Von der Familienmutter zur Femme fatal
Früh heiratet die Beamtentochter Oda Lasson und bekommt zwei Kinder. Doch dann merkt sie, dass sie so nicht weiterleben kann: Sie bricht mit dem bisher konventionellen Leben, wird Schülerin des Malers Christian Krohg und Leitfigur der Bohemebewegung in Oslo. Der Schriftsteller Ketil Bjørnstad sichtete für die Biografie "Oda" zahlreiche Aufzeichnungen und Briefe, Sprache mit der Familie und Zeitgenossen der ungewöhnlichen Frau.
"Ich bin eine alte Frau, ich bin stur, und ich habe ein gutes Gedächtnis", bilanziert die 75-jährige Oda Krohg kurz vor ihrem Tod im Jahr 1935. Oda ist die Protagonistin in Ketil Bjørnstads gleichnamigem Buch, das Roman und Biografie sein soll, denn es geht dem Autor um die Rekonstruktion einer Selbstbiografie, die unvollendet blieb.
Ottilia Pauline Christine Lasson wurde 1860 geboren und als "princesse de la bohème" zum Mythos der sogenannten "Kristiania-Boheme". Die Künstlergruppe formierte sich Ende des 19. Jahrhunderts in Norwegens Hauptstadt Kristiania, die erst seit 1924 Oslo heißt. Maler wie Edvard Munch, 1863 bis 1944, und Christian Krohg, 1852 bis 1925, Odas Ehemann - sowie die Literaten Hans Jaeger, 1854 bis 1910, und Gunnar Heiberg, 1857 bis 1929, stellten die Gesellschaft mit antibürgerlichen Programmen und freien Lebensformen radikal in Frage. Ihre Schriften wurden beschlagnahmt, Hans Jaeger wurde mehrfach verhaftet. Die "Kristiania-Boheme" war Teil einer europäischen Reformbewegung, die im Fin de Siècle nach fundamentalen Veränderungen in künstlerischer Hinsicht und im moralisch-ethischen Denken und Handeln strebte.
An Oda interessiert Bjørnstad jedoch nicht der Mythos einer hauptsächlich von Männern dominierten intellektuellen Bewegung. Anhand ihrer Lebensgeschichte wird der schmerzhafte Bruch mit den humanistischen Werten des Bürgertums und den geistigen Idealen einer unkonventionellen Bohemegeneration dargestellt. Klug und ganz ohne Pathos vermag Bjørnstad von der Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit zu erzählen. Dabei entsteht ein vielschichtiges Zeitgeflecht, das ein Jahrhundert umspannt.
Bjørnstad integriert in seine Romanbiografie Aufzeichnungen, Briefe und Dokumente, die er im Munch-Archiv und in der Nationalbibliothek Oslo eingesehen hat. Dabei ändert sich die Sicht mehrfach und ergibt verschiedene Zugriffe auf den Stoff. Dieser Vorgang wird anhand der sieben Romankapitel deutlich, die in unterschiedlichen Erzählperspektiven geschrieben sind. So besteht das Schlusskapitel "Flieder im Oktober" aus einem langen Brief, in dem allein Odas Sicht resümierend dargelegt wird.
Zudem führte Bjørnstad Gespräche mit Odas Enkel, dem Maler Guy Krohg, 1917 bis 2002, und sichtete die Literatur von Zeitgenossen, die als verflossene Liebhaber - Hans Jaeger, Sigbjørn Obstfelder, Jappe Nilssen - vor einer kritischen Demontage ihrer Person nicht zurückschreckten. Ihr literarischer Ehrgeiz hat dazu beigetragen, aus einer ambitionierten Malerin, modernen Frau und vierfachen Mutter jene Femme fatale zu stilisieren, die in Edvard Munchs Bild "Vampir" ihre epochale Verkörperung erfahren hat. Ketil Bjørnstad, Jahrgang 1952, gelingt mit "Oda" eine vielstimmige Textcollage, die das Thema Liebe und Eifersucht in unzähligen Variationen durchspielt.
Rezensiert von Carola Wiemers
Ketil Bjørnstad: Oda
Aus dem Norwegischen von Lothar Schneider
Insel Verlag 2008, 429 Seiten, 19,90 Euro
Ottilia Pauline Christine Lasson wurde 1860 geboren und als "princesse de la bohème" zum Mythos der sogenannten "Kristiania-Boheme". Die Künstlergruppe formierte sich Ende des 19. Jahrhunderts in Norwegens Hauptstadt Kristiania, die erst seit 1924 Oslo heißt. Maler wie Edvard Munch, 1863 bis 1944, und Christian Krohg, 1852 bis 1925, Odas Ehemann - sowie die Literaten Hans Jaeger, 1854 bis 1910, und Gunnar Heiberg, 1857 bis 1929, stellten die Gesellschaft mit antibürgerlichen Programmen und freien Lebensformen radikal in Frage. Ihre Schriften wurden beschlagnahmt, Hans Jaeger wurde mehrfach verhaftet. Die "Kristiania-Boheme" war Teil einer europäischen Reformbewegung, die im Fin de Siècle nach fundamentalen Veränderungen in künstlerischer Hinsicht und im moralisch-ethischen Denken und Handeln strebte.
An Oda interessiert Bjørnstad jedoch nicht der Mythos einer hauptsächlich von Männern dominierten intellektuellen Bewegung. Anhand ihrer Lebensgeschichte wird der schmerzhafte Bruch mit den humanistischen Werten des Bürgertums und den geistigen Idealen einer unkonventionellen Bohemegeneration dargestellt. Klug und ganz ohne Pathos vermag Bjørnstad von der Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit zu erzählen. Dabei entsteht ein vielschichtiges Zeitgeflecht, das ein Jahrhundert umspannt.
Bjørnstad integriert in seine Romanbiografie Aufzeichnungen, Briefe und Dokumente, die er im Munch-Archiv und in der Nationalbibliothek Oslo eingesehen hat. Dabei ändert sich die Sicht mehrfach und ergibt verschiedene Zugriffe auf den Stoff. Dieser Vorgang wird anhand der sieben Romankapitel deutlich, die in unterschiedlichen Erzählperspektiven geschrieben sind. So besteht das Schlusskapitel "Flieder im Oktober" aus einem langen Brief, in dem allein Odas Sicht resümierend dargelegt wird.
Zudem führte Bjørnstad Gespräche mit Odas Enkel, dem Maler Guy Krohg, 1917 bis 2002, und sichtete die Literatur von Zeitgenossen, die als verflossene Liebhaber - Hans Jaeger, Sigbjørn Obstfelder, Jappe Nilssen - vor einer kritischen Demontage ihrer Person nicht zurückschreckten. Ihr literarischer Ehrgeiz hat dazu beigetragen, aus einer ambitionierten Malerin, modernen Frau und vierfachen Mutter jene Femme fatale zu stilisieren, die in Edvard Munchs Bild "Vampir" ihre epochale Verkörperung erfahren hat. Ketil Bjørnstad, Jahrgang 1952, gelingt mit "Oda" eine vielstimmige Textcollage, die das Thema Liebe und Eifersucht in unzähligen Variationen durchspielt.
Rezensiert von Carola Wiemers
Ketil Bjørnstad: Oda
Aus dem Norwegischen von Lothar Schneider
Insel Verlag 2008, 429 Seiten, 19,90 Euro