Von der braunen Asche reinwaschen

Von Erik von Grawert-May · 20.07.2012
Über die Erinnerung an das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 wird exemplarisch in Potsdam gestritten. Es geht um den geplanten Wiederaufbau der Garnisonkirche - der, trotz aller Gegenargumente, besonderes Gedenkpotenzial böte, meint der Publizist Erik von Grawert-May.
Er ist immer wieder streitbar: Friedrich Schorlemmer! Im April gab er ein aufsehenerregendes Interview. Darin wandte sich der evangelische Theologe gegen den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche. In ihr fand am 21. März 1933, dem sogenannten Tag von Potsdam, der berühmt-berüchtigte Handschlag von Hindenburg und Hitler statt, der Hitler salonfähig machte. Aus diesem Grund gilt die Kirche vielen, so auch Schorlemmer, für von brauner Asche besudelt. Sie lasse sich von der Garnisonkirche nicht mehr abwaschen. Daher sein Nein zum Wiederaufbau.

Schorlemmer ficht es nicht an, dass die "Fördergesellschaft für den Wiederaufbau" in der Garnisonkirche eine Gedenkstätte des Widerstands gegen Hitler errichten will. Da denkt man doch, das würde ihn beruhigen. Tut es aber nicht. Weil einige der am Widerstand beteiligten Offiziere Mitglieder der Garnisonkirchengemeinde gewesen sind, macht es die Sache, so Schorlemmer, nur noch schlimmer. Die Gemeinde einer besudelten Kirche kann selber auch nur besudelt sein. Deshalb sein Nein und noch mal Nein zum Wiederaufbau. Außerdem hält er vielen Verschwörern vor, erst nach der Niederlage von Stalingrad zu Gegnern Hitlers geworden zu sein. Für solche Leute braucht man nach Ansicht des Gottesmannes keine weitere Gedenkstätte. Punkt.

Zwar blieb mir beim letzten Argument die Spucke weg, doch zu befürchten ist, dass viele seiner Meinung sind. Nicht nur in Potsdam. Deshalb muss man dankbar sein, dass ein prominenter Protestant wie Schorlemmer diese inzwischen weitverbreiteten Ansichten in aller Öffentlichkeit äußert. Denn so lässt sich erwidern:

Zum Ersten: Ein Gebäude kann nichts dafür, wenn mit ihm Schindluder getrieben wird.

Zum Zweiten: Es stimmt, dass nicht wenige der Verschwörer gegen Hitler zur Gemeinde der Garnisonkirche gehörten. Doch damals war die Kirche noch nicht zum Symbol des Nationalsozialismus geworden. Dazu wurde sie erst Jahrzehnte nach dem Krieg. Beleg: Selbst in der dem eigenen Anspruch nach antifaschistischen DDR hielt man noch lange an Plänen des Wiederaufbaus fest. Erst 1968 setzten sich die Befürworter der Sprengung durch.

Zum Dritten: Dass einige der Widerständler erst gegen Hitler aufstanden, als es für sie bergab ging, ist richtig. Aber ist es ein Argument gegen den Widerstand?

Schorlemmer steht nicht alleine da. Seine Position wird von der in manchen Milieus geäußerten Kritik an der fehlenden demokratischen Gesinnung einzelner Widerständler noch verstärkt. Und diese Kritik wird zur Kritik am Widerstand insgesamt ausgeweitet. Doch was kümmert mich der Umstand, nicht alle seien lupenreine Demokraten gewesen, wenn sie nur den Mut fanden, einem Völkerschlächter in den Arm zu fallen!

Parallelen zur heutigen Situation – Syrien, Libyen – sind zum Greifen nahe. Daher ist es so wichtig, immer wieder an die Verschwörung des 20. Juli zu erinnern. Eine weitere Gedenkstätte kann da nichts schaden. Jüngste politologische Forschungen zeigen, dass die Fähigkeit, zwischen Demokratie und Diktatur zu unterscheiden, unter jungen Menschen nur gering entwickelt ist, weil die geschichtlichen Kenntnisse fehlen. Da besteht wenig Aussicht auf eine breitere Zustimmung zu den Geschehnissen, derer wir heute, am 20. Juli, gedenken.

Schorlemmers Argumente sollten nicht Schule machen. Sonst kommen wir womöglich zu dem Ergebnis, wir hätten nach nun knapp siebzig Jahren keine weitere Wiederauflage des Gedenktages mehr nötig. Der Einwurf dieses allseits geachteten Geistlichen ist daher als Warnsignal zu verstehen – auch an ihn selber.

Der Bürgerrechtler in Schorlemmer könnte nämlich durch folgendes Vorhaben der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche bekehrt werden: Sie will nicht nur eine Ausstellung über den 20. Juli einrichten, sondern auch eine über den Widerstand Ostdeutscher gegen die DDR. Beide zugleich sollen in der Kirche eine Gedenkstätte bekommen. Das gibt es in dieser Form noch nicht. Das wäre einmalig. Und es sollte mit dem Teufel zugehen, würde die Kirche dadurch nicht von der braunen Asche reingewaschen.


Erik von Grawert-May, Publizist und Unternehmer, aus der Lausitz gebürtiger Unternehmensethiker, lebt in Berlin. Letzte Veröffentlichungen "Die Hi-Society" (2010), "Roma Amor - Preussens Arkadien" (2011).
Erik von Grawert-May
Erik von Grawert-May© privat
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