Von der Einsamkeit zum neuen Leben

Der Held in Henning Mankells neuem Roman erinnert streckenweise an den schrulligen Kommissar Wallander seiner erfolgreichen Krimiserie. In "Die italienischen Schuhe" kritisiert der schwedische Erfolgsautor die Unfähigkeit der Gesellschaft, Menschen, die ins Abseits geraten sind, eine zweite Chance zu geben.
Fredrik Welin, ehemaliger Chirurg, lebt zurückgezogen auf einer kleinen Insel in den ostschwedischen Schären. Er hat seinen Beruf aufgegeben, nachdem ihm ein schwerwiegender ärztlicher Fehler unterlaufen ist. Außer einem täglichen Bad in der Ostsee betreibt er keinerlei Aktivitäten.

Eines Morgens steht eine alte, gebrechliche Dame auf dem Eis. Fredrik erkennt sie als Harriet, die Frau, die er einst geliebt, aber schließlich verlassen hat. Harriet ist sterbenskrank und bittet ihn, mit ihr einen Ausflug an einen schwedischen See zu unternehmen.

Widerwillig tut ihr Fredrik diesen Gefallen und steht damit am Anfang der Erkundung seines eigenen Lebens. Schicht für Schicht muss er sein Einsiedlerdasein abstreifen. Dabei trifft er nicht nur auf seine Tochter, von deren Existenz er bis dahin noch gar nichts wusste. Ob es ihm gelingt, seine Fehler einzugestehen und sich der Zukunft zuzuwenden, bleibt jedoch offen.

Der Roman ist näher an Mankells "Wallander-Romanen" anzusiedeln als an denen, die in Afrika spielen. Und auch der Held, Fredrik Welin, erinnert streckenweise an den schrulligen Kommissar Wallander. Mankell kritisiert die Unfähigkeit der Gesellschaft, Menschen, die ins Abseits geraten sind, eine zweite Chance zu geben.

Das Buch hat eine immense erzählerische Kraft. Der Roman ist in seiner Grundstimmung elegisch und Mankell wird schwermütig, wo Schwermut angebracht ist, er kann aber ironisch, ja beinahe bissig sein, wenn er den Helden in dessen anfangs abgrundtiefer Bitternis entlarvt.

Der Roman entwirft großartige Bilder, etwa in der Schilderung der kleinen schwedischen Schäre im Verlauf der Jahreszeiten. Im Wortsinn "Fabel"-haft ist die Beschreibung eines Ameisenhaufens, der sich in einem Zimmer im Haus des Helden befindet. Die Ameisen nehmen Zentimeter für Zentimeter des Raums in ihren Besitz und unterstreichen damit die Veränderungen, die die Zeit mit sich bringt. Sie sind das Sinnbild für eine funktionierende Gesellschaft, in der es keinerlei Egoismus gibt. Dass der Roman in der Ich-Form erzählt ist, zeigt, dass der Autor über Strecken seines eigenen Lebens Rechenschaft ablegt.

Henning Mankell ist auch hier ein Zweifler. Kommissar Wallander hat sich durch seine Erfahrungen immer wieder zu einer neuen Einstellung durchgerungen oder durchringen müssen. Fredrik Welin, der Held in "Die italienischen Schuhe", muss erst dazu bewegt werden, sich wieder seinem Leben zu widmen und Konsequenzen zu ertragen - gute wie schlechte. Und da es auch positive Konsequenzen gibt, wird dieser Schachzug beim Leser die Lust bewirken, auch über das eigene Leben nachzudenken.

Der vom Helden anfangs nur "die Katastrophe" genannte chirurgische Fehler entpuppt sich zwar tatsächlich als schlimm, nicht aber als Katastrophe. Katastrophal ist eher die Unfähigkeit des Helden, sich den Geschehnissen zu stellen, anstatt sie als Herausforderung anzunehmen.

Möglicherweise ist der Roman Mankells schwedischstes Buch. Da der abwechselnd in Schweden und in Mosambik lebende Autor gern betont, er brauche Distanz, um über Schweden zu schreiben, hat Mankell "Die italienischen Schuhe" wohl in Mosambik verfasst.

Rezensiert von Roland Krüger

Henning Mankell: Die italienischen Schuhe
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007, 365 Seiten, 21,50 Euro