr Geld für Familien, für starke Familien, dann können Sie das finanzieren, wenn Sie gute Einnahmen haben im Staat, wenn die Konjunktur läuft, wenn Herr Steinbrück Ihnen Geld gibt. Das kann nicht immer so sein. Möglicherweise ist auch mal die Zeit gegeben, wo Sie umschichten möchten und müssen, damit Sie diese Familien fördern können. Wie machen Sie das dann? Wollen Sie das Ehegattensplitting aufgeben? Wollen Sie die Witwen vielleicht etwas begrenzen, das Geld dahin verteilen, wo Sie glauben, dass es vielleicht sinnvoller angelegt ist? Irgendjemandem wegnehmen, damit es den anderen besser geht?
von der Leyen: Nun, ich habe mich mit Kraft gewehrt in den Anfangsmonaten dieses Jahres, dass z.B. die Kinderbetreuung ausgebaut wird auf Kosten z.B. vom Ehegattensplitting oder durch Kürzung des Kindergeldes, weil ich der festen Überzeugung bin, es kann nicht der allererste Schritt sein, dass – wenn etwas notwendig ist, wie Ausbau der Kinderbetreuung, von der Gesellschaft gemeinschaftlich geschaffen werden soll – Familien dafür zahlen müssen, also, linke Tasche, rechte Tasche.
Deutschlandradio Kultur: Aber Gegenfinanzieren.
von der Leyen: Ja, das ist genau der Punkt. Wir haben sehr viel größere Einnahmen und Etats, als dass man nur gucken muss, wenn etwas Sinnvolles für Familie gemacht wird. Also, z.B. Ausbau der Kinderbetreuung: Da können wir doch nicht sagen, da nehmen wir z.B. Eltern mit Schulkindern Geld weg über eine Senkung des Kindergeldes und stecken es in Kinderbetreuung. Nein, mein Anspruch als Familienministerin ist auch zu sagen: Gesellschaft, wenn uns diese Kinder etwas wert sind, dann muss es uns auch etwas kosten und wir müssen erst mal gucken im großen Allgemeinbudget. Und da, muss ich auch sagen, habe ich eine sehr beeindruckende Unterstützung des Finanzministers dann auch gefunden. Es wäre nie alleine gegangen, sondern es war die gesamte Regierung und dann auch Länder und Kommunen, die zusammengestanden haben und wo sich die Überzeugung durchgesetzt hat, das ist richtig. Wenn wir notwendigerweise jetzt die Kinderbetreuung ausbauen wollen, sollen wir nicht in einen Kleinkrieg verfallen, dass einer gegen den anderen ausgespielt wird, insbesondere Familien gegeneinander, sondern wir investieren real frisches Geld.
Zu Ihrer anderen Frage mit dem Kinderzuschlag: Auch dies ist geklärt. 200 Mio. Euro stehen zur Verfügung zur Verbesserung des Kinderzuschlages. In diesen Schritten sind wir gerade drin.
Deutschlandradio Kultur: Das geht aber wirklich nur in guten Zeiten. Manche in der Opposition sagen, Sie brauchen auch für schlechte Zeiten eine gute Gegenfinanzierung, Vermögenssteuer, irgendwas.
von der Leyen: Aber diese Rechnung ist eine absolute Milchmädchenrechnung. Denn was tue ich mit der Familienpolitik? Ich stärke die Selbständigkeit der Familie, alleine ihr Einkommen zu verdienen. Und durch das selbständige Einkommenverdienen, also, wenn man z.B. Kinderbetreuung hat und man kann selbständig arbeiten, ist als Alleinerziehende nicht mehr auf Hartz IV angewiesen, entlastet es die Sozialsysteme und stärkt die Familie. Und mehr noch: Diese Familien zahlen über Sozialversicherung und Steuern auch wieder in das Allgemeinsystem ein. Das heißt, die richtige fördernde Politik ist, die Familien befähigen, selbständig, unabhängig vom Staat zu arbeiten. Und daraus entsteht Innovation. Daraus entsteht Wohlstand. Das sind die Grundsteine für eine längerfristig bessere Konjunkturentwicklung, die ich im Augenblick versuche zu legen.
Deutschlandradio Kultur: Im Sommer haben Sie alle überrascht mit Ihren Reitkünsten, Frau von der Leyen. Dressur-Olympiasiegerin Isabell Werth hat damals ganz begeistert gesagt: Zur Not könnten Sie auch umsatteln, wenn die Politik Ihnen mal keinen Spaß mehr macht. Nun haben wir bald Weihnachten. Darum die Frage: Macht es noch Spaß oder steht ein Pferd auf dem Wunschzettel?
von der Leyen: Es macht noch Riesenspaß. Obwohl, über so ein kleines Pony könnte ich mich immer noch freuen. Ich weiß, dass Isabell Werth sehr charmant gewesen ist mit ihrer Beurteilung. Nein, es ist eine faszinierende Aufgabe und wie immer bei faszinierenden Aufgaben: Je tiefer ich hinein komme, desto mehr wächst die Leidenschaft eigentlich für das Thema.
Deutschlandradio Kultur: Frau Ministerin, wir danken ganz herzlich für das Gespräch.
von der Leyen: Danke Ihnen.