Von der Begeisterung zur Verzweiflung

Von Susanne von Schenck |
Der Erste Weltkrieg wurde zu Beginn gerade von Intellektuellen geradezu begeistert begrüßt. Doch die anfängliche Euphorie weicht schon nach wenigen Monaten der Ernüchterung und dem Schrecken, wie eine Ausstellung in Rheinsberg zeigt. Sie bündelt Briefe und Notizen aus dieser Zeit von deutschen und französischen Schriftstellern zu einem "kollektiven Tagebuch".
"Man macht sich bereit, in einen langen Tunnel voll Finsternis und Blut einzutreten."

- notiert der französische Schriftsteller André Gide am 31. Juli 1914 ahnungsvoll in sein Tagebuch. Und auf deutscher Seite schreibt der Lyriker und Shakespeareforscher Ernst Stadler am gleichen Tag:

"Vorlesung am Abend abgesagt. Morgens Einkäufe: Revolver. Nachmittags gegen 3 Uhr verkünden Extrablätter den 'drohenden Kriegszustand'... Treffe Fritz Meyer. Bedauert, dass es auch gegen die Franzosen geht. 'Sentimentalitäten gelten jetzt nicht mehr'."

Angelegt als Dialog präsentiert die Ausstellung "Endzeit Europa" in fünf Räumen Tagebuch- und Briefauszüge von deutschen und französischen Schriftstellern. Von der anfänglichen Kriegsbegeisterung - "Wenn ich ein Mann wäre, ginge ich gerne mit", bekannte Ricarda Huch - bis zur Fassungslosigkeit angesichts des Endes - "Deutschland muss zu Kreuze kriechen" - so Thomas Mann, werden diese Jahre reflektiert. Der Literaturwissenschaftler Peter Walther hat die Ausstellung konzipiert:

"Je größer der Abstand zu diesen Ereignissen wird, auch zum Kriegsende 1945, um so stärker gerät der Erste Weltkrieg wieder in den Fokus der Wahrnehmung als die eigentliche kulturgeschichtliche und zeitgeschichtliche Wende im 20. Jahrhundert und wie einige Historiker meinen, als der Beginn eines dreißigjährigen Krieges."

Im Mittelpunkt steht der private Blick auf den "großen Krieg", wie die Franzosen den Ersten Weltkrieg auch heute noch nennen.

Millionen meldeten sich damals freiwillig zum Kriegsdienst, darunter zahlreiche Intellektuelle. Viele von ihnen sahen im Kriegsausbruch ein reinigendes Gewitter für die europäische Kultur, das Ende einer Sinnkrise.

"Endzeit Europa" legt den Schwerpunkt auf den Kriegsausbruch im August 1914. Die "écrivains combattants" auf französischer Seite, die "Frontdichter" auf der deutschen - sie wollten Zeugnis ablegen. Aber die anfängliche Kriegseuphorie legte sich bald, wie Textauszüge in der Ausstellung und vor allem im ausführlichen Begleitband zeigen. Begeisterte Kriegsfreiwillige, zum Wehrdienst gezwungene Pazifisten und auch Apolitische verschwanden im Inferno oder nahmen sich wie der Dichter Georg Trakl das Leben.

1916, mit dem Massensterben in Verdun und der Schlacht an der Somme, setzte die Ernüchterung ein. Von der Begeisterung zur Unsicherheit bis letztendlich zur Verzweiflung spannt sich der Bogen in der Ausstellung.

"Wenn ich über die grüne Wiese vor mir auf das zerschossene La Baraque sehe, dann muss auch ich einst so Kriegslustiger mir die Frage vorlegen: Wann hat dieser Scheißkrieg ein Ende?"

- so Ernst Jünger 1917 in seinem Kriegstagebuch.

"Endzeit Europa" - das ist ein doppelter Dialog - zwischen den deutschen und französischen Schriftstellern und auch zwischen zwei Kriegsfotografen: dem Stuttgarter Hans Hildenbrand und dem Franzosen Jules Gervais-Coutellement. Deren Aufnahmen sind spektakulär - durch ihre Aussage einerseits und durch die damals neue Technik der Farbfotografie. Für den Kurator Peter Walther waren diese Bilder der Auslöser für die Ausstellung:

"Für mich haben die so eine Faszination ausgeübt, allein die Tatsache, dass es technisch möglich war, in Farbe zu fotografieren und die bedrückende Authentizität, die diese Bilder haben, haben mich auf die Idee gebracht, sie zu präsentieren. Das kann man natürlich nur, indem man einen historischen Kontext schafft - und wie wäre der anders zu schaffen als durch Texte, die möglichst auch authentisch über diese Zeit berichten?"

Hans Hildenbrand war einer der 19 offiziell akkreditierten Kriegsfotografen auf deutscher Seite und der einzige, der von den Schauplätzen im Elsass, in den Vogesen und in der Champagne Farbfotografien anfertigte. Sein Bild des Krieges ist ein manipuliertes - zum einen, weil die Fotografien im Dienst der Propaganda standen und auch als Postkarten verkauft wurden, zum anderen aber aus technischen Gründen. Denn auf den Autochromplatten, von den Brüdern Lumière entwickelt, ließen sich bewegte Szenen gar nicht festhalten. Die Belichtungszeiten waren zu lang. Also mussten die Soldaten posieren. Einige von Hildenbrands Aufnahmen sind auch als Stereoskopbilder zu betrachten - in eigens dafür eingerichteten Guckkästen.

Die Ausstellung "Endzeit Europa" hat im Kurt Tucholsky Literaturmuseum in Rheinsberg einen passenden Platz gefunden. Denn Kurt Tucholsky gehörte selbst zu den Schriftstellern, die den Wandel vom Kriegsbefürworter zum aktiven Kriegsgegner und Pazifisten erlebten.

Service:
Die Ausstellung "Endzeit Europa - ein kollektives Tagebuch französischer und deutscher Schriftsteller 1914-1918" im Kurt Tucholsky Literaturmuseum in Rheinsberg dauert bis zum 8. Februar 2009. Zur Ausstellung erschien ein umfangreicher Begleitband mit Texten und über 50 Farbfotografien.
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