Von der Fischerhütte zum Glaspalast

Von Astrid Freyeisen · 13.10.2010
Shenzhen hat unzählige Arbeitssuchende aus allen Teilen Chinas in der Hoffnung auf Wohlstand angezogen. Inzwischen ist die Stadt auch zum Schauplatz tiefgreifender sozialer Umwälzungen geworden.
Shenzhens Jubiläum hätte kaum traditionell kommunistischer gefeiert werden können: Die Tribünen: Einheitlich gekleidete Zuschauer, Blöcke in Rot und gelb, ein Drittel davon Wanderarbeiter, dazu Soldaten in Uniform. Staatspräsident Hu Jintao forderte:

"Die Zentralregierung wird immer unterstützen, dass Sonderwirtschaftszonen experimentieren. Sie müssen sich der veränderten Situation in China und der Welt anpassen. Dabei müssen sie die Erwartungen des Volkes erfüllen."

25 Prozent Wirtschaftswachstum meldet Senzhen jedes Jahr, seit Deng Xiaoping das Fischerdorf im Perlflussdelta vor 30 Jahren zur Kernzelle seiner Wirtschaftsreformen erklärte. Unzählige Bauern aus dem ganzen Land zogen seither in die Fabriken Shenzhens, in der Hoffnung auf Wohlstand. Der China-Boom beeindruckt die ganze Welt bis heute. Was er aber auch bedeutet, betont Chinas führender Arbeiterrechtler Liu Kaiming. Basis seiner Untersuchungen ist Shenzhen:

"Meine Recherchen zeigen, dass im Perlflussdelta und im Yangzi-Delta ein durchschnittlicher Wanderarbeiter umgerechnet 190 Euro verdient. Er schuftet dafür 66 Stunden die Woche, 120 Überstunden im Monat. Diese beiden Industrieregionen Perlfluss- und Yangzi-Delta machen nicht einmal zwei Prozent der Landfläche in China aus, aber 40 Prozent der Wirtschaftsleistung, über die Hälfte aller Steuereinnahmen und 60 Prozent des Exports unseres Landes. Das meiste davon erwirtschaften Wanderarbeiter. Um vier Personen ernähren zu können, müsste ein solcher Arbeiter in den Zentren 40 Euro mehr verdienen, als dies der Fall ist. Nämlich über 230 Euro. Es gibt in China aber immer noch Orte, in denen der gesetzliche Mindestlohn gerade mal 80 Euro beträgt. Das ist extrem wenig."

In 30 Jahren hat sich die Einstellung dieser Arbeiter sehr verändert, sagt Liu Kaiming. War die erste Generation noch von Hunger und Armut geprägt, wollen ihre Nachkommen heute nicht mehr alles ertragen. So machte die Fabrikstadt des weltgrößten Elektronikherstellers Foxconn weltweit Schlagzeilen: Als sich immer mehr junge Arbeiter umbrachten und der Konzern aus Taiwan den Lohn teils sogar verdoppeln musste, um den Skandal zu entschärfen. Wenig beeindruckend für diesen jungen Arbeiter:

"Ich habe vor ein paar Wochen gekündigt, nach zwei Monaten. Es war zu anstrengend, zehn, elf Stunden täglich. In anderen Fabriken geht’s ähnlich zu. Foxconn ist sogar besser als die meisten anderen. Trotzdem will ich nach Hause aufs Land zu meiner Familie. Hier kann ich doch nicht genug verdienen. Wir sind alle noch jung. Wir wollen Spaß haben."

Shenzhen ist wichtig für die internationale Exportwirtschaft. In manchen Branchen, etwa bei den Uhren, machen Zulieferer aus der Boomtown über 90 Prozent der Produktion aus. Die deutsche Handelskammer Guangzhou hat 2009 in Shenzhen ein eigenes Büro eröffnet. Geschäftsführerin Alexandra Voss:

"Westliche Medien berichteten, Staatspräsident Hu Jintao habe in seiner Jubiläumsrede in Shenzhen mutige politische Reformen gefordert. Was er meinte: Reformen im Sinne der kommunistischen Partei."

Hu Jintao: "In der Zukunft sollten wir weiterhin ein freies Denken pflegen. Wir sollten an der Reform der Wirtschaft und der Harmonie festhalten. Sozialistische Modernisierungen werden uns auf ein neues Niveau heben."
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