Von der Freundlichkeit des Pferdes

Die Willigkeit des Pferdes wird ihm als Dummheit ausgelegt, entspringt aber biologisch aus seinem Herdentrieb, meint Erhard Oeser. Anschaulich erzählt er von der durch Irrtümer und Grausamkeiten geprägten Beziehung des Menschen zum Pferd und trägt dazu Wissenswertes aus der Verhaltensforschung und anderen Disziplinen zusammen.
Neuropsychologen und Verhaltensforscher interessieren sich immer stärker für die Erkundung von Intelligenzleistungen bei Tieren. Wie hat man sich das kognitive Vermögen, ihr Denken und Fühlen vorzustellen, womit sie nachweislich zur Anpassung ihres Verhaltens an eine veränderliche Umwelt fähig sind?

Drei Tierarten sind es, die dabei besonders interessant erscheinen, da sie seit Jahrhunderten in engster Gemeinschaft mit dem Menschen zusammenleben: Katze, Hund und Pferd. Mit allen dreien verbinden den Menschen jeweils besondere Formen körpersprachlicher, weitgehend nonverbaler Kommunikation.

Doch das Pferd - so berichtet Erhard Oeser in seinem Buch "Pferd und Mensch. Die Geschichte einer Beziehung" - nimmt unter ihnen eine Sonderstellung ein. Verglichen mit anderen Tieren besitzt es hervorragende sensomotorische Fähigkeiten und eine hoch entwickelte soziale Intelligenz. Den Menschen fasziniert am Umgang mit ihm, ein athletisches Wesen vom mehrfachen eigenen Gewicht bändigen und zu friedlicher, kooperativer Interaktion bewegen zu können.

Aber, so zitiert er den berühmten Verhaltensforscher Desmond Morris mit seinem Buch "Horsewatching", Pferde wirken auch darum so anziehend auf uns, weil es Gattungsähnlichkeiten gibt. Wie das Pferd so ist auch der Mensch kein Gräber, Kletterer oder Klammerer, sondern ein Schnellläufer. Wir empfänden das Pferd "als eine Verlängerung unseres eigenen "schnelllaufenden Körpers". Morris geht sogar noch weiter: "Sitzen wir auf seinem Rücken, verschmelzen wir sozusagen mit ihm und werden ein einziges, dahingaloppierendes, unbezwingbares Wesen wie der berühmte Kentaur der antiken Mythologie."

Noch heute, so die These des Autors, verstehen selbst die leidenschaftlichen Pferdebesitzer oft wenig von dem, was in ihren Tieren vorgeht. Die Freundlichkeit und Willigkeit des Pferdes wird ihm als Dummheit ausgelegt und ausgenutzt, dabei entspringt sie biologisch betrachtet einfach dem starken Herdentrieb der Pferde. Dass Pferde sich Despoten unterordnen, sagt aber nichts über ihre Klugheit aus.

Anschaulich und engagiert erzählt Oeser von der durch Irrtümer und Grausamkeiten geprägten Beziehung des Menschen zum Pferd und trägt dazu Wissenswertes nicht nur aus der Verhaltensforschung, sondern auch aus anderen Disziplinen und Quellen zusammen.

Bis die Wissenschaft vom Pferd so weit war, nach unseren heutigen Kriterien zu bestehen, vergingen Jahrzehnte phantasievoller Beschäftigung mit den Tieren. Um 1900 etwa hatte der pensionierte Mathematiklehrer Wilhelm von Osten sein Pferd - genannt der "Kluge Hans" - so weit erzogen, dass es die vier Grundrechenarten beherrschte und lesen konnte, so behauptete er. Tests erwiesen jedoch, dass das Tier zur selbstständigen "Plutimikation" etwa so gut imstande war wie Pippi Langstrumpf. Wozu der "Kluge Hans" allerdings ausgezeichnet in der Lage war, war geschickt die unbewusst gesendeten kommunikativen Signale seines Gegenübers zu deuten und in Reaktionen umzusetzen.

Der Zeitpunkt der Domestizierung des Pferdes liegt soweit im geschichtlichen Dunkel, dass darüber keine schriftlichen Zeugnisse vorliegen. Nur soviel ist gewiss, dass das Pferd nicht zu den ältesten Haustieren - Hunden, Schafen, Ziegen und Rindern, zählte. Aus Pferdesicht betrachtet, hatte die Beziehung weder einen guten Anfang noch ging sie glücklich weiter. Bevor sie Pferde zähmten, jagten unsere Vorfahren sie auf primitive Weise. Danach ging es vom Bratspieß und Kochtopf in die Knechtschaft.

Die ersten Pferdezüchter waren vermutlich Nomaden. Zucht und Reiten hängen wahrscheinlich eng zusammen, denn ohne selbst schnell auf einem Pferderücken unterwegs zu sein, konnte man sich kaum um eine solche Herde kümmern. Die frühesten Zeugnisse für die Nutzung des Pferdes als Reittier datieren von 1500 vor Christus.

Nun ist es für das Pferd etwas ganz Unnatürliches, ein Geschöpf auf seinem Rücken zu dulden - denn eigentlich springen nur gefährliche Raubtiere wie Tiger, Löwen und Panther den Pferden dorthin, um sie als Beute zu erlegen. Das Buckeln und Bocken, vor dem sich Reiter noch heute fürchten, vollführten Pferde, um sich gegen die schrecklichen Raubtiere zu wehren, indem sie sie abwarfen.

In den frühen Hochkulturen Asiens und Ägyptens - also vor den Griechen und Römern - spannte man das Pferd vor zweirädrige Streitwagen. In der Regel benutzte der Krieger diese Streitwagen aber nur, um zum Kampfplatz zu gelangen und dort zu Fuß weiter zu kämpfen. Kikkuli schrieb 1360 v. C. die erste Abhandlung darüber, wie Streitwagen ziehende Pferde zu trainieren seien.

Der Pferdeflüsterer der griechischen Antike war der Historiker und Philosoph Xenophon. Seine beiden Abhandlungen zur Reitkunst sind noch heute Standardwerke der hippologischen Literatur. Seit den antiken Feldzügen wird das Pferd als Kriegskamerad des Soldaten begriffen - was nicht heißt, dass nicht bis in den Zweiten Weltkrieg hinein Zehntausende von Pferden im Kampf umkamen, erfroren, erschossen oder aufgegessen wurden.

In der Gegenwart ergeht es dem Pferd vielleicht besser als je zuvor, seit es den Menschen kennt. Als Arbeitspferd wird es nicht mehr gebraucht, man nennt es Freizeitpferd. Für den gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit den Pferden lässt sich ein genauer Zeitpunkt angeben: Nach dem Zweiten Weltkrieg übernehmen die Frauen die Pferde zu weniger brutalen Aufgaben. Reiten ist schließlich eine der ganz wenigen Sportarten, bei dem sich Frauen direkt mit Männern messen können. Allein dafür lieben sie ihre Pferde.

Rezensiert von Wiebke Hüster

Erhard Oeser, Pferd und Mensch. Die Geschichte einer Beziehung,
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007, 192 S., 29,90 EUR